5. Juni 2024, Mittwoch
Seit nun vier Wochen schon ist DJ Hell, gebürtig aus dem Chiemgau, hier zu Besuch, oder sind es schon sechs Wochen? Wir schwimmen, auch wenn es tropft und grau vom Himmel runterhängt, stromern durch Wald und Wiesen, Tom Sawyer und Huckleberry Finn style, nicht siebzehnjährig, schon eher zwölfjährig, auf der Suche nach den Gefühlen von ganz früher, der goldenen bayerischen Kindheit (Zeltlager bei Vilsbiburg/ Landshut), hängen sinnlos lang in Eiscafés, probieren neue Hüte aus, essen immer noch eine Leberkäs-Semmel, time out.
Ein Problem ist, das merke ich immer, wenn die gemeinsamen Stunden in die Hunderte gehen, dass ich mir etwa die Hälfte meiner Sprache von DJ Hell abgeguckt habe (die andere Hälfte von Christian Kämmerling, das weiß er auch, das sage ich ihm immer wieder), er kann das ganz normale Palavern, das Zeug erzählen einfach so viel besser als andere.
Hell Classics, die ich schon ganz automatisch seit etwa 2002 auch immer sage, erfreulicherweise hat er selber deshalb nicht aufgehört so zu sprechen:
Wieso?
Ah jaaaa.
Das müsst‘ ich jetzt selber mal ausprobieren.
Au’ wieder wahr.
Unäääh (für „und, ähhhh“)
Du spinnst.
Oder so ähnlich.
So gesehen: Uslar hat gar keine eigene Sprache, es gibt eigentlich nur diesen absolut einleuchtenden, mich virusartig ansteckenden Hell-Kämmerling-Sound. Ist das ein Problem? Ich finde: ganz im Gegenteil!
So richtig offiziell wurde Hells Sprach-Könnertum, als er – im zweiten Corona-Sommer 2021 müsste das gewesen sein – die DREI KOMMENTARE nannte, DIE IMMER PASSEN, sie stellen sich idealerweise im locker-unangestrengt vor sich hinploppenden Gespräch ein, sie bilden die maximal gut sitzende und lässige Antwort, mit der man weder unangenehme Dezenz noch falsche Zurückhaltung demonstriert, noch anders unangenehm noch vorne drängt, man hält das Gespräch AM LAUFEN, bleibt in der Zuhörerrolle und wirft das Kleingeld nach, während die Person vor einem immer weiter schwafelt und sich um Kopf und Kragen redet. Die DREI GROSSEN, die drei Kommentare also, die immer gehen, so damals Hell, sie kämen natürlich aus dem Sportkontext: Genervter Fußballer (1860-Spieler) muss nervig aufgedrehter, kreischiger, übergriffiger, grausig ehrgeiziger und hohler Sport-Kommentatorin gleich nach Abpfiff am Spielfeldrand ein Interview geben, und – das könnte er auch noch sagen, so Hell, so viel Zeit müsse scho’ sein – die drei großen Goldenen habe er sich AUCH nur angeeignet, sie kämen nicht von ihm, sondern vom Münchner Strizzi Thorleif, allseits bekannt als großer Unterhalter, Playboy, Discotheker, Partyveranstalter, große Nervensäge natürlich auch, aber ist ja nicht schlimm.
Die drei großen also, die immer gehen, sie lauten – Achtung, man denkt beim ersten Lesen, SO gut sind sie ja doch nicht, aber dann kommen sie, big time, vor allem, wenn man sie in Gesprächssituationen bringt, an denen sie nicht richtig passen, also richtig schön windschief drinhängen im Gespräch:
Zu recht.
Ich habe ein richtig gutes Gefühl.
Ich verstehe die Frage nicht.
Haha.
HAHAHAHA.
Das mit dem „Zu recht“ muss man wirklich mal für sich für sich ausprobieren, so geht königliches Sprechen.
Beispiel: 19 Uhr in einem vornehmen italienischen Lokal, vor drei ultravornehmen, weiß-befrackten Kellnern.
„Ich glaube, ich nehme noch einen Cappuccino.“
„Einen Cappuccino, um diese Uhrzeit? Bist du sicher?“
„Ja, warum nicht? Spinnst du?“
„Zu recht.“
HAHAHA.
Sorry. SORRY.
Wir schwärmten von unserem Freund Martin in Brandenburg. Den wir, wie immer, sehr vermissten.
Gegen 23 Uhr wurde es dann sehr siebzehnjährig. Gespräch über die Liebe:
I love you, da gibt‘s ja keine Steigerung.
Doch, ich liebe dich.
Scheiße, stimmt. Ich liebe dich, das ist das Nonplusultra. I love you kann ich trotzdem nicht schreiben, das bin nicht ich, das geht nicht.
I think, I love you ist gut. Damit sagst du ihr, dass du sie gut findest. Aber dass du trotzdem nicht aufgehört hast zu denken,
DAS ist gut. DAS schreibe ich ihr. Jetzt. Sofort.
Frankenpost, Seite 7: „Eine 71 Jahre alte Autofahrerin verliert bei Arzberg die Kontrolle über ihren Wagen. Sie bleibt unverletzt.“
Schönwald. 10.000 Euro Schaden und ein schiefer Telefonmast sind die Bilanz eines Unfalls am Lindenweg.
Massive Hoffnungs-Schübe, sinnlos, stimmt. Schwere Atmung.
Erleichterung.