moritz von uslar
meldungen aus dem wald

15. Oktober 2024, Dienstag

Den Spiegel-Kanon der 100 besten deutschen Bücher des Jahres, falsch, der letzten hundert Jahre, von 1924 bis heute, gelesen, ach was, genau studiert. Natürlich total beleidigt gewesen, dass mein Deutschboden (2010) nicht dabei war, das gehört doch da voll rein, aber hey, normal, damit machen die wahrscheinlich ihre Auflage (mit beleidigten Autorinnen, die das verkehrt finden, dass ihr Roman es nicht in die Spiegel-Auswahl geschafft hat). Kanone sind extrem sinnvoll und immer wieder neu auszurufen, weil sie, bestenfalls, nicht etwas über die Zeit sagen, der sie sich widmen, sondern die Zeit, in der sie entstehen. Das Kriterium für einen guten Kanon muss natürlich in der Zahl der Bücher liegen, von deren Existenz man absolut keine Ahnung hatte, das wären hier unter anderem:

Fritz Rudolf Fries‘ Der Weg nach Oobliadoo (1966)
Franz Führmanns Von Feuerschlünden (1992) 
Christian Krachts Faserland (1995), haha, kleiner Gag
Christoph Heins Landnahme (2004) 

Andi Bernards Kritik von Handkes Wunschloses Unglück hat mich gerührt, das geht ja gar nicht anders (er, Andreas, empfahl mir einst das Buch, als ich ihm sagte, ich habe, glaube ich, noch nie etwas von Handke gelesen, ist der denn gut?, das muss so, geschätzt, 1998, in der goldenen Münchner Zeit, gewesen sein, des Freundes Werbespruch lautete damals, das weiß ich auch noch: hundert Seiten, das liest du in einem guten Nachmittag weg), allein die drei in seiner Spiegel-Kritik erwähnten direkten Zitate aus dem Roman machen einen fertig („Im Zorn schlug sie die Kinder nicht, sondern …“). 

Und weiter im Spiegel, man liest das Blatt ja dummerweise nur noch alle zwei, drei Jahre, was natürlich falsch ist. Das Interview mit Thomas „Ich verstehe den Zeitgeist nicht“ Gottschalk ist sehr, sehr toll, nicht, weil er so ein interessanter Trottel wäre (ist er auch), sondern weil so viele Trottel in Deutschland, Jahrgang 1950, in deutschen Kleinstädten aufgewachsen, wie Gottschalk sind — sie haben bloß keine Plattform, von der aus sie sprechen können, kein politisches Amt, keine Yogaklasse, keinen Podcast, keine Radiosendung etc. 

Jetzt mal im Ernst: Thomas Gottschalk ist so ein wahnsinniger Idiot. Wie er sich über eine Halle voller brüllender Take-That-Fans lustig machte, das vergessen wir ihm nicht. Es ist außerdem ganz unverzeihlich dumm, als Mann ganz gleich welchen Alters die „Ich gehe nicht allein mit einer Frau in den Aufzug“-Nummer zu erzählen, you can not win, und auf den dummen, dummen Mohrenkopf zu bestehen. Gleichzeitig ist die Herzlosigkeit und brüllend laute Unbegabung der beiden Spiegel-Interviewerinnen immer wieder neu schwer zu ertragen. Man muss Gottschalk mögen, wenn er seine Blonder-Ex-König-des-ZDF-Bedürftigkeit offenlegt, er will einfach so doll gemocht werden, er war doch einmal so locker und swinging, so herrlich unvorbereitet und trotzdem gut und versteht nicht, dass das alles, alles vorbei sein soll: Geht es menschlicher, als dass einer keiner Hemmung hat deutlich zu sagen, dass er sich alt und dumm und abgelaufen und ungebraucht fühlt? Letztlich eben doch: Vorbild Gottschalk.

Wir driften hier durch die goldenen Herbsttage. Eine Stunde lang an der Kleppermühle mit den Wasserbüffeln unterhalten. Die großen, grauen Raubtiere im grünen Wasserbottich sind Welse, man setzt sie unter anderem dafür ein, um Teiche leer futtern zu lassen. 

