moritz von uslar
meldungen aus dem wald

17. Mai 2025, Samstag

Inschrift auf einer Hauswand in Rehau: Zeit ist das wertvollste und kostbarste Gut. Man denkt sofort: Tausend Feinunzen Gold, ein Kühlschrank voller Champagner und eine Rolex Daytona Paul Newman sind schon auch sehr wertvolle und kostbare Güter, nicht zu verachten, aber das wissen die Rehauer ja sicher auch.

Christl beim Einkaufen getroffen, sie erzählt, dass vergangene Woche bei Wüstenbrunn ein Pferd (!) im Morast zu Tode kam. Um Himmelswillen! Das Pferd strampelte sich wohl immer tiefer hinein in den Schlamm, nach der Bergung durch die Feuerwehr Rehau (Großtiereinsatz) konnte das Tier nur noch eingeschläfert werden (Panik, Erschöpfung, Unterkühlung). Ich sagte zu Christl: Was soll man dazu sagen, es gibt so eine Sorte Unglück, die wirkt fast biblisch, alles vollzieht sich in grausamer Logik und Folgerichtigkeit, so ein Pferdetod im Morast, ich meine, das kommt vielleicht alle dreihundert Jahre mal vor. Sie pflichtete mir bei.

Der Partyspruch auf dem Wochenendmarkt in Rehau, er wird sich im Vorbeigehen zugerufen, lautet: „Ihr kennt mich wohl nicht mehr, wo‘?“ („Wo‘ mit kurzem o ausgerufen, fränkisch für „was“). Ich wüsste auch nicht, was ich da sagen soll. Vielleicht: „Sorry, nein. Kann mich gerade nicht an Sie erinnern.“

Noch eine Notiz, die in den Meldungen aus dem Wald mal gemacht werden muss: Kulturveranstaltungen hier in der Region — wir sprechen von Lesungen, Lesungen mit Gitarrenbegleitung, Lesungen mit Schnaps- oder Bierverköstigung —, die kann ich leider nur ganz, ganz schlecht aushalten. Einfach: Weil die Kunst so unterirdisch schlecht ist, dass es schmerzt. Und noch einfacher: Weil zweitrangige und drittrangige Kunst einfach einer der übelsten Dinge auf Erden sind. Literatur gibt es nicht in mittelgut — nicht ganz gute Literatur ist immer ganz, ganz schlecht und gleich einer der quälendsten und überflüssigen Dinge auf Erden.

Womit wir bei einer der großen Nachteile des Land- gegenüber des Stadtlebens sind: Alle wollen hier, auf dem Land, immer KULTUR machen, und sie ist praktisch ausnahmslos grottenschlecht. Daher meine Bitte an die herrlichen Menschen hier in der ländlichen Region: Macht Autorennen! Haltet herrliche Pfingst- und Sommerfeste ab! Braut Bier! Führt Metzgereien und Wirtschaften, aber überlasst die eh stinklangweiligen, auch in der Stadt oft merkwürdig kleingeistigen und spießigen Lesungen den Berliner Buchhandlungen, den Literaturhäusern, der Akademie der Künste. Okay. Geklärt.

Jetzt gleich, Samstag, 14 Uhr: Der SC Grünhaid tritt gegen den TSV Brand an. Ausführlicher Spielbericht („Bei schönstem Fußballwetter …“) folgt.

14. Mai 2025, Mittwoch

Darf man eine Rede in einem Blog aufschreiben — eine Rede, die bei meinem sehr schönen und herzlichen Abschied vom Zeit-Feuilleton im Lokal Fritzis in der Kleinen Freiheit in Hamburg St. Pauli gehalten wurde, genau, in Fußnähe zur Taverne Hellas (Davidstraße), zum Silbersack (Silbersackstraße) und zum Goldenen Handschuh (Hamburger Berg)? Weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht, liebe Freunde. Und tue es hier trotzdem. Gesprochene Worte, gestern gegen 19.30 Uhr, wie folgt:

Abschied nehmen vom Feuilleton der Zeit.
Man nimmt Abschied von Lars Weisbrodt, der wirklich toll einen auferzählen kann.
Abschied von Ijoma Mangold, der die Codes der Neunzigerjahre und das Spiel mit der Decodierung der Codes so ernst nimmt wie vielleicht kein Feuilletonist vor ihm.
Abschied von Iris Radisch, die sehr freundlich und dabei absolut tödlich erklärt hat, was am neuen Stuckrad-Barre ein bisschen komisch war.
Abschied von Jens Jessen, den man mit einer Gesamtausgabe Maupassant UND einer Gesamtausgabe Balzac unter dem Arm im Zug antreffen kann.
Abschied von Antonia Baum, who established the Sound of Hip Hop im deutschen Feuilleton.
Abschied von Berit Dießelkämper, die es — Entschuldigung — einfach kann.
Abschied von Christine Lemke-Matwey, der — neben Joachim Kaiser — letzten Mohikanerin.
Abschied von Thomas E. Schmidt, der einen weißen Pullover von Helmut Lang besitzt.
Abschied von Peter Neumann, der als gelernter Lyriker die am besten sitzende Überschriften für die Wimmelseite dichtet.
Abschied von Florian Eichel, der vorführt, wie man 2025 die Es-Dur-Nocturne von Chopin 2025 noch einmal ganz neu entdecken kann.
Abschied von Alexander Cammann, der kein Buch wegwirft.
Abschied von Peter Kümmel, der dann halt wieder zur Stelle ist, in seiner krassen Peter-Kümmel-Haftigkeit — jahrzehntelange Praxis, Erfahrung und Stilsicherheit als Theaterkritiker —, wenn Carl Hegemann stirbt.
Abschied von Hanno Rauterberg, der bis nach Wuppertal kam.
Abschied von The Voice Katja Nicodemus, wegen der ich Deutschlandfunk höre.
Abschied von David Hugendick, dem natural born Kolumnisten (man merkt ihm gar nicht an, dass er in zehn Literaturpreis-Jurys sitzt).
Abschied von Volker Weidemann, der den Wellenreiter Thomas Bernhard in seinem Büro hängen hatte.
Abschied von Tobias Timm, der einmal alle Rekorde bei Neuanwerbung von Zeit-Abonnenten brach (mit einem 2.000-Zeichen-Einwurf über Strike Germany).
Abschied von Elisabeth von Tadden, die, wenn sie so weitermacht, bald wie die inspirierteste 17-Jährige des Zeit-Feuilletons klingt.
Abschied von Adam Soboczynski, dem Meister des am Montagmittag hingehauenen 7.000-Zeichen-Aufmachers.
Abschied von Andreas Lebert, dem letzten Live-Rock‘n Roller des Feuilletons.
Abschied von Laura Hertreiter, Marlene Knobloch und Nele Pollatschek, den Frauen, ohne die man kein Feuilleton machen kann.
Abschied von Tanja, Christiane, Janna und Ildiko, die Crew der genialen Assistentinnen, die alles, alles zusammenhalten und ohne die es keine fertigen Seiten gibt.

Ich verabschiede mich heute vom — so einfach ist das — intelligentesten und freshesten deutschsprachigen Feuilleton. Und ich war einer von euch. Darauf bin ich stolz.

Ihr möchtet wissen, was für ein neues Leben ich da jetzt eigentlich führe — in Oberfranken, im Wald. Nun, davon zu erzählen, dafür brauche ich nun wirklich die zehn Bier, die ich heute Abend noch trinken werde (sorry, sorry). Nur so viel: Gestern habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Gartenarbeit gemacht, genauer: Löwenzahn gejätet. Und es macht genau so klug und schön, wie alle immer sagen.

Ich stehe hier als jemand vor euch, der schon so unendlich weit weg ist von diesem schönen Feuilleton! Genau vor einem Jahr habe ich den letzten großen Text geschrieben. Man kriegt eine Idee davon, was in einem Leben alles möglich wäre — macht man ein Jahr lang mal plötzlich nichts oder etwas ganz anderes. Probiert das auch mal aus, es tut echt gut, ich kann es nur empfehlen!

Könnte ich in diesem Leben noch Bundestagsabgeordneter werden? Weiß ich nicht. Ganz knapp, vielleicht, ja. Kinderchirurg? Sicher nein. Dirigent der Berliner Philharmoniker? Nein. Und das ist natürlich schon eine Tragödie.

Und gleichzeitig bleibe ich natürlich für immer das hier: slim shady, der windige Journalist, der Raushauer von Texten, die nicht älter werden und auch nicht länger leben müssen als eine Woche. Ich habe das so gerne gemacht (Journalismus). Und noch immer kriege ich einen Schreck, wenn Xatar, Carl Hegemann oder Naddel, die Frau ohne Nachnamen, stirbt. Und denke: Moment, das bin doch ich. Das hätte ich schreiben müssen, Scheiße.

Leute fragen mich, zuletzt meine kluge Reinigungsfrau in 95111 Oberfranken: Wie kann man denn so etwas Tolles freiwillig aufgeben, den Posten als Feuilletonist in Hamburg? Und ich sage: Man muss etwas aufgeben, damit etwas Neues beginnen kann, haha. Und schon während ich so etwas sage, so etwas Schönes, Wahres und Weises, denke ich: Fuck off. Oder auch alles noch mal ganz anders.

