15. Juni 2025, Sonntag
Und in dem Maße, in dem ich als Waldmensch in mein Waldleben hineinsank und die GENÜGSAMKEIT zunahm, ging mir das Gespür dafür verloren, was außerhalb meines Landkreis in der großen Welt geschah:
Trump machte die Tausendste Hohn-und-Spott-und-Hass-Nummer? Keine Ahnung, wie ich das finden sollte. Zero Gefühl.
Dobrindt kasperte sein „Wir fangen alle bösen Ausländer an den Grenzen ab und schicken sie in ihre Heimatländer zurück“-Theater durch, von dem wirklich alle, alle wussten, dass es ohne sinnvollen Effekt war und zudem die wunderbare Idee Europa ruinierte? Wer weiß, vielleicht hatte es trotzdem einen Sinn, weil es der sinnlosen Show-Erregung der Nationalsozialisten in Deutschland die Luft abließ. Insgeheim war ich Dobrindt jedenfalls dankbar.
Kürzlich war hier Constantin von Reitzenstein aus 95188 Reitzenstein/ Issigau zu Besuch. Wir saßen unten in der großen Küche, aßen Fleischpfpflanzerl, und es entspann sich, was man ein ausgesprochen friedliches und freundliches Gespräch nennen konnte. Wir sprachen tief aus dem Vertrauen heraus, dass wir uns nicht gut kennen mussten, um sehr persönliche Dinge miteinander zu besprechen — wie kriegst du das mit dem Älterwerden hin? Woran hast du gemerkt, dass es mit dem Älterwerden jetzt wirklich losgeht? — weil uns etwas Tieferes verband, das aus unserem Lebensstil kam, eventuell auch aus unserer Sprache, auch aus etwas so Konkretem wie unserem Schuhwerk. Zwischendrin fiel der nicht so schlechte Satz: „Ein Mann braucht drei gute Ärzte, einen Juwelier und einen guten Metzger.“ Freude, Gelächter.
Als es, noch früh am Abend, gegen neun, Richtung Aufbruch ging, schnitt Constantin, noch immer in dieser sehr schönen und warmen Stimmung, noch mal ein ganz neues Thema an, wieder pretty rolling, ganz ohne Einleitung: „Du weißt aber schon, dass du hier das denkbar selbstbestimmteste Leben führst, das ein Mensch, ich würde sagen: weltweit, jedenfalls in ganz Europa führen kann. Niemand redet dir rein, du bist dein vollkommener König. So frei wie du hier bist, ist niemand auf der ganzen Welt.“
Mich beeindruckten diese Worte, noch in dem Moment, in dem ich sie hörte, weil sie, erstens, das ausdrückten, was ich selbst seit geraumen Wochen oder Monaten als wundervolles Lebensgefühl wahrnahm, und weil ich, zweitens, genauso unmittelbar, eine komische Scham verspürte, die Umstände meines neuen Lebens so klar, so einfach, so unverschämt glücklich mit mir selbst AUSZUSPRECHEN. Ich ein König? Weil mir niemand in mein Leben reinreden konnte? War das nicht eine arg selbstgefällige, breitcordthosig-großspurige, fast schon vordemokratische Anmaßung, in dieser zerbrechlichen, feinen, komplizierten oberfränkischen Welt auf sein Königreich und seine Autarkie zu bestehen?
Ich fand dann: eher nicht. Sondern Constantin Reitzensteins Vorschlag, auf mein neues Leben mit großer Freude — mit nicht verklemmter Freude –– zu schauen, einfach nur schön und wahr. Natürlich erklärte Constantin dann auch noch, was ich Besuchern und Freunden nicht müde wurde zu erklären, nämlich dass die fränkische Königlichkeit — im Vergleich etwa zur oberbayrischen — ja eben eine sehr angenehm bescheidene, protestantische, ikeahaft billige, ganz unglamouröse, eben nicht angeberische war. Freude darüber, zum Abschied dann, dass wir leben durften, wo wir lebten.
Noch hält sich der Käfer zurück. Oder sehen wir ihn nur nicht?
Mit zwei Stunden Bäume-Auszeichnen am Freitag war die Woche zu Ende gegangen. Es war eher so gewesen, dass ich dem Förster dabei zusah, wie er in die Kronen blickte und dann wieder aus nächster Nähe in die Borken hinein (Bohrmehl? Ist der Käfer schon am Werk?), den einen Baum in den Blick nahm, den anderen wieder verwarf, und dann doch mit Schwung und schöner Entschlossenheit die Sprühflasche hochnahm und orangefarbene Markierung auf den Stamm setzte: „Den hier nehmen wir mit.“
Ich lief mit. Guckte mit auf Harzfluss, Wipfelbrüche, Fäulnissspuren, und versuchte, die lichten von den gesunden Kronen zu unterscheiden. Sagte, von Zeit zu Zeit: „Verstehe.“ Und weiter oben dann einmal: „Entschuldigung, aber wäre das nicht ein Eck, das man einmal komplett abräumt? Hier steht die Naturverjüngung doch schon so hoch.“ Und bekam Lob vom Förster: „Da gehe ich mit. Das kann man so machen.
Sonntag, the Sonnentag.
Schon früh um zehn war es zu heiß, um ohne Sonnenschirm auf der Terrasse zu sitzen.