19. Mai 2024, Samstag
Frau, 18jährig, Latzhose, auf dem Platz neben mir im Zug, zirka zwölf Zentimeter neben ihrer Schulter beginnt meine Schulter, durchs ganze Abteil in ihr Telefon krähend: „Ich habe eben meine Tage bekommen. Aber ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll. Denn das ist ja eine Woche zu spät.“ Ach Gott, ja. Ja. 🥱
#Normalität
Ich denke heute an: meinen alten Internat-Direktor Klaus Weidauer, der genau genommen schon nicht mehr Direktor war, als ich an die Schule kam, aber das macht keinen Unterschied. Altphilologe, Lehrer für Griechisch, Latein, Geschichte und Literatur, seit 1956 an der Schule, von 1963 bis 85 als Rektor. Er leitete den Filmclub, den man sich als eine von zwei Pflicht-AGs anrechnen lassen konnte. Der Alte, wie Klaus Weidauer dröhnend respektvoll genannt wurde, konnte es sich als einziger AG-Leiter leisten, 50 Cent Mitgliedsbeitrag pro Woche von seinen Schülerinnen und Schülern zu nehmen. Fehlte man unangemeldet, gab es eine Verwarnung. Zweites Mal unangemeldetes Fehlen: Zwangsexmatrikulation, ein nicht zuverlässiger Siebzehnjähriger wird beim Filmgucken in der stets überfüllten Mittelklasse nicht gebraucht, gehe gerne wieder Federball spielen, hier du bist raus.
Mein Internatsfreund Stephan Köhler, ehemaliger Leiter eines von ihm zum Florieren gebrachten, Nein, zu einem explosionsartigen Erfolg geführten mittelständischen Unternehmen. Jetzt: lässiges Mäzenatentum, beratend, Kunst sammelnd und mit ein paar totsicheren Immobilien-Spielereien unterwegs. Autosammlung, Anwesen irgendwo im europäischen Süden, tolle Ex-Frauen, alles da.
Daniel Reichwein, im Haupthaus des Internats Birklehof im sogenannten Madonnen-Zimmer zu Hause. Verließ in einer Mainacht des Jahres 1987 (oder war es 1988?) die Schule und verstarb. Warum? Warum kann ich jetzt nicht mit Daniel Reichwein reden, wenn ich möchte? Was ist los?
Die große Linde.
Meine wundervolle Frau.