23. August 2024, a travelling Friday
Gestern gab es Ärger, weil ich im Schumanns, genauer: draußen, zur Ludwigstraße hinaus platziert, wo, wie gesagt wird (Thomas Bernhard 😎), nur die Schönen, sehr Schönen und die Mega-Dödels sich versammeln (während zum Hofgarten hinaus die ein wenig intelligenteren, zivilisierten, diskreten, kultivierten Schumanns-Gäste zu Abend essen), und auf dem silbernen Metallstuhl neben mir Charles selber Platz genommen hatte und ein wenig plaudern wollte, alles wie immer, bissl widerwillig, gut grantig, gleichzeitig absolut reizend und liebevoll, doing the Charles-Mischung, showing some Stammgast respect — ich hatte jedenfalls Ärger bekommen, vom Boss selbst, weil ich in seiner Anwesenheit, beim hübschen, noch recht jungen, mir namentlich nicht bekannten Kellner „noch ein KÖSTLICHES Bier, bitte“ bestellt hatte, und man sah bei Charles gleich den Schmerz im Gesicht, er schnauzte/ fuhr mich an, the Charles way, dieser berühmt bewegliche, beim Sprechen boxende, in diesen Jahren unfassbarerweise schon über-achtzigjährige Mann:
„Das bestellst du gleich noch mal, Moritz. EIN BIER heißt das, nicht ein köstliches Bier“.
Und ich wusste sofort, dass er recht hatte und die Kombination von köstlich und Bier absolut nicht richtig, scheußlich, beinahe schon richtig peinlich war und ich affig und schwurbelig bestellt hatte, wie so ein Mit-spitzem-Mund-Degustierer vom Prenzlauer Berg. Denn Charles, auch er, das weiß ja auch jeder, zumindest in München und in den besten Bars von Japan und Kyoto, auch er hat: das ABSOLUTE GEHÖR. Er teilt zu recht aus, wenn einer beim Bier-Bestellen mit köstlichem Bier anfängt. Und ich schämte mich sogleich, und der Rest des Gesprächs war dann naturgemäß nicht einfach. Und heute, beim Frühstück am Sendliger Tor, schickte ich Charles gleich noch eine Nachricht hinterher.
Ich versuchte noch irgendetwas Neues zu den kommenden Landtagswahlen im Osten zu denken. Schwer. Dinge, die ich schon öfter beobachtet habe, aus meiner Sicht allesamt nicht falsch, aber eben auch nicht ganz neu:
Die AfD-Wählerin/ der AfD-Wähler hat, im Gegensatz zu vor drei, vier Jahren, ziemlich gute Laune.
Die AfD-Wählerin/ der AfD-Wähler hält sich selbst für Avantgarde/ das Kommende/ die neue Zeit (die extrem böse und sehr erfolgreiche und effektive Worterfindung der Altparteien).
Der AfD-Wähler hat diese Mal das High, dass er Gewinner sein kann und noch mehr: ein GEWINNERTYP, es strahlt auf ihn und seine Attraktivität ab — schön Augenbrauen-rasiert und auftrainiert und aufgepumpt und neonfarbend gekleidet und nach einem schon Douglas-Duft duftend, mit vor der Brust verschränkten Armen steht er, von mir aus auch mit hässlicher Runen-oder Pitbull-Tätowierung auf dem Unterschenkel, und spricht: „Mir ist alles scheißegal, ich haue jetzt rein, ich lass mir von niemandem etwas sagen, ich bin gut drauf, ich wähle jetzt AfD.“
Das wird der Epochenbruch der drei Ostdeutschland-Wahlen sein: Wir holen hier den ersten Platz, man gehört mit uns jetzt zu den Gewinnertypen, der ewige Loser-Nimbus (wir sind die Hässlichen, die in der Ecke stehen müssen und mit denen niemand spricht) ist weg. Und dann wird der nächste Hit/ der nächste Schocker sein, dass sich eine auf den ersten Platz gewählte AfD eben NICHT mäßigt oder auch nur in der Sprache abrüstet (siehe Trump, Orban, die polnische PIS-Partei, siehe 1933), sondern, im Gegenteil, man überzieht seinen Gegner weiter mit Hass und Lügen und Drohungen, und dann geht es an die Arbeit, aufräumen, zersetzen, schließen, verbieten, abwickeln, neue repressive und autoritäre Systeme schaffen, also den Faschismus vollstrecken, den sie seit Jahren in ihre Programme geschrieben und auf Marktplätzen verkündet haben (schon klar, es bräuchte einen Koalitionspartner, den es bei diesen Landtagswahlen vorerst noch nicht geben wird, da bin ich sicher — oder soll man da nicht so sicher sein? —, dass 2024 noch nicht das Jahr ist, in dem die AfD den Ministerpräsidenten stellt).
Dass einer AfD-Wählerin/ AfD-Wähler ist, das macht mir diese Menschen noch nicht von vorne herein oder automatisch unsympathisch (Hinweis von Rainald am Dienstag, ich wusste, glaube ich, sofort, von was er spricht), eher im Gegenteil. Das alte Ding: Der Provokations-Fun ist nach wie vor sehr groß, es macht einfach Riesenspaß, auf der Seite der Bösen, der Arschlöcher, der Ausgegrenzten, der Gefährlichen, der Unmöglichen zu stehen. Und jetzt kommt eben, wie gesagt, noch der Glanz des Auf-Platz-Eins-Platzierten hinzu. Hässlich, voll dumm, voll prall, astrein faschistisch, voll gut gelaunt und ganz vorne. #Angst
Auch überhaupt keine neue Erkenntnis, aber man wird sich am 1. September um 18 Uhr daran erinnern müssen, wenn die Zahlen auf den Bildschirmen erscheinen, so, wie es für Thüringen, für Sachsen und später dann für Brandenburg ja eher seit Jahren als seit Monaten prognostiziert wird: Nazi sein ist Pop, so wie es vor 50 Jahren Pop war, in einer K-Gruppe oder bei der Bewegung 2. Juni oder den RAF-Sympathisanten zu sein und da menschenverachtende, kalte, technokratische, abgehobene Scheisse zu erzählen — ein konkretes zusätzliches Plus im Sozialen, auf das sich alle einigen können, wie sehr gut aussehen, einen guten Musikgeschmack haben oder teure Turnschuhe tragen.
ZOB Arnulfstraße.
Wir wünschen euch eine angenehme Fahrt mit Flixbus.
Woran liegt das, dass ich die Stunden im Flixbus (Klimaanlage, Internet, das angenehm erhöhte Fahren, das Federn und Schwanken des Fahrgehäuses) anders als in ICE oder RegionalExpress wirklich als geschenkte Zeit erlebe? Liegt das daran, dass die Leute sich im Bus anders disziplinieren als in der Bahn? Seit Jahren kriegen wir gesagt, dass der Zug das bevorzugte zeitgemäße Fortbewegungsmittel zu sein hat, aber es hat nicht geklappt: Ich reise am liebsten im Auto und im Bus.