18 Uhr. Der Tag geht, Kulmbacher Edelherb kommt.

14. Oktober 2024, Montag

Gestern in einer Zürcher Runde besprochen, was das ist, ein Date. Ich wusste es wirklich nicht (Generationsproblem, ich denke, von Date ist in Deutschland erst die Rede, seit ab den 1990er-Jahren die Fernsehsoap Beverly Hills 90210 auf RTL lief). Ich wollte es genau wissen, auch, weil mir der Satz „Da habe ich ein Date“ oder „Da gehe ich auf ein Date“ gleichzeitig immer hochinteressant und rätselhaft erschienen war (was passiert? Warum sind die nicht einfach verabredet?), und nach etwa zehn Minuten hatte ich im Gespräch mit den drei um 1995 geborenen Zürchern einige wenig überraschende und doch sehr interessante Kriterien zusammen. 

Von einem Date spricht man:
— bei einer Verabredung von zwei Personen 
— bei einer „exklusiven“ Verabredung  (unklar, was genau damit gemeint ist, irgendwie ist es wichtig, dass der Fokus wirklich auf den zweien liegt, die sich da treffen, eine gewisse Konzentration ist nötig, da soll niemand stören und nichts ablenken)
— bei einem gelinde gesagt irgendwie sexuellen Interesse oder Fummel-Interesse, bei zumindest einem der beiden Personen muss ein Interesse vorhanden sein, „etwas mit einander zu haben“
— wenn die beiden Personen zum ersten Mal exklusive Zeit miteinander verbringen, also sich zum ersten Mal dezidiert miteinander sehen (ein Date ist nicht mehr möglich, wenn man sich schon gut kennt oder sogar in einer Paarbeziehung miteinander lebt).
— wenn dem Abend eine gewisse Planung vorausgeht (Kinokarten kaufen, einen Tisch reservieren etc.). 

Beim Endlich-alles-über Daten-Erfahren merkte ich auch: Ich weiß bis heute eigentlich nicht, was das ist, ein schönes Abendessen unter Freunden. Ich habe das nie erlebt, also, Moment, ich erinnere mich genau, dass Leute, als wir in unsere späten Zwanziger kamen, öfter mal „zu Abendessen“ eingeladen waren oder selber welche gaben, also „Freunde zu Hause hatten“. Der Satz hieß: „Heute haben wir Freunde zu Hause.“ Oder: „Heute haben wir Freunde zum Essen da.“ Und ich dachte schon damals: Warum bin ich eigentlich nie zu so etwas eingeladen?

Irgendwie, im Ernst, war ich immer zu asozial für nette Abendessen zu Hause, mich wollte nicht jemand an einem Tisch haben, auf dem Selbstgekochtes stand. Stattdessen hieß meine Verabredung immer: Später noch auf ein Bier? Wir haben natürlich abends auch irgendwas gegessen, aber eher stehend, nebenbei, oder bei preisgünstigen Italienern, aber doch nicht zu Hause (irgendwie zu intim und irgendwie auch zu wenig fremde Leude an den Nachbartischen, die man angucken kann). Der Kühlschrank wäre eh nie vorbereitet gewesen auf eine Abendessen-Einladung, das lag eine alte Hautcreme drin und ein halber Liter Milch.  

Lustig auch: Als ich gestern in einem der amtlichen Gasthäuser der Region gegen 12 Uhr mittags zu einem frühen Mittagessen einkehrte, beschimpfte mich eine mir vollkommen unbekannte, mir eventuell aber doch von irgendwoher bekannte Frau (wie so oft hier auf dem Land) als „zweitklassigen Schauspieler“. Und ich dachte sofort: Ist okay, das haut so für mich hin, da fühle ich mich angesprochen. Zweitklassig und dann noch Schauspieler, das bin ich.

Draußen fand der Herbst statt, so kalt, so nass, so ungemütlich und gleichzeitig so gemütlich, wie der Mensch es einfach nur liebt.

Und zufrieden trank ich am gestrigen Sonntag zur einer frühen Mittagszeit mein erstes, erstklassig gezapftes Helles und dachte: reiches Leben, große Welt, weiter so, meine Freunde, Liebsten, Leude, I am coming

11. Oktober 2011, Freitag

WER bekommt den Literatur-Nobelpreis? Han watt bitte wer?

