7. Oktober 2025

Gestern Abend fand ab 19 Uhr im Literaturhaus Hamburg eine Ehrung der Journalistin und Schriftstellerin Johanna Adorjàn statt. Es war ein rundum schöner und gelungener Abend — Johannas Tante aus Kopenhagen war angereist, unter den Gästen auch ein paar echte Honchos und Honchas des deutschen Feuilletons (Modernes-Leben-Erfinder Haug von Kuenheim, Ulrich Greiner, Willi Winkler, Julia Encke) und des deutschen Nachrichtenmagazin- und Magazin-Journalismus (Cordt Schnibben, Lucas Koch, Bettin Stiekel). Später noch Drinks und Club Sandwich im Hotel Atlantic.

Ich war als Laudatur bestellt, MadW dokumentiert hier den Wortlaut der Rede.

 

WORDS DON‘T COME EASY

Laudatio auf Johanna Adorjàn anlässlich der Verleihung des Ben-Witter-Preises 2025

Für mich war FRISCHE immer ein Kriterium für die Qualität/ die Durchschlagskraft feuilletonistischer Texte.

Im Sommer 2010, also auch schon vor 15 Jahren, saß ich mit Frank Schirrmacher in seinem schönen Garten in Sacrow an der Havel, und er fragte — in seiner komisch forcierten und provokanten Art:

„Es wird Zeit, einen neuen Journalisten-Preis auszugeben. Was meinen Sie?“

Und ich sagte:

„Ich bin absolut dafür. Und ich weiß auch schon, wie dieser Preis heißen wird: Es ist der Frische-Preis, mit einem einzigen Juror, nämlich mir. Prämiert wird genau das: Frische. Die Nicht-Ranzigkeit des Denkens. Als erste Preisträgerin schlage ich Ihre überragende Feuilleton-Redakteurin Johanna Adorjàn vor.“

Herr Schirrmacher nickte heftig mit dem Kopf. Und schnitt dann schnell ein neues, für ihn produktiveres Thema an.

Nicht-Ranzigkeit, also.
Drive.
Splendour.
Fierceness.
Das Crispe, Noch-Nicht-Abgelaufene.
Die Lust an der neuen Formulierung.
Das Unerhörte, Sich-Selbst-Überraschende.

Temperament!
Theatralik!

Ein nicht druckreif klarer Gedanke, ein noch nicht ausgegorenes GEFÜHL! Und das dann genau so stehenlassen.

Let‘s talk about feelings!

Natürlich auch: Das ein wenig Windschiefe.
Gekonnt Danebene.
Gut Hingehauene.
Dann — Bämm, Bämm, Bämm — drei sehr kurzen Sätze, je vier Wörter lang.

Ich könnte hier ewig weitermachen mit Begrifflichkeiten für eine TEMPERATUR, die es zu selten gibt im deutschen Feuilleton. Sie liegt bei angenehmen 6 bis 8 Grad, also auf Kühlschrank-Temperatur.

Es ist ganz einfach, gut und lebendig zu schreiben — so KÖNNTE man denken, liest man Johanna Adorjàn

Und natürlich verwechselt man so das Vergnügen, das Leserinnen und Leser beim Johanna-Adorjàn-Lesen haben, mit der Arbeit, die das Leicht- und Frisch-Sein ganz zweifelsfrei bedeuten. Geschenkt.

Ein typischer Johanna-Satz:
„Irgendwann kommt man da aus dem Staunen auch wieder heraus.“ (über dramaturgische Schwächen der Disney+-Serie The Bear).
Neulich sagte sie über eine Journalisten-Kollegin, wir saßen bei einem Abendessen in einer B-Brasserie in Paris: „Sie ist nett, aber ich mag sie nicht.“
Denken Sie mal eine Minute über den Bumms dieses Satzes nach!

Was sind die typische Johanna-Adorjan-Themen?

Diese Autorin positioniert sich irgendwo zwischen einer klassischen Bildung und Netflix-Klugheit, covered up vom grenzenlosen Schatz des Pops der Achtziger und Neunziger.

Konkret: So eine Autorin kann genau erklären, was sie an der kühlen und präzise Sprache der Yasmina Reza bewundert. Und genau so natürlich stösst es ihr zu, dass sie nachts die neue Single von Cardi B. herunterlädt — und sich die vier verschiedenen Perücken genauer ansieht, mit denen die Rapperin im Gerichtssaal zur ihrer Anklageverlesung erschien.

