19. November 2024, Dienstag
Sehr lustig mit Andi Bernard telefoniert, gestern war er zum ersten Mal in der auch nicht mehr ganz frischen Hipster-Zentrale Voo-Store in einem Hinterhof auf der Berliner Oranienstraße gewesen, wo ihn wundersame Mischwesen aus Mann und Frau mit Topfschnitt, Drei-Fünftel-Hosen, bunten Burlington-Kniestrümpfen und Glitzersternen auf der Backe darauf hingewiesen hatten, dass der Laden selbstredend nach Marken, nicht nach Geschlechtern sortiert sei. Auch ein Schock: 30 Jahre nach den Wildleder-Turnschuhen von New Balance und den Anzughosen von Helmut Lang war Andi mit einem Schlag eingefallen, dass ein paar neue Klamotten im Leben von uns immer älter werdenden Männern ab und an eine gute Idee sind.
Im nachmittäglichen Telefonierschwung hatte ich Andi dann gleich mit einer sehr aktuellen Einkaufsgeschichte aus Zürich geantwortet, auch superlustig, haha: Idee war eine schwarze Weste von Patagonia gewesen, wattiert, für den November geeignet, eventuell auch zum Unters-Tweedjackett-Anziehen, Hundert Mal schon gesehen, nichts besonderes, ein Klassiker. Und doch hatte ich beim Loslaufen in die für ihre Markenboutiquen und hübschen Accessoire-Läden bekannte Altstadt schon einen merkwürdigen Grimm gespürt: Eine einfache Patagonia-Weste würde es, in meiner Größe, natürlich nicht geben. Das war einfach so, weil das Leben 2024 so war — weil der Konsum im Zeitalter des Turbo-Kapitalismus einfach eine runtergekommene, kaputte Scheißsache war, die man hassen konnte, nicht etwa, weil der Kapitalismus ethisch und moralisch so ein absolutes Desaster darstellte und die Umwelt ruinierte, sondern weil das Einkaufen — nach Superpop und Hollywood, das letzte wirkliche Vergnügen — ganz praktisch einfach immer nicht funktionierte: Das Scheißzeug gab es einfach immer nicht in den richtigen Größen.
Also schon sinnlos stinksauer, bevor sie überhaupt nachgucken konnte, vor der armen Patagonia-Verkäuferin in der Zürcher Löwenstraße gestanden, mit der schwarzen Patagonia-Weste in der Hand, nach meiner Größe krähend: „Die Größe L? Die Größe L? DIE GRÖSSE L?“ Nein, sie hatte M und XL da, das Modell sei ein absoluter Klassiker des Sortiments, die nächste Lieferung aber nicht vor Februar zu erwarten. Und ich sagte dann, superzickig, überreizt, schon auch, weil ich dachte, das ist einfach so herrlich und so notwendig, so etwas zu sagen, und mein Durchdrehen als Enkel eines ehemaligen Thalia-Theater-Ensemblemitglieds natürlich auch ein bisschen genoss — der armen und natürlich unschuldigen und hilflosen Patagonia-Verkäuferin ins Gesicht: „Wissen Sie, woran mich Ihr Einkaufsparadies, Ihr schönes Zürich, erinnert? Es erinnert mich an die DDR. AN DIE DDR!“ Absolut ratlose, freundliche, mir noch einen schönen Tag wünschende Verkäuferin: Ade, uf Wiederluege. Ja, ich möchte mich natürlich sofort bei Ihnen entschuldigen, herzlichen Dank noch mal.
Eben ploppte irgendwo auf, dass sie heute endlich Scholz gegen Pistorius auswechseln: endlich! Und es war gleich auch: zu schön, um wahr zu sein.
Tapas und Rotwein in der Bodega, Münstergasse. Stattliche, gut gekleidete, silberhaarige Zürcher, jenseits der 70. Weit davon weg, sinnlos rumzukeifen. Im Reinen mit sich.
Am Abend dann: Eröffnung bei Karma. Das Schaulaufen der Zürcher Hipster-Haute-Vaulée, kein bisschen schlechter aussehend als das Berlin Kunst-Kasper-Volk, eher besser (Problem Zürich: Alle tragen zu viel SCHICHTEN von teurer Kleidung übereinander, tragt mal eine Carhartt-Jeans oder ein weißes T-Shirt zwischen den japanischen Concept-Store-Stücken, dann geht‘s). Das bunte Nichts by Nelly Rudin (1928 bis 2013, erst Grafikerin/ Plakatgestalterin, seit 1968 dann ganz bei der Konkreten Kunst). Trapeze, in der Einfassung/ im Rahmen in den Pop-Signal-Farben Rot, Gelb, Blau, Grün, die das Nichts, das WEISS DER WAND, zeigen. Bissl flach, bissl simpler Effekt. Und trotzdem sehr angenehme Assoziationen. Und Anna erklärt am nächsten Morgen beim Frühstück: Das ist ja auch genau die Grundidee von Apple — Leerraum durch Weiß. Und ganz bissl Grau. Ach so!