Deutschlands Buchhändlerinnen leiden. Das Komitee in Oslo bringt die Überraschung noch ganz aus der Mode — es gibt nur noch Überraschungen, jedes Jahr eine neue. 

Sie ist ja gar nicht sooo unbekannt, merke ich gerade, ganz im Gegenteil, wohl schon eher eine arrivierte, sehr durchgesetzte Autorin, nur ich kenne sie mal wieder nicht (okay, okayy). Bei ihr, der großen Südkoreanerin, so kann man jetzt lesen, geht es unter anderem um eine Frau, die sich in eine Pflanze verwandelt (aus Protest gegen die herrschenden Verhältnisse, Scheiße). OKAY! Das muss erst mal wenig heißen, nichts Gutes, nichts Schlechtes, der größte Käs‘ kann toll sein, wenn, wie gerne gesagt wird, die SPRACHE stimmt (gähn). Jetzt sagt garantiert gleich wieder irgend jemand: „Die ist aber wirklich ganz, ganz toll.“ Da bin ich sowieso sicher, dass die toll ist — endlich mal ein Buch über eine Vegetarierin!

Es freuen sich alle Han-Kang-Spezialistinnen auf Erden. „Die Vegetarierin ist ein Meisterwerk“, Julia Ecke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Iris Radisch auch ganz normal begeistert (Rezension vom 13.10. 2016 in der ZEIT). In der Welt fand Mara Delius die Sexszenen im zweiten Teil des Buches leider eher misslungen („betulich“).

Han Kang jetzt also in einer Reihe mit Thomas Mann und Hermann Hesse. Ich habe ja auch immer gesagt: Die 25 wichtigsten Journalistinnen-Preise des Jahres (es sind etwa 25 sehr wichtige) müssen die kriegen, die ganz weit weg irgendwo im Abseits stehen, wir Angeber in den großen Zeitungen kriegen doch eh schon das ganze Licht und die ganze Sonne ab. Kang arbeitet nebenbei übrigens als Journalistin für die Zeitschrift Wasser der tiefen Quelle. Und auch in diesem Jahr, verehrte Hörerinnen und Hörer, ist der Literaturnobelpreis wieder mit umgerechnet 99,99 Mark dotiert. 😘😘

Wer ist da? Ach du bist es, DER WALD ist am Telefon (ich habe euch lieb, ich vermisse euch, Leude).

Fühle ich mich klein, ängstlich und heimatlos, lese ich einfach die um die zwanzig pro Tag eintreffenden WhatsApp-Nachrichten der „Schmankerlgruppe“, von Klaus und Heidrun so vortrefflich wie liebevoll verwaltet und betreut. Um die siebzig Mitglieder können hier das Essen für den Mittwochabend bei den Grünhaider Schützen vorbestellen. Nächsten Mittwoch: Blut- und Leberwurst mit Kraut und Kartoffeln. Pure #Love.

Lieblingsort für die ersten kleinen Biere, so ab halb sieben darf man loslegen — das Rondell am #Bellevue in seinem klassisch modernistischen 1930er-Jahre-Schwung. Die Orte, die nicht für einen ganzen Abend gedacht sind, sondern für die ersten zehn Minuten des Abends, sind die besten, weiß ja auch jeder, absolut jeder.

10. Oktober 2024

Meine Meinung
MEINE Meinung, wie immer so schön gesagt wird (Gruß an Inga Humpe und Tommi Eckert, wir blödelten mal einen ganzen Abend an Tresen irgendeiner Partyküche rum, das „Meine Meinung“ der Brandenburger Kneipensteher und Berliner Busfahrer in unterschiedlicher Melodieführung immer wieder aufsagend:

Meine Meinung.
Meine Meinung.
MEINE Meinung.
Meine MEINUNG.

Ganz bei sich ist das „meine Meinung“, wenn im folgenden Satz null Meinung oder eine totale Selbstverständlichkeit gesagt wird, also: „Der Oktober macht sich bisher kühl und regnerisch, meine Meinung“ oder „Ich nehme noch ein Pilsbier, meine Meinung“, haha, genial).