In den letzten Wochen und Monaten sind mir die folgenden Johanna-Adorjàn-Themen begegnet:

Ein saulustiger Bericht über die „Aktionswoche“ des Bundesministeriums für Familie gegen Einsamkeit („Wir müssen wirklich mal reden“)
Eine Kritik der gesammelten Psychotherapie-Sitzungen von Joan Didion
Ein Nachruf auf Margot Friedländer
Großer Abschied vom Balenciaga-Designer Demna in Paris
Die Memoiren des New Yorker Balthazar-Gastronomen Keith McNally.
Kritik des Auschwitz-Bandes des Mode-Fotografen Jürgen Teller.
Ein Geburtstagsglückwünsche zum Hundertsten des New Yorker
Die Verarbeitung des schockierend frühen Tods des René Polleschs auf 100 Zeilen
Ein Treffen mit Frédéric Beigbeder im Café Flore
Die Inszenierung des demenzkranken Bruce Willis auf Instagram
Und natürlich berichtete sie vom Tag des Urteils im Prozess gegen die Vergewaltiger der Gisèle Pelicot.

Das also ist das Adorjàn-Themenspektrum: Kultur, Gesellschaft, Jahrhundertprozesse, aber auch der Trash, also die etwas unfeinen Seitenthemen, die eine Zeitung wie die FAZ oder SZ immer noch herausfordern.

Das Adorjàn-Themenspektrum: la Comédie Humaine, the big screen und die aus ihrem Blick absolut beschreibenswerte Dummheit des Mannes, der zuguckt, wenn eine Frau rückwärts einparkt — everybody’s everyday real life.

Es sind die Dinge, die einen unruhigen, nicht bescheuerten Menschen im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts beschäftigen müssen, also:
Pop, Pop, Pop, deutsches Kino, Hollywood, Literatur, Klassik, Psychologie, Hipness, Fashion, Faschismus, Feminismus, Holocaust-Gedenken, die neuesten Food-Trends, Berlin, New York, Paris.

Es ist, natürlich, ein Missverständnis zu glauben, dass man sich mit DER KULTUR, Literatur, Kino, Musik besonders gut ausgehen können muss, um fesselnd und dringlich von ihr zu erzählen:
Spezialistentum steht dem Feuilleton eher im Weg — man muss es ja dann doch alles wieder einkassieren, damit ein lesbarer Text dabei rauskommt.

Immer wieder fragen mich Leute — Nachwuchsjournalistinnen — ob man das Lernen kann, das frische Schreiben. Und welche Journalistenschule in Deutschland ich empfehlen kann.

Und ich verstehe die Frage ja.
Und ich sage den jungen Leuten dann immer:
Du kannst ein Talent/ dein Nervensystem trainieren.
Du kannst eine gewisse Professionalität ausbilden, damit du beim Einhalten der Deadline nicht die Nerven verlierst.
Aber: Lernen kann man Schreiben nicht.

Das gute Feuilleton braucht etwas faszinierend Einfaches, das sich eben nicht erlernen lässt — es braucht CHARAKTER.
Es braucht das TEMPERAMENT, die KUNST, bei der entsprechend Stimulanz eine schöne Wut/ ein Entsetzen/ eine Verzweiflung/ Liebe oder Schockliebe/ sonst irgend einen Alarm- oder Erregungszustand zu produzieren.
Eben weil Temperament nicht erlernbar, sondern ein Geschenk der Götter ist, deshalb geht es vollkommen klar, das Schreiberinnen wie Johanna so bewundert und gefeiert und hier ausgezeichnet werden.

Der glänzende Text braucht das naive, das nicht abgeklärte Ich seiner Autorin:

Ich möchte hier gerne von einem KOORDINATENSYSTEM DER GEGENWART reden, gefüttert aus Abertausenden von Daten aus anderen Zeitungen, aus dem guten, alten Fernsehen, natürlich aus dem Internet, dem Klatsch, dem Bla, das man in der Paris Bar, im Schumanns, vorne an den Bartischen im Grill Royal und an den vielen Bla-Runden an der Hamburger Schanze hören kann.

Echt wahr?
Sagt wer?
Spinnst du?
Kannst du mir den Link noch mal rüberschicken?
Im Koordinatensystem der Gegenwart up to date zu bleiben — das geht nicht mit der viel zitierten Neugier/ das geht nicht mit Strebertum.
Das geht nur mit mit einem PROBING INTEREST für alle Niedrigkeiten und Schönheiten de la condition humaine.

