5. September 2024, Donnerstag
Sitzenbleiben
Fenster zulassen
nicht ins Handy gucken
weiter sitzenbleiben
sich zur Verfügung stellen
in die Tastatur tippen
fließen lassen
flowten lassen
warm werden
weich bleiben
die Temperatur halten
die Ohren aufmachen
auch mal Fieber messen, zwischendrin
das tolle Hartplastik der Apple-Tastatur wirklich auf den Fingerkuppen spüren
immer eine Stufe unter der Konzentration bleiben: INTUITION
sich selber zuhören, was man zu sagen hat
den Kopf Stand-by halten, nie ganz anschalten
DÄMMERN: mein Idealzustand beim Schreiben
im Kopf den Text — das, was man eben hört beim Schreiben — dirigieren
dran bleiben
nicht loslassen
und doch: loslassen, ganz leicht
zuversichtlich bleiben
jetzt Speed aufnehmen: raushacken
Und dann doch: KONZENTRATION
Mein alter Freund Sebastian Peetz aus dem Internat — Künstler, Grafiker, Illustrator, was man eben so ist, wenn man echt begabt ist und es laufen lässt, wir hatten vor 35 Jahren im Internat im Schwarzwald zusammen Abitur gemacht — er hatte mir geschrieben, ob wir uns für ein Mittagessen im Borchardt‘s sehen. Sehr gerne!
Wir feiern heute 35 Jahre Abitur, Moritz.
Ach, echt? Wie schön. Da freue ich mich. Aber das war doch im Mai, gar nicht im September.
Nee, das ist egal. 1989, 2024, 35 Jahre. Das zählt.
Schön. Also feiern.
Wir redeten über die anderen Leute im Borchardts, über Schnitzel, Nachspeisen, das Geheimnis einer 27jährigen Ehe (Sebastian und seine Frau), Kunst, Kohle, Kino (der geile Speedfilm C‘était un Rendez-Vous von Claude Lelouch, kannte ich gar nicht, alle anderen kennen das natürlich, er heizt im Ferrari 275 GTB quer durch Paris und den Montmartre runter, um eine blonde Frau zu treffen, Cercle du Bois de Boulogne, Avenue Foche, Arc de Triomphe, Champs Élysées, Place de la Concorde, Quai des Tuileres, keine Dreherlaubnis, Vollgas, kein Schnitt, 11 Minuten lang, keine Dialoge, nur der brüllende Motor, Tauben stoben auf im frühmorgendlichen Scheinwerferlicht, enorm simple, klare, harte durchschlagend gute Ansage), Kram halt, das besprachen wir, null aufgesetzt, nah, assoziativ, von hier nach dort, vor und zurück springend, vertraut, null anstrengend. Als wäre das eigentliche Treffen, es war ja das erste zwischen uns seit etwa zehn Jahren, erst morgen, und wir hätten heute noch ein wenig Zeit extra, nur um Blödsinn zu reden. Ideal.
Wir sagten noch einmal die Zeilen aus Yellos Bostich auf, die ich offenbar, er erinnerte mich daran, vor 35 Jahren immer vor mich hin geflowtet hatte. Und als er die Zeilen in herrlich aufgetunter, speediger, leicht amphetaminiger Yello-Manier aus sich rausfließen ließ, wusste ich, genau so war es, das war der Text damals, er hatte recht:
Standing at the machine
Everyday day for all my life
I’m used to do it/ And I need it
It‘s the only thing I want
It’s just a rush
Push
Cash
Und ich erinnerte Sebastian daran, dass wir 1987, siebzehnjährig, mal in Titistadt Neustadt, ein halbe Zugstunde vom Internat entfernt in der Fußgängerzone gestanden hatten, UNS EINEN WALKMAN TEILEND, in dem Killed By Death von Motörhead lief, und wir brüllten beide mit, mit voller Kraft, mit dem freien, kopfhörerlosen Ohr nach einander hörend, und die Leute guckten uns an, kopfschüttelnd, eher wohlmeinend, amüsiert, ach, die jungen Leute, und es war sehr siebzehnjährig und sehr schön. Praktisch: unvergessbar. Peetzos erzählte mir eben beim Essen, dass wir echt Geld sammelten bei den Passanten, fürs Killed By Death-Brüllen, um die 50 Mark seien da zusammengekommen in paar Stunden. Und dann noch in Titisee-Neustadt: Tannenzäpfle-Bier, Filterzigaretten, Riesensache, Heimfahrt im Zug. Um halb neun, zur zweiten Arbeitsstunde, musste man sich — auch als Oberstufler — ja schon wieder zurückgemeldet haben. Kinderleben.
Und ich fragte Sebastos: Sag, war Yello damals gut oder sogar richtig supergut? Ich kann das heute irgendwie nur schwer sagen.
Und Sebastian sprach, durch seine schwarze Ray Ban Wayfarer, in einer extrakleinen Größe, guckend: Was soll man sagen. Das ist so wie über Michael Jackson reden oder über die Beatles. Natürlich waren die gut. Die waren epic.
Er schlug dann vor, dass wir, ohne uns zu verabschieden oder die Hände zu geben, einfach auseinandergingen, wie so in einem anderen coolen Bombenleger-Film aus den 1970er-Jahren. Machten wir dann aber nicht (umarmen ist ja schön). Und ich erzählte ihm vom Filmkritiker Michael Althen, berühmt für vieles, aber eben auch für seine wunderschöne Auf-Wiedersehen-Formel, die er stets beim Abschied aufsagte und die alles einschloss und gleichzeitig alles offenhielt, zwischen guten Bekannten, zwischen Freunden:
“Loser Kontakt.“