Schön immer: wenn Leute einfach etwas sagen wollen, ziemlich egal, was. Da beginnt für mich immer gleich extremes Wohlbefinden, wenn das so stattfindet, dass Leute einfach, mehr oder weniger ohne Inhalt und, wie gesagt wird, ohne Punkt und Komma, vor sich hinbrabbeln. Ich brabbelte halt auch gerne. #SOUND

Und dann: Trump, Habeck, Haushalt, Ukraine-Krieg, Nahost, die so genannten politischen Themen: noch mal alles anders. Ich habe halt oft eine Riesenungeduld über das GESEIER, das so oft angestimmt wird, wenn es um politische Themen geht, mein Geseier/ meine Ahnungslosigkeit/ meine seit 1985, der Zeit des Kalten Krieges, immer wieder reproduzierten Sätze zu allervorderst. 

Kleines Gedicht aus meinem Kopf (es geht nun, Vorsicht, in eine andere Richtung):  

Man kann eigentlich immer zu allem etwas sagen, aber dann denkt man manchmal doch, sehr klar: hier besser nicht.
Mir fehlt manchmal etwas ganz einfaches, denke ich: WISSEN nennt man das, glaub ich, dann.

Wissen wäre manchmal doch schön.

Dann denke ich, sprechend, ich könnte hier einfach weiter quatschen, aber merke dann, sprechend: Hier höre ich auf, da schweige ich jetzt mal. Es hört sich gut an. Und lasse die anderen ihr Zeug/ ihre Sachen sagen.
Mein Gefühl sagt … aber wollen Sie hier wirklich mein Gefühl?
Mir sticht etwas, hakt etwas eher hinten, tut etwas, im Knie links oder doch im rechten, seit geraumer Zeit schon weh. Aber über Krankheiten — gute Regel — spricht man doch nicht (daran hielt sich, bis zum Schluss, auch immer mein Vater).

The batteries of Bla.

Habe ich über einen halben Tag geschwiegen, dann merke ich, dass ich am nächsten Tag schon wieder ganz sprechen kann.

Jetzt sechs, sieben, acht Stunden Autofahren, im Oktoberregen. Geht ja gar nicht schöner.

9. Oktober 2024, Mittwoch

Frankenpost: Trübe Stimmung in Oberfrankens Wirtschaft. Das Handwerk glaubt nicht mehr an eine schnelle Erholung. Zukunftsträchtige Investitionen würden zusehends im Ausland getätigt. Von einer Herbst-Tristesse spricht die IHK Coburg. Von einer Herbst-Tristesse? Mist!

Thomas Scharnagl in der Frankenpost: Es ist höchste Zeit, dass Bürger von Windrädern finanziell profitieren (Kabinettsbeschluss in München). Korrekt! Das ist auch meine Meinung.

Cem Özdemir hat bei der diesjährigen, alle zehn Jahre stattfindende Bundeswaldinventur für den Zustand des Waldes im Jahr 6 seit dem Wald-Schlüsseljahr 2017 wieder so eine sehr gut sendbare, natürlich auch bissl kitschige Zeile gefunden, wie er das eben am schönsten kann (jetzt bitte den herrlichen Sound des schwäbischen Anatolen vorstellen): „Das grüne Herz unseres Landes gerät aus dem Takt“ (beim Wald ist immer gleich Kitschgefahr, klar). Anteil der Laubbäume in Bayern: 38 Prozent. Diesen Satz, liebe Leserinnen und Leser von MadW bitte merken, er ist zentral für meine Arbeit hier im Wald: Zu hohe Holzvorräte machen die Wälder anfällig für Stürme, Trockenheit und Käferbefall.

Das Tagwerk: Meister Kersten Broszies, der Tischler aus Berlin mit außergewöhnlichen Fähigkeiten (null Herbst-Tristesse), ist da. Besprechungen mit dem Herrn Förster (laufen die Harvester? Sind die Akkus wieder repariert? Ah ja). Für den Termin um 16.30 Uhr musste noch erkundet werden, was derzeit ein fairer Stundenlohn für eine zeitweise Anstellung im Bereich XY ist. 13 Euro? Wenn man nett sein möchte, 14 Euro? What? Ich dachte, der Mindestlohn in Deutschlannd liegt derzeit bei 20 Euro. Offenbar ist das nicht der Fall.