Wenn ich ehrlich bin — ich finde doch Ehrlichsein so gut, wisst ihr ja: Ich halte es für möglich, dass das Beste in meinem Leben schon hinter mir liegt. Und das wäre komischerweise: auch nicht so schlimm. Stellt euch vor, SO gut war es bei euch, ihr Feuilletonistinnen und Feuilletonisten, die ihr hier mit mir in diesem Lokal versammelt seid. Danke.

13. Mai 2025, Dienstag

Gestern zum ersten Mal in meinem Leben Gartenarbeiten gemacht. Es war nicht so schlecht. Genauer: Es war vielleicht das Schönste, Lohnenste, Friedlichste, das ich in diesem Leben bisher gemacht habe.

Ich kniete auf den Pflastersteinen an der großen grauen Hausmauer; und ZOG — mit viel Gefühl und den bohrenden Drehbewegungen einer kleinen, spitzen Schaufel — den Löwenzahn mit möglichst viel weißer, nackter Wurzel aus der Erde zwischen den schon überwachsenen Steinen (natürlich mit dem fast schon zu poetischen Vergeblichkeitsgefühl, das jeder kennt, der einmal Löwenzahn gejätet hat: Der Löwenzahn ist stark, und er wird wiederkommen, und dir, Menschendepp, schmerzen noch tagelang die Knie). Neben mir ein rosafarbener Plastikeimer; und die Schubkarre in einigen Metern Entfernung. Und ich spürte, wie der Respekt der Leute wuchs, die bei uns am Hof wohnten und beim Einfahren in die große, gekieste Einfahrt auf den knieenden Mann zu Fuße der Hausmauer guckten: Jetzt macht er zum ersten Mal etwas Sinnvolles. Jetzt kommt er an.    

Heute brachte dann Herr Randolph, unser Mann im Wald, wohnhaft in 08523, Plauen, Ostvogtland, drei Ausgaben der Zeitschrift SUPERILLU bei mir vorbei — das Zentralorgan der nach dem Mauerfall zwischen totaler Freiheit und dem totalen Videorekorder taumelnden DDR. Er hatte das nebenbei erwähnt, dass er die selbstredend, in den Nachwende-Jahren gekauft, gelesen und — mit seinem untrüglichen Gefühl für Historisches — gesammelt und bis heute aufgehoben hatte. Ich hatte „Bringen Sie mir da mal drei Ausgaben mit?“ gesagt, und so etwas muss man Herrn Randolph, dem mit allen Wassern gewaschenen Cowboy aus Sachsen, nicht zwei Mal sagen, er hat sie dann schon am nächsten Tag dabei. Genaue Blattkritik von drei Ausgaben Superillu aus dem Jahr 1990: hier demnächst in Ihren Meldungen aus dem Wald.

In Glossar der 100 Jahre The Great Gatsby Ausgabe im Manesse Verlag gelesen, die so vollkommen glücklich macht. Der krasse Kritiker Edmund Wilson liest Fitzgerald, dem lebenslangen, alten Freund, in den Wochen, in denen ein Schriftsteller am verletzlichsten ist — in den Wochen gleich nach Erscheinen — die Leviten. Tenor: Das hat du gemacht, Scott, hier machst du endlich mal das richtig, das man dir bei den letzten Romanen, zu Recht, vorgehalten hat (too much wuschige Hochbegabung, zu vergnügtes, flapsiges Drüberwischen). Dann: „Ich wünsche mir (…), dass Du Dir für Dein nächstes Buch ein sympathischeres Thema wählst. Nicht, dass ich Gatsby nicht bewundere, (…), aber Du musst doch zugeben, es hält uns alle im Käfig mit den Hyänen gefangen.“ Und man denkt als Leser sofort: Er hat ja recht, auch The iconic novel, der beste amerikanische Roman aller Zeit oder wie das heißt, kann und muss kritisiert werden!        

Fahrt nach Hamburg. Zu viel Busse, Züge, Mietwagen in diesen Wochen. Ich dachte: Reisen ist immer gute fürs Gehirn, aber das stimmt natürlich auch nicht. Ich brauche dringend drei, vier Tage Nichtstun und, ja, Gartenarbeit im Wald.

9. Mai 2025, Freitag

Am Morgen am Bürkliplatz-Markt gewesen: Blumen kaufen.

Mir fällt es immer noch schwer, den Tag positiv zu beginnen. Ich komme von der ANGST AM MORGEN — Morgenzeit ist die Zeit, in der in einen Text hineingefunden werden muss (zwei, drei Mal im Monat muss ein Text entstehen, öfter auch nicht).

Die Angst ist gleich voll da, das Weggetretensein von den Schlaftabletten kommend, nach dem dritten doppelten Espresso wird es besser. Kann ich das noch? Wie geht noch mal ein lockerer, gut wegrollender, die Lust zum Lesen eröffnender erster Satz? Hör ich noch was, oder bin ich heute leider taub?

Lustig, als es losging mit dem Schreiben, so um 1990, musste — halb aus der Not, halb weil es auch so ein herrliches Blödmann-Künstler-Rock‘n‘Roll-Klischee ist — eigentlich immer erst mal ein Totalzusammenbruch/ ein richtig gehender Morgendliche-Totalerschöpfungs-Exzess inszeniert werden: aus dem morgendlichen Halbdämmer-Angstzustand im Bett gleich zwei Zigaretten rauchen, der Körper brüllte wütend, Angst, Angst, konkret: nasse Hände, der Magen-Darm-Trakt sackt komplett weg, gleich noch eine rauchen, Kappe auf den Kopf, damit der Körper, vom Kopf her kommend, zu Haltung gezwungen wird. Und in diesem enorm aufgeheizten, elektrisierten Zustand dann: an die elektrische Schreibmaschine, den ersten Absatz ausprobieren (das Papier aus der Maschine rupfen, neues Papier einspannen, und immer so weiter, in die Hysterie hinein). Du liebes Bisschen. Und den ganzen Zirkus/ die ritualisierte morgendliche Schreibkrise, das muss man ja auch mal sagen, für: 25 Zeilen Plattenkritik in Tempo, einen von acht Texten auf der Neue-Platten-Seite.

Dass der Einstieg in einen Text seitlich genommen werden kann, also nicht von der Angst her kommend, sondern vom Spielbein her, wippend, federnd, auf leichtem Fuß, aus einer spielerischen, freundlich gestimmten, noch nicht so ganz sinnlos auf Erbitterung und auf Killen gestellten Halbdistanz heraus, das habe ich erst viel später gelernt, eigentlich erst, als mein Sohn Carl vor gut zwanzig Jahren geboren wurde. Der Blick des Neugeborenen, er sagte von Tag eins an: Komm mal runter, Junge. Alles halb so wild. 

Zum Papst: Ich weiß es auch nicht. Päpste: fremde Menschen. Freude über neue Päpste: auch fremd. Aber ich habe auch Lust, so wie alle, ihn eher gut zu finden — auch weil das Dooffinden von Katholizismus und Heiligem Vater ja wirklich so supereinfach und das Geschäft der allerdööfsten, fantasielosesten und unbegabten Menschen ist. Wir verdanken den Prozeduren im Vatikan bekanntlich alles, Pop, Superpop, italienische Oper, Verismo, Fernsehgarten und Kessel Buntes, Gay Culture, George Michael, Madonna, Versace, Dolce & Gabbana, Abel Ferrara, Martin Scorcese, Lady Gaga usw. usw. Und: Natürlich ist das toll, dass Robert F. Prevost, der sich jetzt Leo XIV nennt, neben Frankie Knuckles und Marshall Jefferson einer der ersten Chicago House DJs war. Der katholischen Kirche wird das gerade bei den jungen Menschen ganz neuen Schwung geben.

Erster Kaffee im Café mit dem internationally besten Namen: CAFÉ BOY, Koch- Ecke Sihlfeldstrasse, 8004 Zürich. Morgen dann, ab 14 Uhr: GRAND OPENING, große Eröffnung, Leute.

Lustig, die zahlenmäßig sehr wenigen Zürcher Obdachlosen können nicht fassen, wenn man — als abgefuckter Berliner — nicht auf sie reagiert und bei ihrem ganz normal total enervierenden Bettelvorgang fortgesetzt regungslos durch sie hindurchguckt, sorry, sorry, da sind wir am Mehringdamm wirklich anderes gewohnt.

Tages-Anzeiger: Deutschland verschärft Grenzregime. Mario Fehr, Zürcher Sicherheitsdirektor, fordert eine deutliche Antwort — von Asylminister Beat Jans: „Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen.“

Ja, passt auf, ihr Schweizer, dass wir hässlichen Deutschen euch nicht abziehen. Jetzt wach bleiben. Lasst euch das nicht gefallen.

7. Mai 2025, Mittwoch

Warum schreibt eigentlich niemand, was nur offenkundig ist (Menschenverstand, haha), nämlich, dass selbstverständlich Jens Spahn, der Fraktionsvorsitzende, einer der sechs Gangster ist, die gegen ihren zukünftigen Kanzler gestimmt haben? Spahn will ihm, Merz, auch das ist sonnenklar — wenn er 2028 mit seiner rechtsradikalen Camarilla und der AfD übernimmt — schon jetzt ein paar Beulen ins Jackett gehauen haben (es ist einfach zu schön, auf dem alten LAPPEN Merz herumzuprügeln, versteh‘ schon, versteh‘ schon), damit er sein Amt noch geschwächter übernimmt, falls das überhaupt noch möglich war, und spätestens im Frühjahr 2027 als schlaffe, erbarmungswürdige Puppe in den Seilen hängt, die nur noch Mitleid auslöst und die rassistischen Obertrottel der AfD zu neuen Schwindel-Umfragerekorden geführt hat.

