5. Januar 2025, Sonntag

Gestern Abend dann — was macht man noch mal an einem 4. Januar? Ach ja, Theater! — Dea Lohers Frau Yamamoto ist noch da, das Stück, mit dem der sympathischste Mensch auf Erden, Ulrich Khuon, im September die sogenannte Interimsintendanz im Schauspielhaus Zürich eröffnet hatte. Es beginnt als ein bissl spießiges, bewusst bescheidenes, kleines, leises Stücklein, und das bleibt es im Prinzip für die nächsten zwei Stunden und 40 Minuten, eine Nummernrevue. Und in seiner Kleinheit und Beiläufigkeit will es dann ganz viel. Ja erst mal keine schlechte Idee. Und fast: kriegt es einen.

Menschen wie du und ich, aus deutschsprachigen Großstädten der Gegenwart stammend — kleine Menschen mit großen Gefühlen, so nennt sie einer der ausnahmslos sehr gut spielenden Schauspieler und Schauspielerinnen im Programmheft — reden über, was halt so ist: doofe Beziehung, Lebenssinn, KI, eine gute Arbeit finden, die Frage, ob nach dem Tod wirklich mit allem Schluss ist.

Und dann beginnt die KUNSTSPRACHE der Dea Loher, diese besonders einfache, gut gebaute Sprache, zu wirken.

Das klassischste aller Paare — ein noch eher junger Mann (bissl doof, unfassbar süß) und ein schon eher älterer Herr (streng, genervt, letztlich gnädig, unfassbar sympathisch) — liegen zusammen im Bett, darum ringend, das es irgendwie doch weiter geht: Das ist Pet Shop Boys pur, das fasst einem voll ans Herz, das geht natürlich immer. Der grandiosen alten Dame Nicola Weisse, die spöttisch, klug, abgeklärt, todtraurig, zum Lachen entschlossen DEN TOD anguckt, könnte man sowieso abendelang zuhören (manchmal verstehe ich nicht, warum es nicht nur tolle Theater-Monologe mit klugen, alten Frauen gibt, das will doch wirklich jeder sehen). Zwischendrin haut der junge Punk Daniel Lommatzsch (er ist gar nicht mehr so jung, wie man dem Programmheft entnimmt) und Pollesch-Typ in seiner Ernst-Busch-Schauspielschulen-und Marc-Hosemann-Haftigkeit das Stück in eine ganz andere Richtung (geil rumzucken, sich am Kopf kratzen, Grimassen, austrainierten Schauspieler-Body ausstellen, Berliner Schnauze, bissi Techno, Fuck up, chemische Drogen, großes Glück).

Was diesen Abend leider immer wieder kaputtmacht: der doofe Hintersinn, die Pointe (die diese Autorin doch so sinnvollerweise eigentlich vermeiden möchte!), das Parabelhafte, die Moral, der große Seufzer, die Klage, die in der Loher‘schen Kunstsprache dann leider doch ein wenig doof poetisch klingende Melancholie, aus der aber nie ein echter und sinnvoller SCHMERZ wird. Und so sind wunderbar beiläufige, vorbeischwebende, nicht auf den Punkt kommende, könnerhaft hingewischte, rechtzeitig abgebrochene Szenen im Kern dann doch, leider, leider und immer wieder viel zu oft: Kitsch. In den zwei, drei schwächsten Szenen ist Frau Yamamoto wie Fernsehen vor acht im ZDF. Da muss man auch immer weinen, oft in einer Art Sekundenerschöpfung, weil es so schamlos und direkt um so riesengroße GEFÜHLE geht (die armen Schauspielerinnen). Es ist knapp: doch ein bisschen anders, knapp: doch nicht wahr, knapp: leider nicht gut.

Dem Stück fehlen insgesamt Härte, Bösheit, Abgrund, Schärfe, Aggression, auch sprachlich der letzte böse und unerbittliche Zugriff, entschuldigen Sie, verehrte Frau Doher: Aber das Leben ist keine leicht-melancholische Sinnschaukel für Abonnenten. Und vielleicht das noch: Ein wenig mehr Geschwindigkeit, Struktur und Dramatik im Sinn einer sich steigernden, zunehmenden Verdichtung der Loher‘schen Leitthemen hätten dem Abend wohl gut getan.

Mein Leben ist ein FlixBus, wisst‘ ihr ja, Leude: Heute geht es mal wieder von Zürich nach München und dann weiter im herrlichen RegionalExpress in den Wald.

Das herrlich Zersiedelte, Zerklüftete, Zwielichtige und Gangsterhafte des Grenzorts Diepoldsau (mal Deutschboden-haft über fünf Monate in Diepoldsau an den Ecken stehen, wäre auch schon wieder Spiegel-Bestsellerliste):
Cashpoint, Sportwetten
Sutterlüty, mein Ländlemarkt
Hotel Sushus.ch
Buffalo‘s Café und Grill
Blecharbeiten. Laserschaden. Abkanten.
Tornado Pizza Kurier.

Viel Schnaufen, Husten, Spotzen in den Busreihen, #normal. Hinter mir eine 18-Jährige in herrlich schneeweißer Daunenjacke und mit Apple-Kopfhörern, im schweizerdeutschen Dialekt in ihre Freisprechanlage reinsprechend (kann leider noch nicht heraushören, ob das fett Zürich, fett Bern oder fett Basel ist):

„Megaherzig.
Megaherzig.
MÄGGAHÄRZICKRRR.
Mägganice.
Mäggastraight.
Mäggacool.
Bisch‘ no‘ do?
(…)
Jetzt hör‘ I di’ widda.
So witzickrrrr.
Mägga.
S‘ isch mägga.“

Lese atemlos den mittlerweile etwa sechsten Hintergrundbericht über die Männer-Freundschaft und Zweckgemeinschaft von Elon Musk und Mathias Döpfner, heute im Spiegel, die in logischer Konsequenz zur Veröffentlichung der AfD-Wahlwerbung in der Welt am Sonntag geführt hat. Und denke: True journalism ist doch einfach das Allergrößte.