Zu viel unterwegs gewesen, die letzten Tage, die letzten Wochen, es liegt mir leider so, die ganze Zeit irgendwo rumzuhängen, nur nicht da, wo ich hingehöre (rumdödeln in Berlin, herrliches zufälliges Treffen mit Bruno und Nicole und Markus Peichl und Andreas Osarek beim Abendessen für Harald Falckenberg in der Paris Bar, letztlich dann wieder mit Alle-an-den-Händen-Fassen und Hey-Jude-Singen, so schön, Bruno-Style, am Montag Beerdigung in Hamburg). Aber, Moment: Die Idee des PRINZIPS WALD war doch die Ereignislosigkeit, es sollte sich eine Leere, ein Swing des fortgesetzten Sehr-wenig-Tun einstellen, eine Trance. Ohne Trance keine durchschlagenden anderen Gedanken, keine geile Kraft-Aufstauung, kein Fortschritt, überhaupt nichts Geiles, alles geht in Bla unter, keine #Kunst. #normal 

Gesucht wird hier weiter: die gute Ödnis.

4. Oktober 2024, Freitag

Die überschnappende, seiernde, leiernde, jauchzende Live-Demo-Stimme der Sahra Wagenknecht, durch schlechte, krächzende Lautsprecheranlagen verstärkt („NEIN zu den US-Raketenplänen, NEIN zu Kriegen, und FÜÜÜÜR Verhandlungen“), die eine ultraschlichte, bewusst simplifizierte, aufgesetzt neunjährige Weltsicht à la Grimms-Märchen wiedergibt: purer Horror. Sie ist einfach die trostloseste, verlogenste Lügenkuh der deutschen Politik. And she knows it (und ihre dicker, E-Bike fahrender, weinrote Seidenhemden tragender, westdeutscher Ex-Gewerkschafts-Dödel-Ehemann weiß es sowieso). Wegen ihr habe ich noch mal einen ganz neuen, von ganz anderer Seite kommenden Hass auf PERLENKETTEN bekommen (bisher immer recht naheliegend als das Accessoire der fett gefressenen, saturierten, gleichzeitig gierigen und angepassten Materialisten-Neocon-Adelsgirls in den Achtzigerjahren im Internat gehasst). 

Ich hasse einfach Friedensdemos, dachte ich heute wieder, schon immer. Allein das DU der Friedens-Hetzerin Wagenknecht, wenn sie vor ihren belömmelten Friedens-Schafen, die Putin lieben, am Berliner Breitscheidplatz steht. Die eine Seite ist ultradumm (in eine kindliche „Ich kneife die Augen zu, dann geht der böse Mann weg“-Weltsicht zurückgezogen, „Die Welt soll wieder heileheile sein“), die andere ultra-verlogen. Keine gute Kombination.

Zum klassischen Antikriegs-Aktivisten-Öko-Talk gehören, wie man bei der seiernde Friedens-Aktivistin Sahra Wagenknecht noch mal hörte, die Worte:
Wahnsinn.
Irrsinn.
Gerne auch: Wahnwitz (kotz). 
Und uns wird erzählt …

Genau, liebe Sahra, dir und deinen Friedens-Schafen wird erzählt, euch wird übel mitgespielt, und ihr müsst schlucken, schlucken und dürft eure Meinung nicht sagen, in dieser miesen Diktatur, die uns hier gelebt wird — du armes Opfer, du kannst doch zwischen Wahrheit und Dichtung so schwer unterscheiden. Es ist ja auch schwer.