Ich sage ja: Merz ist gar nicht so schlecht, wie das jetzt gerne überall gesagt wird, ich halte ihn für einen anständigen Menschen, wenn auch, haha, halt für ein bissl ungeschickt. Ich sage auch: Spahn ist ein Politiker des 21. Jahrhunderts, Merz einer des 20. Jahrhunderts (Ausführung vielleicht später mal hier an dieser Stelle, sorry, sorry, man muss auch mal etwas unerklärt und bissl erratisch stehenlassen, damit es wirkt). Die alte Rechnung, die überall aufgemacht wird, dass die Koalition des müden 20. Jahrhunderts (Schwarz-Rot unter Merz/ Klingbeil) nur konzentriert ihre Arbeit nachgehen müsse, damit die AfD wieder unter zehn Prozent geht, sie stimmt halt nicht. Die Lust am Kaputtmachen und am Baden in postfaktischen Paralleluniversen — freakigen Wahnsinn erzählen statt Ratio, Wohlstand, Freiheit, Menschenwürde — sie ist bei den AfD-Anhängern so groß: Ihren Weg zur Macht wird sie sich von ein bisschen schwarz-rotem Regierungserfolg nicht nehmen lassen. Sorry, sorry.

Christl aus 95111 Pilgramsreuth, das weiß ja auch jeder, sagt die Wahrheit. Sie sagt: Lass dich halt mal wieder sehen, Moritz. Völlig richtig, Christl. Und: sehr, sehr gern!

Gestern: wunderschöner, abendlicher E-Bike-Ausflug durch die Grünhaider Siedlung. Mit Besichtigung des wunderschönen, ULTRAMELANCHOLISCHEN Fußballplatzes des SC Grünhaid in Grünhaid 48, 95173 Schönwald.   

Schumann‘s Bar am Hofgarten
Mittwoch, den 7. Mai 2025
Die Tageskarte:

Kraut-Karotten-Suppe 8,50 Euro
Grüner Salat mit Ei und Schinken
Spargelquiche mit Salat 14,50
Gegrillter Ziegenkäse, Rucola, Grillgemüse 15,50
Bratwurst mit Kartoffel-Lauch-Stampf 14,50
Paniertes Rotbarsch-Filet, Erbsenpüree, Sauce Tartar, 19,50
Geschmorter Rinderbraten, Karotten, Kartoffelknödel 18,50
Roastbeef mit Bratkartoffeln und Salat, 21,50
Birnentarte, Apfel-Streusel-Kuchen mit/ Bohne Sahne 5,50/ 6

DAS sind Preise, fuck. Seine Klasse zeigt das Schumanns unter anderem dadurch, dass es bei den allseits astronomisch hohen, ja obszön hohen Gastronomie-Preisen nicht mitmacht. Es ist eben nicht egal, was etwas kostet — zu hohe Preise ziehen die Dödel an, andersrum gilt: Das Achten auf moderate, nicht-durchgeknallte Preise ist einer der ganz wenigen Distinktions-Möglichkeiten, die einem als Gast und FEINER MENSCH, der seinen Urlaub nicht auf Hydra und sein Nebeneinkünfte nicht als OnlyFans-Stripper macht, geblieben sind.

Und während ich mit ihm sprach, sah ich in der linken Tasche seines Kellnerkittels, seinen PERLMUTTFARBENEN KAMM.

Charles Schumann sagt: „Schreib in deinem Blog: Er hat die Haare geschnitten und sieht aus wie George Clooney. Schreib das!“ Okay, okay.

Charles Schumann sagt nun, als er sich das nächste Mal — in seiner berühmt beiläufigen Art, wie ein junger Straßenhund zwischen den Tischen umherstreunend — wieder an meinem Barplatz sehen lässt: „Ich habe vielleicht noch zehn Jahre zu leben, maximal. Und ich mach das hier nicht mehr lange, das kann ich ganz klar sagen. Das verspreche ich dir.“

Japan?
Ja klar, Japan. Ein Kumpel ist schon da und bereitet alles vor.

Okay.
Okay.
Okay.

Ich sage: „Du redest einen Schmarrn, Charles …“ (das sage ich natürlich nicht), „… das würdest du jetzt sagen, hätte ich soeben gesagt, was du mir soeben gesagt hast. So! Du wirst 124 Jahre alt, das wissen alle, und im Übrigen: 2032 wird das Schumanns 50 Jahre alt, das feiern wir alle zusammen.“

Also gut, sagt Charles (Charles-Klassiker).

„Es ist hart in Oberfranken, nicht wahr“, sagt Charles, „komm, du kannst mir nichts erzählen, ich weiß es.“ Dann — dieser poetische Zweizeiler und Wahrheits-Vers könnte aus Kirchenthumbach selbst stammen, vom Abendbrottisch der Eltern, frühe 1950er-Jahre: „Viel Steine gab‘s und wenig Brot. Darum ist der Oberpfälzer früher tot.“

Eine Rechte auf die Schulter, nicht schlimm, höchsten halb durchgezogen. Er macht jetzt eine Stunde Mittagsschlaf.

Leider stirbt da einer, zwei Sitzreihen hinter mir (Husten, Röcheln, laute Würggeräusche), das klingt dann nicht so schön. Ach ja. #FlixBus

Ach so, ich wollte noch sagen — man muss Dinge öfter sagen, damit sie sich durchsetzen, am besten so um die 350 Mal: I love FlixBus. Keine Ahnung, was genau sie richtig machen (vielleicht ist es auch nur dieser hauchdünne, zarte Todeskitzel, weil ja bekanntlich so alle zehn Monate ein Bus von der Autobahn rechts in den Graben kippt, der tschechische Busfahrer hatte wieder einen Schnaps zu wenig). Aber: Sie machen etwas richtig, es ist gut.

28. April 2025, Montag

Ostern mit den FREUNDEN, dann gleich fünf Tage mit zwei Kindern, vier und sechs Jahre alt. My brains were melting down, literally. #Normalität. Und es war natürlich so schön.

Nun seit gestern schon wieder im Nahkampf mit der schönen Stadt Zürich, die ich nicht verstehe. Dazu in den nächsten Tagen mehr (saß gerade wie ein älterer, gepflegter, leicht schwuler Zürcher Herr, der ich de facto ja auch immer bin, im glänzend weißen, vollkommen unfunky und humorlosen Ristorante Frascati am Zürichsee. Und aß Salatartiges).

Heute ist Sechseläuten (???), der Umzug der Zünfte, wir vertreiben den Winter und feiern den Frühling.

Und dann dachte ich plötzlich: Es ist so weit, ich kann nicht mehr OHNE FAHRRADHELM Fahrrad fahren — so fordert das Stetig-Älter-Zittriger-Tattriger-Werden sein Raum (jahrzehntelang galt ja der alte Uslar-Dreisatz „Keine Rucksäcke, Rollkoffer, Fahrradhelme“, vorbei). Die Sicherheit ist plötzlich weg, so wie mit Anfang dreißig beim Skifahren, ich habe einfach Angst, das beim wackligen Auf-dem-Rad-über-geschotterte-Waldwege-Schlittern-und-in-Zürich-an-Tranbahnlinien-entlang-Balancieren meinem SCHÖNEN KOPF etwas zustößt. Also morgen Fahrradhelm kaufen (Fun Fact: Am Montag haben die Fahrradläden in Zürich-Seefeld geschlossen, kein Mensch weiß, warum).

Telefonat mit Casati ♥️.

Und was macht er, der bekannte Zeit-Journalist und Buchautor Uslar, jetzt eigentlich immer so den lieben langen Tag in Zürich? Er sitzt am See, an der Promenade, auf einer der grünen Holzbänke, und tippt seinen Blog ins Telefon. ACH SO! Geheimnis meiner Existenz, im 55. Lebensjahr: Ich habe Zeit.

Und noch mal anders: Kannst du es im Stil von Moritz von Uslar sagen? ChatGPT: Ja, absolut — Moritz von Uslar schreibt oft lakonisch, direkt, mit einem Hauch Ironie, detailverliebt und dabei sehr gegenwärtig. Hier ist dein Text in einem von ihm inspirierten Stil.

Gedanke, zugegeben wieder ein naheliegender, sorry, sorry: Zürich macht so herrlich konsumresistent. Jeder Faschist, jeder Private-Equity-Dödel fährt hier einen sehr genau ausgesuchten, superironischen, superschönen weinroten Toyota-Jeep (Achtzigerjahre), was soll man mit dem Scheiß.

Und weiter sitzenbleibend und weiter zuguckend fand ich — und fühlte die ganze Zeit wieder sehr fresh, sehr jung, wie der erste Mensch auf Erden: Es ist alles, alles spannend, wirklich, jede telefonierende Frau, jedes am anderen Seeufer vorbeiziehende Boot. Und natürlich: die Physik der vorbeiziehenden Wolken (Enzensberger).

17. April 2025

Heute im Wald getroffen:
einen Schwarzstorch (nicht wirklich, aber die Wildkamera in Buchbach hat einen aufgezeichnet).
Yvonne von der Sophienreuther Straße.
Michael Don Rehwagen und seinen Struppi (Johnny heißt er, nicht Struppi).

