1. Februar 2025, Samstag
#Zustromverhinderungsgesetz
Es fühlt sich, leider, alles so historisch an. Gerade noch mal nachgelesen, ob Franz von Papen (1879 bis 1969) nur doof oder doch tragisch doof war, also eigentlich guten Willens. Auch über den Kanzlerkandidaten der Union und Inhaber der einmotorigen Propellermaschine Diamond DA62, Friedrich Merz, wird man dereinst wohl lesen können, dass er halt das Risiko mochte; und beim Durchfliegen einiger Turbulenzen an jenem historischen 31. Januar 2025 für einige Sekunden aus Versehen den Steuerknüppel nicht fest in den Händen hielt.
Michel Friedman, seit 1983 Mitglied der CDU, ausgetreten: am 30. Januar 2025. „Der Tabubruch ist unentschuldbar.“
Wir kehrten gestern am frühen Abend zurück von einem Zwei-Tage-Ausflug von Zürich nach Berlin — der Ausflug war auf einen Schlag sinnlos geworden, als am Nachmittag des Mittwochs die Nachricht aufs Handy gekommen war, dass die Vorstellung des herrlichen 80-Minuten-Stücks Ja, nichts ist ok von René Pollesch krankheitsbedingt LEIDER AUSFALLEN müsse (Fabian Hinrichs war nicht bühnenfähig). Wir stellten also das Programm um und soffen praktisch 48 Stunden durch, Chateau-Bar, Freundschaft, Borchardt, Tor-Bar, Milano Bar, Diener Tattersall, Paris Bar, Eleven Eleven Club auf der Potsdamer Straße.
Heute, am Samstag, nach wirkliche panischem Verfolgen der Nachrichtenlage, die Erkenntnis: Das geht leider nicht, dass man sich 2025 ein René-Pollesch-Stück in der Volksbühne anguckt, als hätten wir 2003, als wäre weiter nichts und im Prinzip noch alles in Ordnung — während, erstens, Pollesch nicht mehr am Leben ist und, zweitens, die sogenannten demokratischen Parteien in einer Art „Nervenzusammenbruch der Demokratie“ (Olaf Scholz im Zeit–Podcast Alles gesagt?) der zweitgrößte Fraktion im Bundestag, der AfD, in einer Woche gleich zwei große Siege bescheren und ihr perspektivisch den Weg an die Regierung bereiten. ES GEHT NICHT. Und: Es geht offenbar doch erstaunlich gut, mit Fritz von Papen Merz als Kanzlerkandidaten und einem Bundeskanzler, der seinen Fraktionsvorsitzenden pathetische, von sich selbst ergriffene Otto-Wels-Reden schwingen lässt („Sündenfall“, „Tor zur Hölle“). Seit gestern wittert Scholz offenbar wieder die Chance, seine SPD doch noch über 12 Prozent zu bringen.
Natürlich ist Merz kein von Papen, sorry, sorry, und es ist auch fahrlässig und falsch und langweilig dazu (siehe Florian Illies auf Zeit Online), in diesen nicht nur eventuell, sondern sehr konkret gefährlichen Zeiten immer wieder mit 1933-Vergleichen zu kommen. Wir brauchen diesen zutiefst mittelmäßigen, natürlich auch zu alten Unions-Kandidaten noch als Kanzler, das wissen sie in Berlin, das wissen sie auch in der SPD. Und natürlich — lasst uns das so aussprechen, damit sich diese Gefahr vielleicht durch Zauberhand selbst bannt — wird sich Friedrich Merz nicht mit den Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lassen, das kann nicht sein, weil es nicht sein darf und weil dem Kandidaten das Talent zur wahrhaft historischen Tragödie dann bitte doch fehlt (selbst Rolf Otto Wels Mützenich glaubt das nicht).
Aber unsere Demokraten sollten jetzt — vielleicht kann man es so sagen — damit aufhören, bis zum 23. Februar weiteren unverzeihlichen Unfug zu veranstalten. Bitte: nicht versuchen, die AfD kleinzukriegen, das geht schief. Bitte: nicht versuchen, dem Volk aufs Maul zu schauen (Martin Luther) und es der angeblichen Mehrheit der Bevölkerung recht machen zu wollen — das kann noch bis nach der Wahl warten. Einfach: stillhalten, bitte, und versuchen, den Nationalsozialisten im Bundestag keine weiteren Sternstunden zu bereiten, das wäre schon gut — einfach nichts tun, das AfD-Abgeordnete im Bundestag dazu bringt, erst eine ganze aufgeheizte Debatte lang demonstrativ gelangweilt und superzynisch in die Handys zu gucken und dann laut zu lachen, zu feixen, zu applaudieren und sich schulterklopfend in den Armen zu liegen. Danke.
Und im Deutschlandfunk läuft, ein stiller Samstag im Februar, das Vorspiel der Traviata.