Während ich diese bewusst unterkomplexen, wieder mal mit großer Freude hingeschlampten Worte hinschreibe, ist mir die ganze Zeit bewusst, dass ich — einige Woche, bevor ich im Mai mein einjähriges Sabbatical bei ZEIT-Feuilleton und ZEITmagazin einreichte — das ich das mit ihrem Büro vereinbarte Interview „99 Fragen an Sahra Wagenknecht“ gleich ZWEI MAL abgesagt hatte, auch noch: kurzfristig abgesagt hatte, also ungehörige, für mich peinliche zwei Tage vor Termin. Einfach: weil mir bewusst war, dass ich der Teufelsfrau Sahra Wagenknecht mit meinem aus dem Jahr 1998 stammenden Konzept der schnellen Fragen NICHT GEWACHSEN sein würde. Kurz gesagt: Ich wusste, dass sie über mich hinwegwalzen und mich einstecken würde, und mein Interview nach Erscheinen, unter anderem in der Großen Donnerstag-Konferenz der ZEIT, als vergebene Chance beurteilt werden würde, und das völlig zu recht. Diesen Sieg der Sahra Wagenknecht über mich und die große und sehr gute Zeitung, für die ich arbeitete — der ihr, auch das war gleich klar, in ihrer großen Presseroutine vollkommen gleichgültig sein würde — den wollte ich nicht. Und heute weiß ich: Eine Schlaffheit meinerseits war es gewesen. Ich hätte mich, der ich ahnte, was für eine HÖLLENHÜNDIN die Sahra Wagenknecht in Wahrheit war und wie in aller nächster Zeit ultrawichtig und erfolgreich sie in diesem Land noch werden würde — von ihrem nahen Austritt bei der Linken und ihrer Parteigründung war ja seit Sommer letzten Jahres andauernd die Rede gewesen — ich hätte mich einfach hinsetzen und meine ARBEIT tun sollen (also das Interview vorbereiten, führen, hinschreiben, alles wie immer, denken, scharf stellen, einfach in Ruhe meine Arbeit tun). Fehler. 

Da sitze ich, am Freitagabend gegen halb elf. Und verdaue das köstliche Stück Riesenfleisch (mit Sauerkraut und Klößen), das der Wirt des Alten Pfarrhaus in 95173 Schönwald/ Göhringsreuth mir zum Abendessen gegeben hat.

Jetzt beruhige ich mich mal wieder ein bisschen. Okay. Lohnt ja alles nicht. Doch, lohnt immer.

#Love

Ja, es stimmt, es macht mich immer ganz nervös, wenn ich mit dir FaceTime telefoniere, ich kann es es nicht, gleichzeitig finde ich es natürlich auch toll (sorry, sorry). Ich bin wohl Generation Telefon (zur Zeit der ersten großen Ölpreiskrise geboren). Schlaf gut, mein Liebling.

3. Oktober 2024, Donnerstag

Noch schlafend hörte ich heute Morgen einen langen Essay von Jürgen Kaube zum Tag der Einheit im Deutschlandfunk: „Innerdeutsche Grenzziehung. Analyse eines neuen Unbehagens.“ 
Kaubes Grundfrage: Wie aber steht es um den großen Gegensatz, der uns in Deutschland derzeit nahegelegt wird, um den Gegensatz von Ost und West?

Ich gebe mal hier ein paar Zitate wieder, die ich, während der Kaube-Text ab halb zehn verlesen wurde, in die Notiz-Funktion meines Handys tippte (muss nicht im Wortlaut stimmen, es musste ja schnell gehen), es lohnt sich, das hier noch mal zu lesen: 