Als Blattmacher-Perspektive betrachtet sind Adorjan-Themen also die, mit denen man eine Zeitung aufmachen und verkaufen kann.
Ich höre die Chefredakteure der SZ um 16 Uhr mit Blick auf die so hochbrisanten Texte der Ausgabe vom morgigen Tag gucken und sagen:

„Haben wir denn nicht noch etwas von der Adorjan da?“

Für mich — und sehr viele Leserinnen und Leser — ist diese Johanna Adorjàn auf die schönste Art eine Autorin, nach der man in der Zeitung sucht.
Ganz früher mal bei jetzt, im Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung.
Von 2001 bis 2016 beim Feuilleton der FAS.
Seit bald zehn Jahren wieder bei der Süddeutschen Zeitung.
Adorjàn hat außerdem Bücher geschrieben — Bestseller wie den Roman Eine exklusive Liebe.

Was ist besser/ oft noch poetischer/ vor allem intelligenter als eine kluge und erfolgreiche Schriftstellerin? Genau, eine kluge Feuilletonistin.

Das ist kein Zufall, dass Johanna Adorjàn trotz ihrer erfolgreichen Prosa nie aufgehört, bei der Zeitung zu arbeiten — und es ist kein Zufall, dass Johanna Adorjàn neben ihren Zeitungstexten auch Romane schreibt.

Sie gehört ins Genre der Gertrude Stein und Dorothy Parker — das ist alles nicht zu hoch gegriffen, sie gehört zu Iris Radisch, Elke Heidenreich und Rachel Salamander.

Im Journalisten-Alltag — auch hier weiß ich sehr gut, von was ich rede — gibt es einige Tausend Möglichkeiten, sich mehr oder weniger oder gleich bestialisch zu langweilen.
Und: Tausend Möglichkeiten, oberflächlich, asozial, grob, zynisch und eben unfair zu sein gegenüber den Menschen.

Von Johanna Adorjàn weiß ich, dass sie sich selbst ziemlich schnell langweilt. Langweilig heißt in ihren Texten „ultralangweilig“.
Da schwingt dann genau schon jene NOTWEHR mit, die bei Langweile adäquat ist — die rechte Empörung darüber, dass ein Kunstwerk/ eine Künstler es wagt, ihr die Zeit zu stehlen und sie mit seiner Schlechtheit zu quälen.

Fünf hervorstechende Eigenschaften fallen mir zum Stil der Johanna Adorjàn ein — Moment, es sind doch sieben:

Ihr Skeptizismus.
Ihre Renitenz.
Die leichte Verzweiflung, die in jedem ihrer Text mitschwingt. Ihre Badness.
Die typischen Adorjàn’schen Geschwindigkeitswechsel.
Das ICH des Pop.
Ihre wirklich guten Gags, der sehr spezielle, immer gut grimmige und angriffslustige Johanna-Adorjàn-Humor.

WAS soll ich sagen: Sie weiß es so genau.
Sie checkt: so viel.
Sie sieht halt genau ein bissl mehr als die anderen.
Sie hört: the lies, den Schwachsinn, die Bequemlichkeiten, das schreckliche taktische Lob unter Freunden.
Sie hört: Wenn einem etwas herausrutscht.
Sie hört: wenn einer — im Erfolgsrausch — seinen Verstand verliert.

Sie ist nie klüger in ihren Texten, als sie in Wirklichkeit ist, eher ein kleines bisschen weniger klug (sehr reizvolle Strategie!).
Sie ist oft wütend, oft ein wenig kindisch wütend, und man versteht es!
Sie findet einen Sinn, dort, wo viele keinen vermuten.
Und da, wo viele Bedeutung/ Tiefsinn/ Weltbewegendes sehen, hält sie sich zurück.

Und noch mal: UNTERHALTSAMKEIT, das verbotene Wort.

Der unterhaltsame Journalismus hatte hierzulande immer — anders als in der englischsprachigen Tradition — einen schlechten Ruf.
Der Vorwurf, der generelle Verdacht lautet:
Was Spaß macht, kann so klug nicht sein.
Wer unterhaltsam ist, nimmt es mit der Wahrheit nicht genau.
Eine Pointe: Sie zeugt eigentlich schon von einem halbseidenen Verhältnis zur Wirklichkeit.

Wer Johannas Texte liest, lernt etwas anderes:
This lady always comes with a big smile on her face.
Den Geist an sich, den gibt es offenbar nicht ohne Humor.
Es ist dieser Autorin nicht möglich, etwas genau Beobachtetes und präzise Gedachtes zu äußern, OHNE dabei auch sehr, sehr lustig zu sein.

