8. September 2024, Sonntag

Heute, auf der Autofahrt von Berlin in den Wald, erlebte ich eine Szene, wie sie sonst gerne im Tatort vorkommt — sie sind da ja ganz verrückt nach deutscher Wirklichkeit (im Ersten Deutschen Fernsehen, beim Tatort, meine ich), gerne soll sie auch ein bisschen dunkel und abgründig und surreal sein und immer gerne bissl pervers und auch was zum Schmunzeln. 

Genau so etwas erlebte ich heute, ganz in Echt, und schon beim zweiten Hingucken dachte ich, okay, das ist zu gut beziehungsweise zu doof gut, hier waren sicher schon Bild und irgendwelche RTL-Aktuell-Reporter, und genau so war es dann auch (erfuhr ich alles später). Auf einer Raststätte vor dem thüringischen Triptis, genauer: in Rodaborn — oder wo war das jetzt noch mal genau? egal, weiter — da stand jedenfalls einer dieser schönen, ganz neuen, dunkelgrünen, gemein hohen und unüberwindbaren Metallzäune, er trennte den Parkplatz von den angrenzenden Kiefern, dahinter, das war schon mal echt interessant, ein rot-hölzernes Haus, bissl windschief, nicht unschön, jedenfalls untypisch für Autobahn-Nähe, späte Zwanziger- bzw. Dreißigerjahre-Anmutung, mit der Werbe-Aufschrift „Älteste Autobahnraststätte Deutschlands“.

Ich ging hin, weil man sich so etwas natürlich anguckt. Und vor dem Haus, gut zehn Meter hinter dem Zaun gelegen, gewährte ich eine Bude mit einem Hinweißschild, drei mal zwei Meter groß, mit der Aufschrift: „ORIGINAL THÜRINGER ROSTER, Direktverkauf über den Zaun, bitte läuten oder laut rufen“. Ich dachte: geil, und weil man so etwas nicht sofort kapiert, obwohl es ja deutlich auf dem Schild stand, rief ich dem Muttchen zu, das mit Rostbratwurst-Braterin-Kittel bekleidet vor der Bunde stand und, ich will jetzt nicht wieder dumm übertreiben, meiner Ansicht nach eine Original-DDR-Hornbrille geschätzt aus dem Jahr 1980 trug: „Kann ich eine Wurst bei euch haben? Ich meine: Könnt ihr mir die Wurst an den Zaun bringen, oder was geht ab?“

Und die Rodaborner Wurstimbiss-Chefin rief zurück: „Mit Senf? Getränk dazu? Ohne Getränk macht das 3,50 Euro. Bitte mal am Zaun unter der roten Glocke einfinden.“ 

Und sie brachte die Thüringer Bratwurst an eine sehr stabil gearbeitetem rote Glocke, die mit großer deutscher Handwerksgründlichkeit und auch Könnerschaft an den grünen Zaun montiert war, stieg die drei Stufen einer am Zaun positionierten Metallleiter hoch und reichte mir die Wurst herüber. Ich war natürlich sprachlos und total begeistert und stellte nur deshalb nicht die drei, vier naheliegende Fragen, weil ich dachte, dass ja alle, die hier ihre Wurst in Empfang nehmen, die immer selber drei Fragen stellen.

Ist das Ihr Ernst?
Wie lange haben Sie hier schon dieses herrliche Wurst-Business?
Haben die Tagesthemen und Jessy Welmer schon über Sie berichtet?

Da fragte ich: Was soll denn dieser idiotische Zaun hier?

Und das feine Wurst-Muttchen antwortete: „Da fragen Sie mal die Regierung.“ Und ich dachte: die Regierung, Lieblingswort aller Thüringer, aller Sachsen, aller Brandenburger. DIE REGIERUNG! Es nervt ja auch brutal. Und ich dachte weiter das, was alle dachten, die per Zufall hier hinkamen oder weil sie in der Thüringer Allgemeinen von den Rodaborner Wurst-Rebellen gelesen hatten (das ist jetzt meine Wortschöpfung, aber sehr naheliegend, finde ich): Willkommen im Land derjenigen, die einfach keinen Bock mehr haben — und die natürlich auch Lust auf Randale, auf Ärger, auf Protest, auf WIDERSTAND. Ein Land kann so schlecht nicht sein, das Metallleitern an Metallzäune schiebt, um gebratene Würste an den Kunden zu bringen und ein natürlich sinnfreies Verbot des Thüringer Amts für Verkehr und Bau ad absurdum zu führen und, ganz wichtig, dagegen zu DEMONSTRIEREN, seiner Empörung öffentlich Ausdruck darüber zu geben, dass hier mit Zäunen ein Wurstverkauf verhindert werden soll. Und auch das dachte ich noch, als meine Wurst schon gegessen war (war wirklich gut die Wurst, oft schmecken die ja gar nicht) und der Subaru Forester schon längst wieder auf der A9 Richtung Süden fuhr: Wenn das der Weg dieser Menschen (Carsten Linnemann) ist, um der berühmten ostdeutschen WUT und ihren nationalsozialistischen Gefühlen Luft zu machen: okay, okayyyy, so kann man‘s doch auch machen, so ist das okay. (Am Abend dann las ich im Internet noch alles über die Raststätte von Rodaborn und einen „kuriosen Rechtsstreit“ mit dem Verwaltungsgericht Gera und dem Thüringer Oberverwaltungsgericht, alles relativ langweilig, auch wieder logisch, kurios ist es ja immer dann, wenn es in Wahrheit nur noch absolut trostlos und deutsch-bürokratisch zugenietet zugeht).      

So schön, wieder im Wald zu sein.

Und jetzt aber: auf zum Stammtisch bei Christel, zwei Bier, eine Portion Presssack weiß, zwei Scheiben Graubrot dazu. Sie sagen: Das ist der letzte Sommertag heute, ab morgen wunderbarer kühler September, Regen, 14 Grad.

Isch schicke Eusch Küsse, Ihr Lieben, Ihr Guten, Ihr Sympathischen, ja? Denn isch habe Eusch lieb, ja? Weil isch Eusch lieb hab‘. 

Wir lassen den Kopf nicht hängen. Wir machen weiter hier. 

#Punkrock
#LustaufWurst
#allesfürOstdeutschland