„Sie sind empört und zwar so sehr, dass sie inzwischen sogar das Gespräch über die Gründe ihrer Empörung verweigern (…).
Nicht reden wollen, sondern Positionen beziehen, die nicht verhandelbar sind (…)
Protestwähler zu sein ist auf Dauer keine attraktive Rolle. Wer möchte schon psychologisiert und erklärt, anstatt ernstgenommen werden. Der mündige Bürger wählt aus Überzeugung, das hat sich herumgesprochen (…).
Insgesamt wird vor den extremen Parteien (in den öffentlich-rechtlichen Medien) ständig gewarnt. Sie seien undemokratische Parteien, es sei fatal, sie zu wählen. Damit tritt ein Paradoxon hervor: Denn diejenigen, die als Undemokraten bezeichnet werden, verstehen sich selbst als die besseren Demokraten (…).
Bei der Eröffnung der diesjährigen Frankfurter Buchmesse wurden Schilder mit dem Slogan „Demokratie wählen!“ hochgehalten. Das war ein Widerspruch (…). Denn: Was anderes sollte denn in freien, gleichen und geheimen Wahlen zum Ausdruck kommen als die Demokratie? (…).
Solange die AfD bei Wahlen zugelassen wird, begeht, wer das Kreuz bei ihr macht, keinen demokratischen Irrtum.
Die Liste westdeutscher AfD-Politiker ist lang. (…). Man kann sagen, dass das Problem westdeutscher Dominanz für den Osten auch für die AfD gilt (…)
Italien, Frankreich, Niederlande, Polen, Ungarn: In all diesen Ländern existieren dieselben Probleme, die wir Ostdeutschland zuordnen. Und das sind Länder, die keine Wiedervereinigung hinter sich haben. Nur manche von ihnen haben eine sozialistische Vergangenheit. 
Wir können unsere Empörung in Wahlentscheidungen umsetzen. Ansonsten nützt unsere Empörung nicht viel (…).
Das heißt auch, dass wir uns der Phrasenhaftigkeit dessen bewusst werden, was wir allgemein hin so sagen, wenn uns jemand ein populistisches Argument oder einen rechtsextrem Unfug präsentiert. (…).
Und so gut wie niemand fühlt sich derzeit gut regiert. Der Irrtum ist nur, die Extremen könnten es besser.“

WORD UP. 

Es sprach: Jean Paul Baeck, Schauspieler, Sprecher, Köln.

Leichte Müdigkeit bei mir, überhaupt noch Irgendetwas zu Osten und Deutsche Einheit zu denken, dachte ich noch gestern auf der endlosen Flixbus-Fahrt von Zürich nach Oberfranken, es wurde doch schon so unendlich viel dazu gesaaaaaagt, aber jetzt bin ich heute, auch durch den Kaube-Essay, gleich wieder so angedreht. Welches andere europäische Land hat so etwas krass Interessantes, Komplexes, längst noch nicht Abgeschlossenes und immer Weiter-neu-zu-Denkendes-und-zu-Beurteilendes in seiner DNA wie wir mit der irren Geschichte der Jahre 1989/ 1990?  

Das Gute/ das Wichtige an Herrn Kaubes Essay liegt darin, dass er nichts Besonderes sagt, das aber sehr genau und sehr klar. Seine Brillanz ist eine, die ganz ohne Originalität oder — wie heißt das noch mal — ballernde Sätze auskommt.

Schickte den ganzen Essay als Audiofile sofort unserem Waldkönig aus Sachsen, Herrn Randolph (bitte anhören, so geil, so geil, Danke).

Die Bundesregierung spricht zur Deutschen Einheit im Jahr 35: „Frei, vereint und unvollkommen.“ AHA.
„Die Einheit ist vollendet, auch wenn sie nicht vollkommen ist“ (Carsten Schneider, Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland). AHA.

Stephan Schlak schickte mir die neue Zeitschrift für Ideengeschichte: „Unternehmen Unseld“ (Grünbein, Goetz, Mara Delius, Niklas Maak, Illies). Angekommen, vielen Dank, wird natürlich noch ganz genau studiert. 

„The beer I had for breakfast wasn‘t bad/
So I had one more for dessert“
On a Sunday morning sidewalk, Kris Kristofferson (1936 bis 2024)

1. Oktober 2024, Dienstag 

Einkauf Coop Seefeldstraße, Zürich, um exakt 17:27 Uhr:

Tyrells Kartoffelchips (slow cooked, simply sea salt)
Espresso-Pads La Semeuse (40 Stück)
Quöllfrisch Hell 0,33-Dosen (8er-Pack, Karton)
Coca-Cola-Dosen MINI 150 ml (Original Taste, delicious & refreshing) 🇺🇸
Tagesanzeiger, die unabhängige Schweizer Tageszeitung, 132. Jahrgang, Nr. 228, CHF 4,60 

Das muss wieder für eine Woche reichen, haha.

#Pro
#vollgut
#allesimGriff
#Anti-Depression
#Waswillstdudenn
#Sex
#ichhabeuchlieb
#RiesenthemaÄlterwerden

Es ist fast schon November. 😎

Freue mich so über die melancholische Regen-Scheiße da draußen, sie ist einfach das beste, im Prinzip ja dass einzig machbare Wetter für uns GEISTESMENSCHEN, die immer an einem 700-Seiten-Roman sitzen (#normal), im Kopf, wo auch sonst, und ihre scheiß Ruhe haben wollen.