Außerdem:
kurzes Grüßgott in der Metzgerei Schmidtkunz (Großeinkauf war ja schon gestern).
Grüßgott am Wertstoffhof, Selb.
Grüßgoddalla beim Peter im Schwarzen Peter.
Servus im Eiscafé Cortina (Spaghetti Eis).
Servus beim Steidl, Andi (Factoria): Weißwein, Champagner.

Grandioser
Alles gesagt-Podcast mit Charles Schumann (Danke, Christoph Amend, Danke, Jochen Wegner): Es geht so wunderbar durcheinander, they really float. Man ist so froh, dieses Dokument zu haben, für alle Zeiten (auch die, Entschuldigung, in denen Charles einmal nicht mehr ist). Unser erster Erziehungsberechtiger, er tut hier das, was er am besten kann (neben den unnachahmlichen Bratkartoffeln, neben der Etablierung der ganzen Schumanns-Kultur): reden, reden, reden. Sprechen ist seine legacy. Er sagt auch selbst an einer Stelle: Reden ist gut, es muss noch viel mehr erzählt, es muss noch mehr geredet/ noch mehr palavert werden. Für ihn wurde dieser Podcast erfunden, man könnte ihm schier unendlich lang zuhören.

Und nun ist es 18 Uhr, die Kühlschränke sind voll, die Betten bezogen. Es wird österlich kalt. Und DIE GÄSTE TREFFEN EIN.

Frohe Ostern, Leude.

14. April 2024, Montag

Am Morgen: Gespräche mit Verrückten im Tiergarten, unter ihnen eine gut hundertjährige Pflanzensammlerin (aus Japan?) und jede Menge Fahrradhelm tragende Ex-Lehrer.

Jusos sagen Nein zum Koalitionsvertrag: alles klar. ALLES KLAR.

Derweil: Jens Spahn öffnet die Union für die AfD. Okayyyy. Der Plan ist: Ab 2029 mit einer dann hoffentlich noch einen Prozent kleineren AfD eine Regierung zu bilden, unter ihm, einem Kanzler Spahn. Okayyyyyyy.

Vorbild ist: keine Ahnung, offenbar Österreich, oder was? Oder doch gleich die USA, wo der ehemalige amerikanische Botschafter Richard RIC Grenell — er gehört zur Partygang von Jens Spahn und seinem Mann Daniel Funke, derzeit Hauptstadt-Büroleiter und Lobbyist der Burda Magazine, zuvor Leiter des Hauptstadtbüros der Bunten — knapp noch nicht Vizepräsident ist, aber eben nur knapp noch nicht. Man müsste zu allem den Journalisten befragen, der tatsächlich immer sehr viel weiß (das geben auch die Kollegen im Politikressort der Zeit ganz unumwunden zu), Paul Ronzheimer von der Bild-Zeitung. Er war etwa bei zehn (in Partys ausartenden) Spahn-Abendessen bei den Spahns zu Hause, und hat den Berliner Politikbetrieb zwischen 17 und 5 Uhr früh auf allen Alkoholpegel-Ständen erlebt.

Und jetzt schraubt der leider gute Journalismus der Caren Miosga die Merz-Klingbeil-Koalition auseinander, noch bevor die SPD abgestimmt hat: BRUDAL. Finanzierungsvorbehalt. Die trostlose cremefarbene Alice Weidel steht bereit; der zukünftige First Husband Daniel Funke auch.

Am Wochenende: Christian Zaschkes Leitartikel in der Süddeutschen (Zaschke: der Raymond Chandler unter den Übersee-Reportern, gefühlt zehn Jahre lang die dunkle, immer angemessen verkatert wirkende Stimme aus den USA, seit Januar Parlaments-Reporter in Berlin). Er hatte den in diesen Tagen so notwendigen Anti-Hysterie-Text geschrieben (neue Regierung ist, bevor überhaupt in Amt, schon so verstritten wie die alte, bla). Wenn schon Propaganda FÜR DIE RESTDEMOKRATIE, dann bitte doch so (man hörte im Geist alle rechten Podcaster und Ulf Poschardt „Systempresse!“ brüllen).

Lektüre: Karl Kraus, The Urvater of all Ein-Mann-Zeitschriften, das Karl-Kraus-Lesebuch (dtv), Texte von 1891 bis 1933, herausgegeben von Hans Wollschläger. Das ist alles sehr hell und schnell, aber jedes Tagesspiegel-Feuilleton von heute ist natürlich trotzdem interessanter als der ehemals so interessante, heute schon hundertjährige Karl Kraus. #Zeitgenossenschaft

Anruf zu Hause: Es tröpfelt, immerhin. Aber Tropfen sind nicht genug. Es fließe der dunkle, kalte Regen in Strömen auf die harten, trockenen Waldböden und gebe KRAFT.

Eine Idee dieses Blogs ist, so merke ich gerade noch mal, dass er sich praktisch von alleine schreibt, also konkret: spazierend, im Tiergarten, im hochfahrenden Morgen, im Zwitschern und Flup-Flup-Flup der Rasensprenger. Das tut er.

11. April 2025

„Wir versuchen, das globale Handelssystem neu zu gestalten“ (Jamieson Greer, US Kongress). Ach so, okay! Das stelle ich mir interessant vor, das muss ja auch Spaß machen, die Dinge wirklich ganz neu zu gestalten/ zu sortieren, also wirklich die Ordnung aller Dinge auf Null zu stellen und eine Weltenschöpfung, eine komplette Neuordnung der Dinge zu starten — ein Kindertraum!

Heißt natürlich auch, und hier liegt der ganze kindliche Fun: alles zu Klump zu hauen, da einmal voll reintreten in die filigrane Lebensordnung, die Altersvorsorge, Sparpläne, Einkaufszettel etc. etc. von Millionen von Amerikanern und Menschen auf der ganze Welt, und die Bausteine, die da wirr am Boden legen, neu und schnell wieder zu schwindelerregend hohen Türmen aufzuschichten. Und dann sagt man das einfach ganz straight auf Truth Social, was hier passiert: „This is a great time to get rich, richer than ever before!!!“ (April 4th, 2025). Wir gestalten das alles noch mal ganz neu, das soll schön werden für euch, unsere lieben Freunde in Florida, in Palm Springs, Southhampton und auf St. Barth, also den Billionaires-Club, die 0,0000000001 reichsten Prozent auf Erden auf. Genial! „Wir spielen doch nur!“ (Donald J. Trump jr.).

Meldung aus der Heimat: Rettenmeier fährt endlich im großen Stil Holz ab, bevor die Aprilsonne über zwei, drei Stunden ihren Strahl auf die Polter am Wegesrand richten kann (zwei Stunden reichen, um der Borke den Rest zu geben) und die erste Generation Käfer in diesem Jahr sich an die Arbeit macht.

Das INFANTILE der Großstadt Berlin fällt mir bei diesem Besuch so auf. Alle wollen immer ganz viel gesunde Säfte nuckeln und noch mehr Milch, Milch, Milch und im 25 Jahr mit komplett langweiligen bunten Sammler-Asics-Tiger rumwackeln und SICH AMÜSIEREN. Da sind wir auf dem Land, haha, erwachsener (ich sage jetzt nicht: „Wir müssen das Holz aus dem Wald bringen, bevor es der Käfer frisst, und das Heu in den Stall, bevor der Regen fällt“, das sage ich nicht, das ist mir zu flach 😎). Die Erhabenheit des Landlebens gegenüber der öden Einkaufsstraßen der durchschnittlichen europäischen Großstadt liegt natürlich darin, dass es bei uns faktisch keinen Konsum gibt, es gibt einfach nichts zu kaufen.

Mittagessen mit Igor und Martin (Lagebesprechung).

Dann mit meiner Schwester (Buchhandlung Uslar & Rai) durchs hässliche Berlin rennen und mit ihr noch mal, Vollgas, ÜBER ALLES NACHDENKEN. #normal

Siegfried Unseld war in der NSDAP, ach so, ich war, glaube ich, auch in der NSDAP (Scherz, ich bin ja erst 1950 geboren).

Abends, so hörte man: trank er immer sehr gerne ein Bier. 😘😘

10. April 2025

Die Häme gegen Trump im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist schwer auszuhalten. Und zwar nicht, weil Häme und arrogante Herablassung gegen ihn, diesen zuverlässig von niedersten Instinkten getriebenen Menschen, nicht verständlich wären oder gerechtfertigt (da wäre jede dumme Überheblichkeit gerechtfertigt). Sondern weil die politischen Kommentatoren der großen Zeitungen, was das Ab- und Niederschreiben der Zukunft des orangefarbenen Freaks angeht, schon so oft so gnadenlos und desaströs daneben gelegen haben. Geht es in Süddeutsche, Zeit und im Deutschlandfunk um den angeblichen sinkenden Stern des Donald Trump, dann halte ich — nicht instinktiv, sondern rein empirisch, aus schlechter Erfahrung eben — immer das Gegenteil für richtig. Meine Prognose: Er wird sich durchsetzen, auch hier. Er ist — in seiner Niedrigkeit — realistischer als all die klugen, spöttischen Köpfe. Es ist seine Hauerei, es ist SEIN Zollkrieg.

Dummheit ist schon etwas nicht so Schönes. Ich saß, verkleidet wie ein Landadliger, vor meiner geliebten Mozzarella Bar August- Ecke Joachimstraße in Mitte. Und lauschte, wie ich das schon oft gemacht hatte (und vor acht, neun Jahren als Feuilleton für die Zeit aufgeschrieben hatte), dem obszönen Business-Bla der Start-Up Kids — beide stammten aus NRW, für meinen Geschmack aber eher in Richtung irgendeiner ostwestfälischen Kleinstadt:

Ja, krass, ja.
Spannend.
SPANNEND.
Sag mal!