Und hier kommt eine neue Begrifflichkeit ins Spiel, die mir zu Johanna Adorjàn unbedingt einfällt:

PROFESSIONALISM (ulkig, hier ist das englische Wort auch schon wieder schöner und stärker als das deutsche).
Profitum, das ist:
Fighting Langeweile mit der Genauigkeit der Beobachtung und mit den Mitteln des Humors.

Was man in Adorjan-Texten liest:
Zum Unterhaltsam-Sein gehören ganz notwendigerweise Härte, Schärfe, Unerbittlichkeit im Urteil.

Sie kann das auch: ätzend, verletzend, vernichtend sein.
Und natürlich ist sie nicht mehr so brutal/ so gemein, wie sie als Jungstar, als Anfängerin einmal war.

Die Könnerin, sie zielt ja nicht aufs Herz — meistens ist das zu viel der Ehre. Diese Könnerin zielt auf Gürtelschnalle UND Hosenträger.

Das sind deshalb auch immer besonders schöne Momente in Adorjan-Texten:
Wenn sie nicht vornehm/ nicht scheinbar objektiv und subtil argumentiert, sondern raushaut — also die Trottel und eiteln Blender wahrheitsgemäß Trottel nennt und der Dummheit die Hosenträger wegschießt.

Den meisten Kolleginnen von Johanna würde ich raten:
Zeig doch mal etwas von dir!
Mach auf!
Zeig dein Gesicht, schreib mit offenem Visier!
Soul, Liebe, Mitgefühl — sie kann nur diejenige zeigen, die auch mit den den weniger schönen Gefühle vertraut ist und eine Sprache hat, sie beim Namen zu nennen:
Neid, Missgunst, Schadenfreude, Egozentrik, taktisches Verhalten, Eitelkeit.

Die Tendenz, sich nicht zu zeigen und hinter Emojis, Netflix-Deutsch und Sprachbildern aus der Psychologie zu verbergen, sie ist im Zeitalter von Social Media zu einer Volkskrankheit geworden:

Ich bin ironisch.
Ich lege einen Filter der Uneigentlichkeit drüber.
Ich mach mich schöner, als ich bin.

Schreiben, das ist auch Posing, ganz klar.

RICHTIG INTERESSANT wird es mit Texten im Feuilleton aber erst, wenn sie ohne Filter/ ohne Beschönigung arbeiten — und hier ist Johanna Adorjàn sehr weit vorne:

Auf eine paradoxe und sehr schöne Art ist diese Feuilletonisten-Königin die uncoolste Schreiberin von allen — eben, weil sie sich so offen verzweifelt, empört, angekotzt und begeistert zeigt.

WORDS DON‘T COME EASY.

Wir reden hier von einer Königsdisziplin — und jetzt klinge ich ungerecht und leider auch etwas elitär, wenn ich sage:
Es gibt sehr viel uninteressante Gefühle, die meisten von ihnen sind absolut banal.

Dass uns das Temperament dieser Autorin so überzeugt, dass wir immer mehr haben wollen von ihrem Witz, ihrem Soul, ihrem Sound —, das zeugt von ihrer Klasse. Ihrem unbedingten Stil. Ihrem Swing. Ihrer Musikalität.

Nur wenige: dürfen mehr von sich zeigen.

Die anderen müssen leider Podcasts aufnehmen (sorry, sorry).

WORDS DON‘T COME EASY

Und gleichzeitig stimmt natürlich das glatte Gegenteil:
WORDS DO COME EASY.

Und ich muss diesen Gedanken hier gleich weiterspinnen ins leicht Predigende/ Sentimentale:

Damit ein wirklich schöner Text entsteht, müssen Schärfe und Bosheit aufgelöst und überwunden werden — in Richtung Güte, Freundlichkeit, Humor, Gnade und Vergebung.

Kaum eine Journalistin-Kollegin fällt mir ein, die über die Jahre so die MENSCHLICHKEIT gelernt hat wie Johanna Adorjàn. Und es war bei ihr — schreibend — wirklich ein Lernprozess, als ihr Leser war ich all die Jahre dabei.

Und hier möchte ich allen Ernstes von der VERANTWORTUNG reden, von der in Journalistenschulen so gerne die Rede ist:

Ich stelle mir vor, wie diese Journalistin Verantwortung übernimmt — sehr konkret im Arbeitsprozess, im Vorgang, in dem ihre Hände sich die Tastatur des Computers greifen und unter Zeitdruck der nächste Absatz entsteht:

Moment, was ist hier genau passiert?
Was hat sie genau gesagt?
Wie hat sich dieser Moment ganz genau für mich angefühlt?
War das eventuell doch ein wenig anders, als ich es mir zunächst vorgestellt habe oder selber gerne haben will?

