22. Oktober 2024, Dienstag

Das Klavier in der großen Halle spielt: Tous Les Garcons Et Les Filles(Françoise Hardy). Oh my God. Wusste ich gar nicht, dass das auf einem Barklavier funktioniert. 

Dann: How Deep Is Your Love, Bee Gees. 

Dann: The Way You Look At Me. Die sicher nicht geniale, späte Swing-Version von Bryan Ferry (1996). Alles, alles ist in diesem Song, dien komplette Welt. Tränen. 

Das Bier: bitte in einem Weinglas. Danke, Danke (Dieter Meier). 

Andreas Isenschmid (muss man hier nicht vorstellen, seit dreißig Jahren Stammgast) und Christoph Marthaler, mit ihren Frauen am Tisch, tauchen jetzt richtig in die Unterhaltung ein: Marthaler erzählt etwas, Marthaler style, sicher leider wieder wirklich sehr lustig, über das gerne alle noch viel lauter lachen würden.

Mit dem einladenden, sehr nahen Familienmitglied (weiblich) über die Paare an den anderen Tischen im Speisesaal geplaudert. Eigentlich über nichts anderes gesprochen. Es war so kurzweilig. Grandiose Schwulenpaare (ganz normal), Schwule sind einfach die führenden Menschen auf Erden, beste Bärte, beste Frisuren, funkyste Gesichtsausdrucke, am besten aussehende, dünn trainierte Körper, sie haben das easy game der Abendgarderobe am besten drauf (es sieht null verkleidet aus), herrlichste Art, ihre gepflegte Langweile zu zeigen, ohne sich dabei gegenseitig zu verletzen (es heißt einfach: Mir geht es gut, Baby, mir geht es gut), ein gay couple saß sich BÜCHER LESEND am Esstisch gegenüber (einer hielt Anne Applebaums Die Achse der Autokraten vor sich, der andere eine der uralten, rote gebundenen Salto-Wagenbach-Ausgaben), und es sah nicht ausgedacht aus, es ging. Dann musste ein noch wirklich ziemlich junges Paar analysiert werden, er wohl so 40 (dunkler Typ, schmal, bissl sportsüchtig, früher hätte man gesagt: sicher Russe), sie vielleicht 28 (oder noch jünger, wirklich jung, iranischer Typ, Sixties-artig dunkle Augen und hohe Wangenknochen). Und meine in den Sechzigerjahren sozialisierte Begleitung sagte: „Jetzt denkt sie sicher, dass sie mit ihm schlafen muss, nur weil er sie in ein teures Hotel einlädt.“ Und ich entgegnete, obwohl mir dieser altmodische Sixties-Feminismus natürlich gefiel, nicht ganz ernst gemeint, an der Stelle aber doch wirklich interessiert an einem Gespräch: „Ist das denn nicht ein schöner Grund, mit jemandem zu schlafen?“ Gelächter, in so einer komisch ernsten Art (ich erkenne an, dass du da etwas Lustiges sagen wolltest, aber das hat nicht geklappt). Dann im ernsten Ton, meine sehr nahen Verwandte setzt jetzt ihren Punkt: „Nein, das ist furchtbar, wenn Frauen sich diesen Druck machen.“ Und ich dachte über die sehr nahe Verwandte nach, die seit 1979 maßgeblich für meine Erziehung mit zuständig gewesen war: „Sie sieht doch ganz glücklich aus, findest du etwa nicht?“. Und sah, dass sie, das Cheekbone-Baby, während er irgendwie versuchte, nicht alt zu sein, andauernd in ihr Mobiltelefon guckte (schrieb sie ihrem Freund, der von ihrem Ausflug mit ihrem Liebhaber nicht wusste, schrieb sie einem alternativen, während des Waldhaus-Ausflugs warmgehalten Liebhaber, oder checkte sie nur das saudumme Instagram? Über all das musste sich der schmale, sportliche Russe, der doch nur mit ihr essen gehen wollte, sich jetzt Gedanken machen), und er, der schmale, sportliche Russe mit der viel zu jungen Frau, hatte sofort meine Empathie. 

Idee: Was mittelmäßige Schreiber nicht schreiben können, während ein Barklavier im Hintergrund klimpert, das sollten sie ganz vergessen. Und den schreibenden Nobelpreisträger überlassen. Wir, das schreibende Fußvolk, brauchen bisschen Geklingel nebenbei. Ich möchte damit sagen, dass ich, während der Piano-Mann (Don‘t shoot the guy!, Elton John) gerade Fool On The Hill der Beatle spielt, die Notizfunktion meines iPhones volltippe, und es fließt nur so aus mir heraus, es läuft doch ziemlich gut.

Jetzt reicht‘s aber mal wieder mit dem Scheißluxus. 😘😘. Es ist nicht ganz wahr, dass Wohlsein enorm uninteressant macht (und eine brutale Gedankenleere zur Folge hat), aber doch fast. Mein Superhit Deutschboden hätte jedenfalls nicht im Waldhaus in Sils Maria spielen können. Morgen ist Abfahrt, nach fünf Tagen großen Salons. Wie sagte das einladende Familienmitglied heute, so lässig nebenbei, vom bis 22 Uhr geöffneten Kassenhäuschen zum klimpernden Klavier zurückkehrend? „Ich liebe es einfach, Geld auszugeben.“ Strike. Punkt.