Ja, du.
Ich war genervt, weil Marc nicht auf die Idee kam, MAL IRGENDWAS ZU KOMMUNIZIEREN.
Ja, und Air Dolomiti hat auch nicht geklappt, oder? Was war denn da jetzt noch mal das KO-Kriterium?
Der Übergang wird wirklich mies gemanagt.
Ja, und dann gibt‘s keinen Touchdown mehr, und wenn‘s keinen Touchdown mehr gibt, dann brauchst du auch keinen Partner mehr.
Klar.
Klar.

Die haben auch nicht die Zahlen, um die 600 Millionen in irgend einer Form zu kommunizieren.
Und Carmen? Bist du denn noch mit der Carmen?
Aber Thomas ist auch nicht mehr mit Anika im Team, oder?
Also, näh. Nee. Also.
Das konnten wir uns beide — für dieses Mal — FÜR UNS erst mal noch nicht vorstellen.
Bescheuert, Ja.
Ja, egaaaal.
Nee, alles gut. Alles gut. ALLES GUT.
Okay, jetzt habe ich es verstanden. Gut. GUT.

Heute Abend dann: Eröffnung des neuen Concept Store ANOBJECT in der Senefelder Straße 29. Herzlichen Glückwunsch!

So viel ungeklärt. Wo kauft man in dieser Hauptstadt der gepiercten Schwäbinnen (DJ Kaos) und der Arbeiter und Bauern jetzt noch mal ein ordentliches Hemd?

Herzlichen willkommen in der Cloud vom Easy Hotel, Rosenthaler Platz. Herzlichen Dank.

9. April 2025, Mittwoch

Zoll-Radio läuft durchgehend (Deutschlandfunk).

I am melting down. Wie soll ich sagen? Immer deutlicher spüre ich eine ZUFRIEDENHEIT mit dem Leben, das ich auf dem Land hier führe, mein Einverständnis MIT ALLEM. Ich finde das Fleisch hier sehr köstlich, das Brot, das Bier, die unspektakuläre, so unangeberische fränkische Landschaft, alles super, ich finde auch super, dass es hier in den Kleinstädten überall Parkplätze gibt (haha, jetzt wird es richtig verblödet, ich weiß), mir machen auch die Menschen einen Riesenspaß, die ich hier abends in ihren Häusern und in ihren Küchen treffe und mit denen ich PLÄNE schmiede und über alles, was uns angeht, mit großem Schwung und großer, lauter Fröhlichkeit, einmal drüber gehe.

Zufriedenheit, das bedeutet aber eben auch: Degression der Schärfe, mit der man das Leben betrachtet (Degression gleich Abnahme/ Verringerung, manchmal sind Fremdworte eben doch gut), Schwund der Lust zu widersprechen, Schwund auch der Kraft, es sich eben doch nicht gemütlich einzurichten in dieser so hässlichen, dummen, mittelmäßigen Welt (der Welt überhaupt, der irgendwo zwischen Los Angeles und Oberfranken). Der Schriftsteller aber, der Wesentliches leisten möchte, muss im Widerspruch leben zum Bla, zum geschäftigen, alles gleich und zufrieden machenden Alltag um ihn herum, zum Blöd-Delirium der dauernd überall gereichten Biere, it is as simple as that. Leichte Alkoholprobleme (bei mir), das kann ich schon auch sagen: Das Saufen ist hier auf dem Land so ein absolut naheliegendes Vergnügen, und ich bin halt einer, dem es beim Biertrinken zu Hause auch alleine so absolut mega geht.

Kurz ist es dann unklar, am mittwöchlichen Fernsehabend vor acht, ob es ein BRENNPUNKT über die Zölle oder über die neue Koalitionsvereinbarung wird.

Heute, am Abend der Verkündung der noch frischen, neuen Regierungs-Einigkeit, ist es vor allem: eine Koalition der Schwitzer (geile Schweißausbrüche bei der Pressekonferenz im Paul-Loebe-Haus). Merz schwitzt ja sowieso gerne (nicht ganz unsympathisch), Klingbeil hat wahrscheinlich einfach 40 Grad Fieber. Wenige „wir werden“, viele „wir wollen“, so werde man das im Koalitionsvertrag lesen, lese man ihn denn genau, so sagte das eben Lars Klingbeil (Finanzierungsvorbehalt).

Nachts, vor dem Einschlafen, dann wunderbare Insta-Messenger-Dialoge mit dem Party- und Unterhaltungs-Genie DJ Kaos, in etwa wie folgt:

Bisch scho Berlin, brooo.
Komme Donnerstag. Bleibe bis Dienstag.
Ok. Ruf an.
Samstagabend Paris Bar.
Ok dude.
Love
♥️ U.
Schwule. Haha.
Spandau Süd.
WESTKÜSTE
PCH-Malibu. Topanga Beach.
Alter … Walla.

😂 😂 😂
F
U
K
Ich bin so baked.  

„Von guten Mächten wunderbar geborgen“ (Dietrich Bonhoeffer, 4. Februar 1906 bis 9. April 1945, im KZ Flossenburg, so kurz vor Kriegsende noch, hingerichtet, er wurde, Ohgottogott, auch nur 39 Jahre alt).

4. April 2025

Fürs Wochenende nach München. Nur kleines Gepäck: die alte Felisi-Tasche (dunkelblauer Stoff, schwarzes Leder, um 1999 bei Andreas Murkudis machen lassen, schönen Gruß).

Jacke: Alpha Industries.

Atemberaubendes lustiges Telefonat mit Freund Christian Kämmerling (ach, alter Freund).

Andi Bernard: möchte den Internationale-Literatur-Kanon-Spiegel schicken, den ich verpasst habe (super, Danke).

Die Dinge häufen sich, über die ich als quasi ex-anynomer MadW-Reporter einst — vor knapp einem Jahr — noch frei und locker und ohne zur Verantwortung gezogen zu werden berichten konnte (was ist eigentlich aus meinen großartigen, naturgemäß alle sehr herausfordernden Gedanken und Thesen zu meinem Sexualleben geworden? Na, eben!). Ganz einfach: Weil ich mittlerweile eine echte Leserschaft habe, besonders auch hier in der Region, ist die Freiheit, explizit die literarische — aber auch die nicht ganz unwichtige Freiheit, einen schönen asozialen und überschnappenden und wirren Unsinn zu erzählen — dahin. Und ich werde von meiner Leserschaft auf meine Textlein angesprochen, beim Kaffeetrinken beim Schwarzen Peter, im herrlichen Edeka-Supermarkt (prämiert als bester Supermarkt von Südthüringen und Nordfranken), ja sogar beim Spazierengehen im Wald. Und, äääää, das ist ja auch: eine sehr schöne Sache. MadW grüßt seien Leserinnen und Leser in der hochfränkischen Heimat!

Trump, Zölle, Rosengarten, Kasperle: kein Kommentar.

Maxim Biller erinnert in seiner Zeit-Kolumne an den Ausflug mit Rainald irgendwohin aufs bayerische Land. Es war der Sommer 1993 (Wahnsinn, das ist also auch schon 52 Jahre her), und es war der Nachmittag mit der geilen bayerischen Sonne, mit Unter-Apfelbäumen-Sitzen und mit Kuchen, und wir debattierten, immer heftig, unter anderem über Maxims Vorschlag, in einem gedruckten Fanzine namens Wächter des Feuilletons (haha) das Feuilleton zu überwachen, also Maxim-style, das doofe, eingeschlafene, spießige Feuilleton mit kleinen, sehr wütenden, sehr lustigen schriftlichen Einwürfen zu attackieren, die das INTELLEKTUELLE KLIMA bei uns im hübschen, eingeschlafenen, 1993 ganz knapp noch nicht total egalen München mal wieder bisschen auf Trab bringen sollte. Und im Porträt über Rainald, das als Resultat aus diesem Ausflug in der Zeitschrift Tempo erschien, war auch das Zitat, das mir schon damals so eine Freude gemacht hatte und das heute in Rainalds Wiki-Eintrag vorkommt: Er, der porträtierte Schriftsteller, denke darüber nach, von München nach Berlin-Wedding zu ziehen: „Ich muss ein paar Prolos sehen, wenn ich morgens aus der Haustür trete.“

Jetzt ist wieder das passiert, dass schon so viele Leute den neuen Christian Kracht gelesen und mir sehr genau und lebhaft erzählt haben, was daran Kracht-artig verspielt und besonders und insgesamt aber leider wieder arg künstlich und irgendwie leer bedeutungsschwer und aufgeblasen ist, dass ICH ES SELBER LEIDER NICHT MEHR LESEN WERDE. Schade. Ich fand ja Eurotrash eins der schönsten Bücher überhaupt, vielleicht meinen Lieblings-Kracht. Meine Schwester Katharina erzählte, sie habe ihn, den Schriftsteller, der jetzt ja wieder seine Barbour-Jacke trägt (so schön), natürlich bei der Buchmesse in Leipzig getroffen, bei der Tropen-Party, und er habe gesagt, schon eingeschnappt, aber auch wieder krachtig eigenartig/ lustig/ widerspenstig: „Den kriege ich einfach nicht“ (den doofen, im Vergleich zum Frankfurter Preis ja auch nachrangigen Preis der Leipziger Buchmesse). Nachsatz Kracht: „Dafür gewinne ich dann eben den Booker Prize.“ Cool.