Der Text — das unterschätzen viele Kolleginnen — lässt immer einen sehr genauen Rückschluss zu auf die und auf den, die da spricht.

Man bliebt nicht so lange eine so erfolgreiche Journalistin, nimmt man es mit der Wahrheit nicht sehr genau.

Und so zeichnen wir hier — Hilfe — nun auch schon wieder ein echtes Lebenswerk aus.

Aus jedem Text der hier Ausgezeichneten sprechen — entschuldige, Johanna — die Verteidigung von Würde, Menschlichkeit, Vernunft. Das ist der klassische, in jeder Gegenwart absolut notwendige Humanismus.

Ach ja, eine Laudatio auf Johanna Adorjàn kann natürlich nicht auskommen ohne das Feiern dieses Instragram-Accounts:

„Hunde und Katzen tun komische Dinge“-Videos.
Die Serie In manche Fotos dichtet die heutige Sehgewohnheit ein Handy hinein.
Ihre Kurz-Literaturkritiken, die oft gar nicht sie kurz sind.

Johanna Adorjàn durfte offenbar auswählen, wer diese Laudatio zum Ben-Witter-Preis 2025 auf sie hält, und sie sich für mich entschieden:

Liebe Johanna, da hast Du natürlich eine sehr gute Wahl getroffen. Einfach — weil ich so eine Freude an Dir habe. Auch einfach: Weil ich so genau zu wissen glaube, wer Du bist.

Es war 1994 —  Johanna hatte gerade ein Studium der Theater- und Opernregie bei August Everding abgeschlossen und verkaufte im Nebenjob an der Süßigkeiten-Bar im damals nicht unwichtigen Ksar im Münchner-Gärtnerplatz-Viertel eben das, Süßigkeiten. Wir standen rauchend vor der Ksar-Bar herum, und Johanna sprach:

„Der Opern-Kram ist nichts für mich. Ich möchte dasselbe machen, was ihr macht, ich möchte Journalistin werden.“

Der junge Philosophie-Doktorrand und Condé-Nast-Redakteur, der damals mit rauchend an der Luft stand, er hieß Ulf Poschardt, und ich, wir wüssten sofort:
Sie ist schon Journalistin — in dem Moment, in dem sie den Wunsch ausspricht, gehört sie bereits dazu. Welcome.

Die vielen zitierte KRISENHAFTIGKEIT unserer Zeit!
Ach, ja.

Schon richtig, es sind diese Zeiten doch ganz andere als die von jetzt-Magazin und von Konzeptjournalismus.
Vor 30 Jahren, ich erinnere mich, schriebst Du im jetzt-Magazin ein Plädoyer dafür, das Mädchen mehr lächeln sollen.
Lange her.

Brauchen wir mehr Ernsthaftigkeit?
Mehr Georg Restle?
Mehr 3sat-Kulturzeit?
Mehr moralische Unfehlbarkeit und Selbstgerechtigkeit à la Anja Reschke?

Der Ben-Witter-Preis im Jahr 2025 mit seiner Preisträgerin Johanna Adorjàn setzt AUCH ein Zeichen
gegen Dummheit
gegen Mutlosigkeit
für Flamboyance
für Fun
für die Schönheit der Oberflächen
für die Schönheit des radikalen Subjetivismus
für die objektive Schönheit der Wissenschaft und der Demokratie
gegen die Dummheit und Stumpfsinnigkeit der neuen Rechten.
Fuck AfD.

Ach so, und weil’s gerade Spaß macht:
Hier ein paar Tipps für all die Journalistinnen, die sich Johanna Adorjàn zum Vorbild genommen haben, aber noch nicht so ganz genau wissen, wie es geht.

Seid halt nicht so brav.
Habt den Mut, mal fünf Minuten lang nicht populär zu sein.
Be funny.
Erzählt halt mal einen gescheiten Quatsch!

Ein paar Fragen an Dich, liebe Johanna, die Preisträgerin des Abends:
Kennst du eine gute Interviewfrage?
Wie benutzt du ChatGPT?
Wie steht‘s um die Angst um den doofen ersten Absatz?
Wie lange wollen wir uns diesen Job noch antun? Noch mal 30 Jahre?

Wir beide, liebe Johanna, fingen damals gerade an, uns eine Öffentlichkeit zu erschreiben, da schrieb Rainald Goetz:
„Ich bin so froh, dass es Madonna gibt — ich bin so froh, dass der größte Star auf Erden eine Frau ist.“

Ich bin so froh, dass wir diese Johanna Adorjàn haben.
Mach‘s gut, fresh girl!

Herzlichen Glückwunsch.