28. Juli 2024, Sonntag

Zu Berlin und allen klassischen Berlin-Themen — ist es Scheiße hier? War es eventuell schon immer Scheiße? — habe ich mittlerweile dieselbe Meinung, auch dieselben Ressentiments, dieselbe Abscheu und vor allem dieselben Ängste wie der hinterletzte Neonazi aus dem Erzgebirge. Ich sehe überall:

Kaputte
sonstige Kaputte
Drogensüchtige
Party-Leichen
Party-Leichen aus schwäbischen Dörfern
Party-Leichen aus Osteuropa
Party-Leichen aus Island und Skandinavien
gewöhnliche Crack-Süchtige
Veganer
Hanf-Verblödete
Total-Verwirrte
Vollgesabberte
Gepiercte 
U-BahnfahrerINNEN, die aus Prinzip nicht duschen 
verblödete Linken-Wählerinnen
1977 Zugezogene
Psychotherapie-Freaks
Transgender-Aktivistinnen
Heulsusen
Kleinkünstler
sonstige Lebenskünstler 
Lastenrad-Opfer
Bioladen-Heulsusen
V-Schuhe-Trägerinnen
ZEIT-Online-Leserinnen (Haha)
sonstige Sandalenträger
Salafisten
Bibelchristen 
Jesus-Freaks
Tantra-Sex-Freaks
Free-Palestine-Aktivistinnen
Clan-Mitglieder aus Arabien
Clan-Mitglieder aus Vietnam
Clan-Mitglieder aus Tschetschenien

Scheiße! 

Paar Ressentiments zu Berlin, das geht doch immer. 😘😘

Das Ressentiments-Aufbuchstabieren ist etwas, das nach hinten raus im Leben leider auch immer schlechter funktioniert (sollte man in jungen Jahren hinter sich haben, wie Porsche-Fahren).

Als ich 2002 zum dritten Mal nach Berlin zog, sagte mir ein befreundeter Mensch, im Denken und Dinge-Sagen sehr gut: „Moritz, schön, dass du jetzt auch wieder hier bist. Lass uns bitte eine Sache gleich klarstellen: Über Berlin nachdenken und reden ist verboten.“ TRUE. Ich habe dem nur hinzuzufügen: Man soll halt woanders hingehen, wenn man hier alles muffig, spießig, stehengeblieben, hässlich, asozial, apricot-farben angestrichen und brutal schlecht verwaltet findet. So: I did. So: Nearly everyone I know did. #Normalität Das große Berlin-Argument der letzten zwanzig Jahre — man muss halt hier sein, weil alle hier sind — es ist dann irgendwann auch nicht mehr wahr. 

Ich wollte noch eine brutal erfreuliche Anekdote hinzufügen, es sind dann, versprochen, die letzten Sätze zu Berlin: Auf dem verdreckten Mehringdamm, der natürlich auch herrlich ist (und genauso unerträglich für alle unter 21 Jahren) stand ich mal wieder, staunend vor Glück, vor dem Tinto-Späti, Mehringdamm Ecke Gneisenauer Straße: Warum ist diese Bude vielleicht doch der tollste, großstädtischste, flyste, glitzerndste Ort Europas? 

Exakt da bemerkte ich — übrigens nicht selber, sondern von einem Freund darauf hingewiesen — dass zwischen den grandiosen Großstadt-Randalierern (Zopfträgern, Achselhemd-Trägern, Hauswarten, Auftrainierten, UFC-Fightern, Gangster-Rap-Prinzen), ganz in Echt und ganz normal Neil Tennant von den Pet Shop Boys saß (weiß man ja, seit Jahren, dass Neil Tennant und Chris Low praktisch nach Berlin gezogen sind, in den Hansa-Studios aufnehmen und mit Wolfgang Tillmans schön vegetarische Pasta zu Hause machen, trotzdem war es toll). Grandios gekleidet, ein mittlerweile schon richtig alt gewordener, würdevoller, britischer Herr, erst auf den zweiten Blick als der zu erkennen, der er war: schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarzer Bowler-Hut, Flasche Budweiser vor sich. „So Moritz, guck mal. Und da, mittendrin im Bild, sitzt Mr. Neil Tennant.“ Er unterhielt sich mit einem Zopf-tragenden Althippie, ebenfalls ein Bud vor sich. 

Und dann sitzt man paar Wochen später im Subaru, fahring the Autobahn, und Neil Tennant von den Pet Shop Boys singt (A New Bohemia, neues Album) über das Haus neben dem Tinto-Kiosk, in dem er angeblich seit Jahren wohnt und, so meine Idee, das Paradeleben eines Intellektuellen im Krisenjahr 2024 führt, mit Schostakowitsch-Sinfonien-Hören und New Yorker-Online-Lesen: 

Like silent movie stars in 60’s Hollywood
No one knows who you are in the hipster neighborhood
Your only friend is a memory of a dream
Walking down the Strip looking for the latest scene

OMG. 

Zum Hisbollah-Israel-Konflikt kann ich nichts sagen, weil ich zum Hisbollah-Israel-Konflikt eben nichts sagen kann, ich schaue da mit offenem Mund zu, ich könnte nur sagen: „Aufhören, aufhören!“, es überfordert mich.

Es regnet schon wieder so toll im stinkenden Berlin, jetzt gerade, am Sonntagmittag um 12. 
In diesem Jahr erst so richtig verstanden, wie toll Sommerregen sind: ein Synonym für das LEBEN (oh Gott, ich weiß, ja, sorry, sorry).
Die Regen der Sommermonate Juni, Juli: Sie werden bleiben.