Im Zug: Das pralle, ultra-selbstbewusste, extra derb und nachschnalzend und krachledernd rausgelederte Oberbayerisch der Schaffnerin geht mir so auf den Sack (ja, weil wir Franken die klügerer, gebrocheneren, ärmeren, stylischeren, moderneren Bayern sind, genau so). Ich höre nur noch: Bayerisch als Sprache/ Dialekt der Vorabend-Serien im öffentlich-rechtliche Fernsehen.

The Geruch von Gülle.

Ich kann noch die Sonne genießen, ohne daran zu denken und das auch unentwegt zu sagen, dass der Wald DRINGEND REGEN bräuchte. Aber vielleicht ist das mein letztes Jahr, an dem ich das kann (nächstes Jahr bin ich nur noch Waldbesitzer, nicht mehr Sonnengenießer).

„Nein, nicht danken.“
„Stimmt, danken ist immer scheiße (…) nie bedanken, nie entschuldigen.“
„Danke.
„Wir tun immer, was wir wollen.“

„… möchte ich hinzufügen, dass ich, wie viele Menschen in Deutschland, unter Schlafstörungen leide.“ (Stephan Weil, seit 2013 Ministerpräsident in Niedersachsen, im Moment des angekündigten Rücktritts).

31. März 2025

Saudoofe, komplett langweilige Sexpuppe (Rostock).

„Ich bin so verwirrt, dass ich gar nicht mehr weiß, vor was ich Angst haben soll oder muss“ (Cornelius Pollmer über das vergangene Trump-Wochenende mit dem üblichen Trump-Bullshit bei Micky Beisenherz — Kriegsdrohungen, Zölle, ich habe vielleicht doch Lust auf eine dritte Amtszeit etc.).

DJ Hell am Samstag (4. April) im Pimpernel („legendary, since 1970“), Müllerstraße, Isarvorstadt, super.

Telefonat mit Charles Schumanns. Er hatte letztens, irgend wann letzte Woche, wieder mal den XY zum Mittagessen zu Gast (Politiker, Einzelheiten nicht erheblich): „Ich habe ihm gesagt, er soll sich zusammenreißen.“ Bravo, lieber Charles.   

Novemberregen am letzten Märztag.

Melancholie
MELANCHOLIE
Melancholie gilt nicht.

Bioladen kann keine Schokolade.

30. März 2025, Sonntag

Der Knaller am gestrigen Buchmessen-Samstag in Leipzig — die Profis hatten die Stadt nach der Preisverleihung und den Partys wie gewohnt früh verlassen — waren natürlich nicht die Bücher (größter Buchmessen-Star, schon wie im letzten Jahr: Dirk Rossmann), sondern die Manga-Comic-Con in Halle 1B: die Elfen, die Mittelalter-Freaks, die Burgfrolleins, die Star-Wars-Irren, die riesenhaften Psycho-Plüschtiere, oh je! Es war der Aufmarsch of TEENAGE GERMANY (jeder, der stark verpickelt oder sehr weißhäutig oder überhaupt sehr schlecht ernährt ist oder aus einer ländlichen Region stammt, in der ab 21 Uhr kein Bus mehr fährt, war da). Und man musste es irgendwie schon lieb haben.

Es war aber auch: sehr eklig.  Verkleidung ist — da habe ich recht, oder? — immer ein Hinweis auf verfreakte Sexpraktinnen, ist im Kern ja immer einfach SM. Ich sah ein Frau mit rosa Johann-Sebastian-Bach-Spitzenunterwäsche auf den gläsernen Messegängen ihrem Mann mit Plastik-Hundeschnauze zuzischen: „Troll dich, du Köter“. Igitt.

In der Nähe vom KiWi-Stand — ich ging da besser nicht hin, weil von mir seit fünf Jahren kein neues Buch mehr draußen ist, ist dann immer für alle peinlich — stand, sehr groß, sehr gut aussehend, der blonde Fußballer, der beim WM-Finale 2014 in Rio so unvergessen weggetreten rumgetaumelt war und seither mit Mertesecker Spiele kommentiert (Christoph Kramer, natürlich), er posierte lachend für Selfies.

Wie ist denn das mit dem Bücherklauen in diesem Jahr auf der Messe? Es macht irgendwie niemand mehr.

Ausgleichs für den Buchmesse-Besuch, der bei mir wirkungslos geblieben war:
Mendelssohn-Haus in der Goldschmidtstraße (im zweiten Stock: das Kurt-Masur-Museum, unserem Mann vom Gewandhaus-Orchester in New York, habe den zu Lebzeiten, frühe Neunzigerjahre, schon immer toll gefunden).

Und dann gleich weiter: zum Schumann-Haus in der Inselstraße („Welcome to the home of the Schumanns (…) Hier verbrachten Clara und Robert Schumann von 1840 bis 44 ihre ersten, sehr glücklichen Ehejahre.“)

Briefköpfe, die an diesem Wochenende auf meinem Schreibtisch liegen:
Waldbesitzer Diensleistungs-GmbH Hochfrank
Bayerischer Waldbesitzerverband
Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bayreuth-Münchberg
Naturpark Fichtelgebirge
Familienbetriebe Land und Forst Bayern, München
Hauptzollamt Regensburg
Finanzamt Hof
Tischlerei K. Broszies
Baloise Landwirtschaftliche Betriebs-Haftpflicht-Versicherung.

Sonntagabend, 17 Uhr: Eishockey, Playdown-Runde. Rückspiel der Wölfe (Selb) gegen Regensburg. Es geht, oh Gott, schon wieder um alles.

27. März 2025, Donnerstag

Hier muss ich mal wieder was sagen, natürlich, natürlich (schon eine Woche Schweigen bei MadW).

Der Moment, der aus den zwölf nur halbglücklichen, aber immerhin eben halbglücklichen Tagen in den USA im dritten Monat des irren Trump bleiben wird — neben Arnold‘s Country Kitchen, der sagenhaft tollen Mittagskantine in Nashville (Ihr habt es drauf, ihr fantastische soul boys, ihr habt es ALLES erfunden, you got it, you got it): We cross River Tennessee while having The White Stripes on the radio (siehe Meldung vom 19. März).

Sich das Schöne und Erhabene im Leben vom POP schenken lassen — das also als Glück erleben, wenn Bruder Natur und Schwester Pop zusammen einen Moment herstellen, das ist schon sehr jung, finde ich auch, eher schon siebzehn- als zwanzigjährig, aber es tut mir leid: Ich kann nicht, ich habe nie etwas Besseres erlebt. Bissl traurig, aber eben auch nicht weiter schlimm (und ganz normal), ist, dass man das Popglück im Alter, so dann ab 38, denke ich, immer öfter ganz alleine erlebt, also irgendwie beim langweiligen Essenkochen oder beim Zähneputzen, nicht im CLUB, so wie das früher immer war und so wie es sich gehört (sorry, alles nicht weiter der Rede wert, mich hier irgendwie in eine Ecke hineingequatscht, nicht schlimm, das gibt‘s hier auf MadW, dafür liebt ihr mich 😘😘).

Meine Fragen an die USA, Stand heute, 27. März 2025:
Woher nehmt ihr all das GROSSE her, durch das man stundenlang, wie in Trance, mit dem Auto fahren kann?
Seid ihr sicher mit dem vielen HUHN auf der Speisekarte der südlichen Bundesstaaten (chicken), frittiert, gebraten, in Teigmantel eingepackt und ohne Teigmantel? Es wurde mir dann irgendwann zu viel.
Seid Ihr sicher, dass Ihr Eure Zukunft, also den gesamten Widerstand gegen Trump, einem 84jährigen Metallbrillen-Träger anvertrauen wollt („We will fight back, we will win“, Bernie Sanders), gibt es da nicht jemand Jüngeren?
Warum nervt mich die SOZIALISTISCHE HOFFNUNGSTRÄGERIN Alexandria Ortasia-Cortez schon jetzt so sehr? (Das geht nicht, nach der supersympathischen Prominenten-Freundin Kamala Harris, dem hohlen Lächelmonster, sorry, sorry, ich hätte da gerne jemanden mit realistischerer Aussicht auf Erfolg bei den Midterms).
Warum seid ihr immer noch — obwohl ihr euer Land gerade von einer brutal gut organisierten und zu allem entschlossenen Verbrecher-Clique auseinander schrauben lasst — so unfassbar unzerstörbar toll, the alleine leading nation on planet earth?

Was ich den USA gesucht hatte, Rhythmus, Soul, Deepness, am besten eben ohne Vorrecherche mit nervtötendem ChatGPT in DEN Internet, sondern driftend, gleitend, in Halbtrance, das fand ich dann gestern Abend — ganz locker — hier im geliebten Oberfranken, natürlich. Kollege Michael Rehwagen hatte mir schön öfter vom weiter nicht aufregenden, aber eben sehr coolen und rootdownigen Wirtshaus in 95126 Fletschenreuth bei Schwarzenbach/ Saale erzählt, da fuhren wir dann gestern endlich hin, zum Goggerl-Essen (Wiener Backhendl mit Kartoffel-Gurken- und Feldsalat).

Stelzer Bräu.
Die Glasvitrine über den Tresen (Sechzigerjahre)
Die berühmte umlaufende Wirtshausbank (Sechzigerjahre).
Ein herrliches Pferdebild an der Wand (war das ein Puzzle, ein Mosaik?)

