12. September 2024, Donnerstag
Am Bahnhof im Wald spielte sich heute Morgen gegen acht eine Szene ab, wie gestellt für eine Telegram-Video, das AfD-Anhänger untereinander teilen:
Ein zirka 20jähriger Mann, augenscheinlich aus dem arabischen Raum, augenscheinlich komplett druff (Tendenz: Speed, irgend etwas Chemisches jedenfalls, rot geränderte Augen, Spuckeflocken in den Mundwinkeln, panisches Auf- und Abrennen auf dem Gleis, panisches Headbangen, als hörte er Gabba-Techno, dabei hatte er nicht mal Kopfhörer in den Ohren). Der Typ wühlte nun in einer Papiertüte herum, holte eine Bierflasche hervor, zog die Flasche auf, heftiges Anziehen, fing nun an, seine orangefarbenen Adidas, wieder enorm panisch, mit einem Papiertaschentuch abzureiben — spiderte dann zum Fahrkartenautomaten vor, auf dem er herumdrückte und mit dem er offenkundig nicht klarkam.
Schöner Tritt unten in den Fahrkartenautomaten hinein, ein nicht zu heftiger (ging schon).
„Fotze.“
„Fotze, Fotze …!“.
Alles klar, dachte ich, Fahrkartenautomaten-Beschimpfen ist doch eigentlich immer gut.
Die Leute am Gleis, es waren etwa fünf, guckten weg, zogen sich ins Wartehäuschen zurück, eine nicht mehr junge Frau, Typ ordentliche Angestellte mit Daunenanorak und platinfarbenen Kleinstadt-Ohrringen, zog an ihrer Zigarette, sie warf mir einen „Oh weia“-Blick zu.
Da brüllte der Speed-Typ, wirr in Richtung der anderen am Gleis guckend, oh weia, sein rechtes Auge kippte ihm dabei ziemlich weg:
„Was guckst du? WAS GUCKST DU?“). Unklar, ob er überhaupt eine spezifische Person im Blick hatte, die ihn da angeblich doof anguckte (eher den Morgen, das Leben, die Welt an sich). Er war halt druff. Und offenkundig sehr wütend. Und dann fuhr schon, guter Moment, der Zug nach Hof ein.
Soll man so eine Szene in MadW, in der ein Druffi am Bahnhof im schlechten Licht dasteht und dabei als „augenscheinlich arabischstämmig“ beschrieben wird, jetzt besser nicht aufschreiben? Liefert man denen, die eh schon in ihren Ressentiments und Vorurteilen gefangen sind, so neue Munition?
Ich weiß nicht. Ich kann so nicht denken (ach so, und ich will es auch nicht). Ich erzähle hier halt was, Leude. Und ich schreibe seit jeher über alle möglichen Sorten Spinner (lustig, als „Spinner“ wurden in der brandenburgischen Kleinstadt auch immer jene astreinen Nazis bezeichnet, die am Herrentag mit Wehrmachtshelmen und Deutsche-Reich-Fahnen durchs Dorf latschten). Ich habe ja hier: auch schon sehr deutlich über sehr deutsche Freaks und Neonazis geschrieben. Und: Text von seiner möglichen Wirkung her zu denken, ganz gleich ob auf die Superbios vom Prenzelberg oder auf die Hornochsen im Erzgebirge, das finde ich falsch.
Zeitung lesen, wie man sie nur im Zug lesen kann. In der SZ ein Feuilleton von Andrian Kreye über Kamal Harris‘ Bühnenkunst beim TV-Duell („Noch ist nur die Debatte entschieden“, a must read, wie Lisa Feldmann sagen würde). In der ZEIT schreibt Axel Hacke über seinen Körper, der ihm wohl immer fremd war, auf der Titelseite sieht es leider so aus (Illu), als habe Hacke über seinen Penis geschrieben, was ja auch schön oder auch interessant gewesen wäre („Vom Leben mit kleinen Zipperlein (…): Der Schriftsteller Axel Hacke über einen faszinierenden Fremden, den er erst jetzt richtig kennenlernt/ Feuilleton“).
Um elf dann der lustige Notfallalarm: PROBEWARNUNG. FÜR DEUTSCHLAND. BUNDESWEITER NOTFALLTAG. Es besteht keine Gefahr.
Das erleichtert mich jetzt echt. 😎
In Berlin versuchen sie seit gestern wieder, eine erfolgreiche Kunstmesse zu veranstalten oder, wie sagt man, eine Woche der Kunst (Berlin Art Week). Immer schön.
Nächster Halt: Pegau. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.