3. Juli 2024, Mittwoch
Gestern Abend, die Niederlande spielte gegen Rumänien (3:1), den Essay von Gustav Seibt gelesen. Und des Nachts wunderte ich mich, dass ich überhaupt einschlafen konnte.
DER GROSSE TAUMEL, das Schlittern in die Katastrophe: Wir schlafwandeln eben nicht (Christopher Clark), die Allegorie zu 1913 stimmt nicht, wir sind wach, wir sehen es sehr genau, aber wir handeln nicht adäquat, wir ziehen keine Konsequenzen — wir denken, irgendwie wurschtig, weil wir es aus den vergangenen Jahrzehnten so gewohnt sind: Wird schon wieder gut gehen, da passiert schon nichts. In diesem Zustand des wurschtigen Wegguckens, des Augen-Verschließen, des Schaf-artig mit offenen Mund der eigenen Schlachtung entgegensehen stirbt die Demokratie, entfesseln sich Kriege, gehen ganze Welten zugrunde.
Die allesamt noch nicht verarbeiteten, natürlich endlos oft beschriebenen, tatsächlich „unfassbaren“ Unglücke der letzten Jahre:
Putin besetzt die Krim, und so schlimm ist das eigentlich nicht (Deutschland intensiviert seine Energiegeschäfte mit Russland); ein britischer Premier spielt mit dem englischen Volk und verzockt sich (sorry, ist schief gegangen, wollte eigentlich niemand, aber ist jetzt so, BREXIT); nicht mal die demokratische Kandidatin (Clinton) nimmt ihn ernst, und plötzlich ist ein Horrorclown amerikanischer Präsident (sorry, sorry, ungläubiges Entsetzen bei der Inauguration). Ein so genannter Mike Pence verhindert 2020 sehr knapp, dass in den USA eine Verfassungskrise eintritt und eine jahrhundertealte Demokratie mit Waffengewalt beerdigt wird. Die Partei der Demokraten schafft es über vier Jahre nicht, einen gesunden, nicht senilen Kandidaten aufzustellen, der halbwegs bei Trost ist und es 2024 mit dem Horrorclown aufnehmen kann: Das ist SEHENDEN AUGES in die Katastrophe gehen, jetzt ist es zu spät (Panik, Entsetzen, ungläubiges Staunen bei den Demokraten und auf der ganzen Welt). Ein französischer Präsident setzt — in einem Anfall von Wahnsinn — Neuwahlen an und verhilft so (Stand heute, Mittwoch, 2. Juli) den Rechtsradikalen in die Regierung (sie werden Europa zerstören und Putin dabei helfen, die Ukraine zu versklaven und Osteuropa zu schlucken). In Kiew plädiert ein EU-Ratspräsident (???) Orban dafür, Friedensgespräche mit Putin aufzunehmen (what?), während ein fassungsloser Selenskij um mehr Waffen fleht. Deutschland: Die große alte Dame der Sozialdemokratie plädiert dafür, den Krieg in der Ukraine einzufrieren (Mützenich), der Kanzler glaubt fest daran, mit zehn oder 12 Prozent wiedergewählt zu werden („Ich bin euer Friedenskanzler“). Und einer sieht ungläubig zu, wie der Westen sich zerlegt, „und kann sein Glück kaum fassen“: Wladimir Putin.
Ich weiß es auch nicht.
Die Stimmung ist natürlich auch: Jeder, wirklich jede und jeder wäre jetzt besser als Biden. Unter meinen Freunden — wir reden sonst über Nudelsoßenrezepte und Badehosenmarken, aber das geht in diesen Zeiten schwer — hat sich eine halbernst gemeinte Frage verbreitet: Würdest DU, mein Freund, meine liebe Freundin, wenn die Demokraten dich fragen, für vier Jahre nach Washington gehen und diesen Höllenjob tun, wenn du dafür die Demokratie, den Frieden und die Welt, wie wir sie kennen und lieben, retten könntest? Die Antwort lautet natürlich: JA! Wir stünden bereit.
Do the Michelle Obama.