15. Oktober 2024, Dienstag
Den Spiegel-Kanon der 100 besten deutschen Bücher des Jahres, falsch, der letzten hundert Jahre, von 1924 bis heute, gelesen, ach was, genau studiert. Natürlich total beleidigt gewesen, dass mein Deutschboden (2010) nicht dabei war, das gehört doch da voll rein, aber hey, normal, damit machen die wahrscheinlich ihre Auflage (mit beleidigten Autorinnen, die das verkehrt finden, dass ihr Roman es nicht in die Spiegel-Auswahl geschafft hat). Kanone sind extrem sinnvoll und immer wieder neu auszurufen, weil sie, bestenfalls, nicht etwas über die Zeit sagen, der sie sich widmen, sondern die Zeit, in der sie entstehen. Das Kriterium für einen guten Kanon muss natürlich in der Zahl der Bücher liegen, von deren Existenz man absolut keine Ahnung hatte, das wären hier unter anderem:
Fritz Rudolf Fries‘ Der Weg nach Oobliadoo (1966)
Franz Führmanns Von Feuerschlünden (1992)
Christian Krachts Faserland (1995), haha, kleiner Gag
Christoph Heins Landnahme (2004)
Andi Bernards Kritik von Handkes Wunschloses Unglück hat mich gerührt, das geht ja gar nicht anders (er, Andreas, empfahl mir einst das Buch, als ich ihm sagte, ich habe, glaube ich, noch nie etwas von Handke gelesen, ist der denn gut?, das muss so, geschätzt, 1998, in der goldenen Münchner Zeit, gewesen sein, des Freundes Werbespruch lautete damals, das weiß ich auch noch: hundert Seiten, das liest du in einem guten Nachmittag weg), allein die drei in seiner Spiegel-Kritik erwähnten direkten Zitate aus dem Roman machen einen fertig („Im Zorn schlug sie die Kinder nicht, sondern …“).
Und weiter im Spiegel, man liest das Blatt ja dummerweise nur noch alle zwei, drei Jahre, was natürlich falsch ist. Das Interview mit Thomas „Ich verstehe den Zeitgeist nicht“ Gottschalk ist sehr, sehr toll, nicht, weil er so ein interessanter Trottel wäre (ist er auch), sondern weil so viele Trottel in Deutschland, Jahrgang 1950, in deutschen Kleinstädten aufgewachsen, wie Gottschalk sind — sie haben bloß keine Plattform, von der aus sie sprechen können, kein politisches Amt, keine Yogaklasse, keinen Podcast, keine Radiosendung etc.
Jetzt mal im Ernst: Thomas Gottschalk ist so ein wahnsinniger Idiot. Wie er sich über eine Halle voller brüllender Take-That-Fans lustig machte, das vergessen wir ihm nicht. Es ist außerdem ganz unverzeihlich dumm, als Mann ganz gleich welchen Alters die „Ich gehe nicht allein mit einer Frau in den Aufzug“-Nummer zu erzählen, you can not win, und auf den dummen, dummen Mohrenkopf zu bestehen. Gleichzeitig ist die Herzlosigkeit und brüllend laute Unbegabung der beiden Spiegel-Interviewerinnen immer wieder neu schwer zu ertragen. Man muss Gottschalk mögen, wenn er seine Blonder-Ex-König-des-ZDF-Bedürftigkeit offenlegt, er will einfach so doll gemocht werden, er war doch einmal so locker und swinging, so herrlich unvorbereitet und trotzdem gut und versteht nicht, dass das alles, alles vorbei sein soll: Geht es menschlicher, als dass einer keiner Hemmung hat deutlich zu sagen, dass er sich alt und dumm und abgelaufen und ungebraucht fühlt? Letztlich eben doch: Vorbild Gottschalk.
Wir driften hier durch die goldenen Herbsttage. Eine Stunde lang an der Kleppermühle mit den Wasserbüffeln unterhalten. Die großen, grauen Raubtiere im grünen Wasserbottich sind Welse, man setzt sie unter anderem dafür ein, um Teiche leer futtern zu lassen.
18 Uhr. Der Tag geht, Kulmbacher Edelherb kommt.