Bekannt sind die Wirtsleute Schaller unter anderem für den auf ihrer Website zitierten, viel Lebensklugheit auf eine griffige Formel bringenden Meisterspruch RESERVIERUNG GARANTIERT VERFÜGBARKEIT. Alles klar.

Was soll ich sagen: Man kann nach Nashville reisen, immer toll, ich empfehle es. Oder eben nach 95126 Fletschenreuth.

Der große neue Gartentisch wurde gestern geliefert. Und Peter Richter schrieb gestern –– ganz klassisch Peter-Richter-lich (Vollgas) — über Hell und Meese und ihr Kraftwerk-Reminiszenz-Album in der Süddeutschen.

Ruft Erika Thomalla noch an? Fortgesetzte Frage: Soll ich noch schnell –– Kurzbesuch für eine Nacht — zur Buchmesse nach Leipzig? Och nö, die Tropen-Verlag-Party, von der das da ja hauptsächlich jedes Jahr immer handelt, ist schon heute Abend (ab Freitag, so die Buchmesse-Profis, flaut es immer schon wieder ab). Obwohl die Leipzig-Feelings (die kennt ja auch jeder) in mir heute wieder stark sind, mir ist heute irgendwie wieder so nach 1996.

Ich muss jetzt mal noch eine Stunde nach draussen, irgend was war da draußen, was mir gut gefällt, ich glaube: ein Himmel, ich glaube: die Vöglein, die schon wieder so geil aufgeregt tschilpenden, ich glaube: EINE FRISCHE LUFT, genau.

19. März 2025, Mittwoch

Gegen fünf Uhr Nachmittags, unter dem dramatisch weit nach oben aufgerissenen Himmel, fuhr der hässliche Kia über den an dieser Stelle gut einen Kilometer breiten Tennessee River — die Brücke dehnte sich, wie sie das hier in Amerika machen, über einen silbrig glänzenden Stehlenbogen. Und in der Playlist schuftete Jack White von den White Stripes an den Gitarren — es lief die umwerfende Vollgashymne Ball and Biscuits. Da musste man sagen: Das war jetzt alles, so, wie es war, schon sehr, sehr gut oder auch einfach: unschlagbar. We love you, United States of America.

Da fiel mir ein, huch, dass sie in Deutschland schon vor Stunden über knapp eine Billionen entschieden hatten. Kannst du, liebe Beifahrerin, mal gucken, ob da alles glatt gegangen ist, bei den Kolleginnen und Kollegen im Bundestag? Gottseidank, jaja, war alles gut gelaufen. Wir sind jetzt um eine Billionen reicher und können den armen Schulkindern im Ruhrgebiet neue Schultoiletten bauen, die nicht nach Pipi riechen, und die hässlichen Russen abwehren, wenn sie die EU angreifen. Gute Nachricht, hier kurz vor Nashville, Tennessee.

Nashville

The Patterson House
Arnold‘s Country Kitchen
Legend‘s Corner
Varallo‘s Restaurant
Brown‘s Diner
Springwater Supper Club
Swett‘s
Loveless Café (since 1951)
Brown‘s Diner
Dino‘s (oldest dive bar, East Nashville)
Robert‘s Western World

Hotworx Shotguns

Lucchese Boots

Lustige Szene gestern beim Frühstück in irgendeinem weiter nicht besonders schönen Nationalpark (verdreckte Trailerparks) bei Greenville:

Bei Eggs Up Grill on 2930 Divine Street in Columbia in 29205 South Carolina steht der EGG COUNTER auf 2.295.360. Ein Mann mit Kappe, weißem Schnurrtbärtchen und Lesebrille — Typ cooler Spaßmacher, der seiner Ehefrau seit vierzig Jahren auf die Nerven geht, weil er immer Fremde anquatscht und ihnen seine Partygags aufdrückt — zeigt auf mich und sagt: „Heyy, bold man.“ Und ich gehe hin, fasse ihn an den Arm und sage: „Good morning, Sir, how are you today?“ Seine Ehefrau lächelt kopfschüttelnd.

Moment, ich habe doch gar keine Glatze. Ist das „bold“ irgendwie auch anders zu verstehen, in irgendeiner freundlichen, positiven Konnotation? Hat er vielleicht etwas ganz anderes gesagt? Ich habe die Interaktion jedenfalls als erfreuliche, freundliche Begegnung empfunden, vielleicht war auch alles ganz anders gemeint. #rätselhaftes Ausland.

Der Eierpreis am 18. März 2025 in den USA: mehr als 10 Dollar für ein Dutzend. Das ist offenbar sehr viel. Der Preis für ein einzelnes Ei im Supermarkt: 76 Cent. Der Stoff, aus dem Revolutionen sind. In Deutschland wird sogar von Preisen von 15 Dollar für einen Karton Eier geschrieben, aber, Entschuldigung: Die Girls bei Eggs Up Grill on 2930 Divine Street wissen es besser.

Dann endlich, gegen 18 Uhr bei Boots Barn: Stiefel. Es ist gelungen, so denke ich, keine Angeber-Stiefel zu kaufen. Sondern eher so eierfärbige Säcke aus beigem Wildleder. Die Freunde in 95173 Schönwald dürfen dann entscheiden, ob sie auch zu Hause getragen werden dürfen, oder ob sie gleich an den Sohn weitergehen (die Söhne, sie können bekanntlich alles tragen).

(…)

Stop at Five Guys, 2020 Gunbarrel Rd., Chattanooga, Tennessee, 37421.
Order-Id: 51
Employee: Jacob R.

It‘s quite possible that I‘m your third man, girl/
But it’s a fact that I’m the seventh son/
And right now, you could care less about me/
But soon enough, you will care by the time I’m done.

 

17. März 2025, Montag

Still visiting the old south, the ante bellum America (Philipp Oehmke).

Wir fahren mehr Highways als Freeways.

Wunderbar swingende, das Hirn auf Minimalfunktion stellende Ödnis.

Knapp mehr Kirchen als Wohnhäuser:

Forgive my sins, Jesus/ Save my soul.
Beyond reasonable doubt: Jesus is alive.

Ein Highlight ist eine Filiale der Großkaufhaus-Kette Boot Barn. Wester and Work Wear, niedliche mexikanische Verkäufer, sehr geile Polyester-Cowboyhemden, all made in Bangladesh. Beim Bezahlen die Frage, ob man die Truppen im Ausland mit einer Spende oder MIT EINEM PAAR SOCKEN unterstützen möchte (Boot Barn Holdings, Inc., America’s largest western and work wear retailer, is partnering with Operation/ Care and Comfort to support active military troops serving overseas with its semi-annual “Socks for Soldiers” event), okay.

Wir haben es komplett aufgegeben, eine irgendwie coole — Entschuldigung, jaja, aus Berliner Perspektive coole — Kleinstadt oder größere Stadt zu finden, das gibt es nicht. Die dunkel schimmernde Bar, den Diner aus den Fünfziger-Jahren, den man ja in der Konsequenz immer wieder sucht: gibt es alles nicht mehr. Stattdessen: wunderschöne Tankstellen-Wastelands, die immerselben Fastfood- und Hotelketten. Die Hässlichkeit des corporate America, es ist ja eh das Allerschönste und Poetischste, klaaaaar. (Merke gerade, wie lustig es ist, das flache Land der USA der treuen Leserschaft von MadW zu erklären, es weiß ja eh jeder — außer uns — wie dieses Land aussieht und funktioniert).

Lars Jensen reicht noch eine sicher auch inhaltliche sehr stichhaltige und wahre Nachbemerkung zu meiner, natürlich, komplett unqualifizierten und flapsigen Feier des New Yorker Minderheitsführer der US-Demokraten im Senat, Chuck Schumer, nach — ich hatte Lesebrillen-Schumer als eleganten alten Herrn und Stylekönig bezeichnet. Man liest, how literally angekotzt mein alter Freund Lars Jensen von diesen Leuten sein muss, die Amerika ruiniert und das Land an die Trumpisten ausgeliefert haben:

„Chuck Schumer ist übrigens nicht der letzte elegante Demokrat, sondern das allerletzte Stück Dreck, die feigste, kaputteste, stumpfeste Demokratensau, die Verkörperung von allem, warum es für dieses Land keine Hoffnung gibt. Die gesamte Partei, zumindest die Leute, die nicht in direkter Abhängigkeit von Wall Street und Silicon Valley stehen, sind außer sich vor Wut und fordern Schumers sofortigen Rücktritt. Seine Zustimmung zu dem Haushalt wird nur von einem begrüßt, und zwar von Trump, der dank Schumers Verrat am amerikanischen Volk unbegrenzte Macht über den Haushalt bekommen hat. Um diese Situation zu verhindern, wurde vor 250 Jahren die Verfassung geschrieben. Es ist einer dieser Schlüsselmomente, die in hundert Jahren in allen Geschichstbüchern stehen werden. Schumer gehört zu der Sorte seniler Demokraten, die es immer noch wichtiger finden, einen bipartisan compromise zu finden, statt die faschistische Revolution zu verhindern.“

Das quintessentielle amerikanische Gedicht:
Shallow water
No diving allowed
No lifeguard on duty
Swim at your own risk.

Total begeistert bin ich (#normaal) von den amerikanischen Dusch-Armaturen — es gibt nur einen Hebel, mit dem allerdings lassen sich gleichzeitig Wasserstärke und Temperatur hochdrehen, genial (das Prinzip: Wer mehr Wasser will, der will auch gleichzeitig heißer duschen, so ist der Mensch, so läuft das Leben).     

Schon neun Uhr früh morgens hier im hässlichen Hyatt Hotel in Knoxville, Tennessee, guten Morgen. We got to go.

16. März 2025, Sonntag

HAHAHA. Über Nacht traf dann eine längere WhatsApp-Nachricht meines guten Freundes Lars Jensen ein, er lebt seit vielen Jahren (seit zwanzig?) in NYC — ich hatte ihm eine ein wenig hysterische Sprachnachricht hinterlassen, mit der Frage, wo denn unser cooles und rouges Amerika bleibe, das man gut auf Instagram veröffentlichen könne, wir seien ein wenig enttäuscht.

Lars‘ herrliche Antwort — ich zitiere mit Erlaubnis dieses sehr guten, auch immer sehr gut informierten und amüsant formulierenden Journalisten:

„Haha! Amerika IST Taylor Swift. Es gibt kein cooles, roughes, schwarzes Amerika. Das existiert nur in Filmen. Die paar Orte, die funktionieren, wurden komplett vom weißem Großkapital annektiert und in eine pinke Höllenlandschaft verwandelt. Deswegen verlasse ich New York nicht mehr.

(…)

Wenn ihr Rough und Cool wollt, müsst ihr nach Queens oder Harlem. Vielleicht auch Detroit. Aber sowas festzustellen, ist ja der Sinn eines Roadtrips. Charleston in der Steueroase South Carolina existiert in erster Linie für weiße Millionäre aus dem Norden, die keine Steuern zahlen wollen. Savannah ist ehrlicher, aber auch sehr weit weg von cool und rough. Wenn ihr es weniger aufgeräumt wollt, müsst ihr in eher heruntergekommene Städte wie Memphis oder Birmingham fahren. Und ihr müsst weiter nach Süden, Mississippi und Louisiana. Cancer Alley ist spannend. Und New Orleans finde ich tatsächlich super, es hat in den Außenbezirken auch eine gute Roughness.“

Lars warnte uns dann noch vor den tödlichen Wirbelstürmen, die weiter im Süden tobten, okay!

Hier jetzt Drip-Coffee aus der guten Keurig-Maschine (Best Western Inn). Gleich dann, nach dem Morgenkaffee, Aufbruch zur Sea Coast Mega Church in Mount Pleasant (10.000 Christen, die den Lieben Gott sagenhaft doll lieb haben), wir werden uns dieses Amerika, und das mit sehr guter Laune, I am telling you, weiter angucken. 

15. März 2025, Samstag

And we’re hitting the SOUTH.

US Highway 17, crossing the border between North and South Carolina, heading Charleston. Morgen Savannah. Am Mittwoch dann, offenbar: Nashville, Tennessee.

Unser lustig klappriges Avia-Mietauto, ein KIA, das loweste vom lowen (komplett okay).

KFC
Wendys
Smithfields
Chick n‘Bar BQ
Chick-fil-A
Five guys
Arby‘s
Hardee‘s
Bojangles
Dunkin‘ Drive Thru
The Lord Food pantry
Waffle House 24hrs

Adopt a highway

Authorized vehicles only

High men‘s seafood
Jim‘s car care
Urgent care 7 days a week

New homes ahead

Ford
Chevrolet

St. Pauls waccamaw methodist church
Bethel rimitive baptist church

JESUS SAVES (#Angst)

Injured? Just call JOYE.

Wrong way
Be prepared to stop.

Offenbar wurde gestern, einmal mehr, ein Shut Down verhindert (Thanks to Mr. Lesebrille, the last elegant Democrat, Sir Chuck Schumer). Und wir HABEN ES NICHT MITGEKRIEGT. Man kriegt hier sowieso eher wenig mit, auf den endlosen Fahrten durch das große Land. Wir genießen die endlose Hillbully Music (WKKY Country Radio 104.7 FM). Und wir quatschen — wie schön ist das, bitte — einfach durch.

Das Phänomen Trump ist eins, über das im ALTEN EUROPA praktisch unterbrochen berichtet und gesprochen werden muss, natürlich. Hier im neuen Amerika interessiert das offenbar weniger, es wirkt alles gespenstisch normal. Würde man mich fragen, wie Amerika auf der 20-Stunden-Autofahrt zwischen New York, Philadelphia, Washington, Richmond, Norfolk, Rocky Mount, Wilmington und Myrtle Beach (Atlantic Ocean) denn bisher so wirkt, ich würde sagen: seltsam reich. Preppy. Corporate. Überrenoviert. Das Land der Swifties. Eben: Taylor Swifts Amerika. 

Zuletzt hatte ich in Kalifornien ein brutal angezähltes und himmelschreiend elendes Amerika erlebt (Obdachlose). Zumindest in den Südstaaten, spätestens dann ab dem Swing State North Carolina, hatte ich krasse Armut, brennende Mülltonnen, Slums erwartet. Stattdessen sehen wir — auf unserer etwas unbedarften Tour durch den Süden — ein Amerika, das wie die Shopping Mall eines chinesischen Flughafens wirkt. Nach acht Tagen USA: There is a lack of soul, of Rock’n Roll, of Rhythm‘n Blues, of danger. Man könnte in den Norden Charlestons fahren, das die NY Times zu den zehn gefährlichsten Gegenden des Landes zählt, aber dann wäre man ja wirklich ein sehr ahnungsloser, behämmerter deutscher Tourist.

Ach so, es ist exakt so schockierend teuer, wie alle USA-Reisenden in letzter Zeit immer berichtet haben. Zwei Kaffee (ohne alles, kein Espresso, kein Cappuccino), zwei Flaschen Wasser dazu: 25 US Dollar. Oh! Zwei Büchsen Bier, please add wahlweise 20, 25 oder 35 Prozent Trinkgeld: 18 $.

Marlene Knobloch in der ZEIT: Why is Country cool again?

Jetzt gerade noch, haha, die Tagesschau auf dem iPad gesehen. Vermisse mein soulful Oberfranken.

Fuck Trump.
Fuck den Jesus Christus der MAGAisten.
Fick dich, weißes, fettgefressenes, plattfüßiges, flacharschiges, dicknussiges, nach Käse und Best Fruity Diptyque Baies Room Spray riechendes Bibelchristen-Amerika.

Aber ja, die Zigaretten auf den Verandas der billigen Motels schmecken immer noch köstlich.

Gute Nacht, Leude, aus dem Best Western Charleston, 1540 Savannah Highway.

12. März 2025, Mittwoch

Nach zwei Tagen NY City: dritter Tourtag durch die USA.

Fahren.
Fahren.
And just: keep on driving.

Man sieht auf Freeways ja komischerweise immer oft nicht so gut in die Landschaft hinein, die Fahrbahnen mit ihren acht oder zehn Spuren sind einfach zu breit. Das verstärkt das Zenhafte beim Auf-amerikanischen-Autobahnen-Fahren.

Das Lustige bei mir ist, dass ich gar nicht mal so gut Auto fahre, wie man vielleicht denken könnte (muss beim Spurwechseln immer zusehen, dass ich den lautlosen Convertible, der von hinten angerauscht kommt, nicht übersehe). Gleichzeitig fahre ich seit 1989 und das absolut unfallfrei. Der Gag ist, dass ich eben weiß, dass ich keiner dieser natürlich guten und traumhaft sicheren Autofahrer bin und deshalb wirklich immer auf der Hut bin.

Die Regeln sind die allgemein gültigen auf Reisen: im Zweifel immer gar nichts oder noch weniger machen und noch einen Tag länger bleiben. Man will eher gar nichts. Alles kommen lassen. Möglichst wenig Instagram, möglichst wenig Ehrgeiz bei der Auswahl der besten Lokalen und Frühstückscafé (wir mögen die zweit- und die drittklassigen Cafés). Und natürlich: an Häuserwänden lehnen und einfach nur gucken, gucken. Gewissermaßen rauchen, ohne zu rauchen (große Wehmut: fürs Zigarettenrauchen sind wir zu alt).

21 Grad.
Wundervoll warme, dabei köstlich frische Lüfte.

Hier in der Hauptstadt Virginias gibt es ein Licht, in dem gleichzeitig immer das gesamte 17., 18., 19. und 20 Jahrhundert abläuft — es ist schwer zu sagen, was genau ich damit meine, in etwas so: Ich sehe hier das gesamte amerikanische Jahrhundert seit der Weltwirtschaftskrise und dem New Deal, die Goldene Ära der USA in den 1940er und 1950er-Jahren, wie in einem nicht besonders guten, aber sehr catchy und gut gemachten Steven-Spielberg-Film mit Tom Hanks, und ich sehe die Engländer hier ankommen, sich das goldene Land nehmen und dem Stamm der Pawnee-Indianer den Gar ausmachen.

Eben den wunderschönen Abschiedsbrief der Kollegen Iris Radisch zum Ende meiner Zeit bei der ZEIT gelesen. Danke. Es ist mir eine Ehre, liebe Iris. Es ist mir eine Freude.

Nun die Frau wecken, die da auf dem hohen, neuenglischen Bett liegt und einen Nachmittagsschlaf hält. Und, wie sagt man, ein büsschen die Gegend unsicher machen, Leute — auf geht’s, raus auf die Straße, wir gucken jetzt, was die Leute in jenem März 2025 auf den Straßen von Richmond, VA 23220 USA, zu allem sagen.

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