#ihrLieben
#ihrSüßen

30. September 2024, Montag

Andere Frage: Warum nimmt man eigentlich nicht gleich Franziska Brantner, die Baden-Württemberg-Rakete und Tiktok- und Insta-Playerin, als Kanzlerkandidatin der Grünen, wenn unser alter Robert, was ja alle verstehen, in Wahrheit in total melancholischer und erschöpfter Verfassung ist? Das ist — klar — das große Thema der Parteien ein Jahr vor der Bundestagswahl: Alle wissen, wer nach vorne treten und kandidieren müsste, das ist ja überoffensichtlich. Aber irgendwie passiert es noch nicht (hoffentlich dann gleich nach dem Koalitionsbruch im Dezember). 

Die Hässlichkeit der Thüringer Vorfälle ist: groß.

Vorschlag aus dem Hause Uslar zur Bekämpfung der faschistischen Partei AfD: Jede Bundesbürgerin/ jeder Bundesbürger bekommt einmalig 49 Euro überwiesen (beliebig, ja, aber irgendwie ein hübscher Betrag), wenn sie/ er „verspricht“ (nun, ja), bei der nächsten Bundestagswahl keine Faschisten und keine Putin-freundliche Partei zu wählen, also nicht AfD oder BSW. Bei zirka 62 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland wären das Ausgaben von zirka 3 Milliarden Euro (oder 30 Milliarden? Sorry, sorry, kann immer so schlecht rechnen), im noch nicht verabschiedeten Haushalt, in dem eh 12 Milliarden fehlen, komplett okay. Man würde an das Ehrgefühl der Leute appellieren und ihnen gleichzeitig hart Cash ins Portemonnaie legen, ich finde, in diesen kaputten Zeiten eine gute Idee, denn so ein Versprechen bzw. mit einer symbolischen Summe amtlich entlohntes Bekenntnis zur Demokratie wäre natürlich rechtlich nicht bindend (wenn auch, klar, verfassungsrechtlich sicher problematisch). Ich weiß es doch auch nicht, Scheiße, ziehe den Vorschlag schon wieder zurück, er ist eine Schnapsidee (Grüße an den köstlichen Whisky Sour in der Bar der Kronenhalle am gestrigen Sonntagnachmittag um 17 Uhr, you rocked), aber wir müssen die Menschen einfach wieder da abholen, wo sie sind (Helmut Schmidt). 

Darf man nach den Vorwürfen gegen den Rapper Sean Combs alias P. Diddy alias Puff Daddy noch Hip Hop hören, fragte mich ein Freundin. Die Frage ist doch eher, das dachte ich gleich: Darf man sich, auch als so genannter Mogul des Rap, der sexuellen Nötigung, des Menschenhandels und der Erpressung in mutmaßlich fünfzig oder noch mehr Fällen (Ermittlungen und Zeuginnenbefragungen laufen) schuldig machen? Damit beschäftigt sich jetzt eine Grand Jury in New York. 

Frage: Wird sich die seit jeher sehr auf Nacktheit, Juwelen, Champagner, dicke Autos und dicke Eier setzende Visualisierung des Hip Hop, im Grunde ja eine Feier der rape orgy und des sexuellen Übergriffes, je ändern? Nein, das wird sie nicht. Und, Antwort auf die Frage meiner guten Freundin: Es ist immer richtig und eine gute Idee, Hip Hop zu hören, weil Hip Hop einfach die große und bestimmende Kultur der letzten dreißig Jahre und gleichzeitig eine enorm avancierte und interessante Kunstrichtung ist. Und: So etwas wie einen moralisch problematischen Genuss von Hip Hop gibt es nicht, liebe Freundin, das ist kompletter Turboquatsch. Just enjoy.

Und noch mal: Unseld-Festspiele in der SZ. „Er mochte im Grunde genommen den erfolglosen Autor nicht.“ (Paul Nizzon)

Anruf im Wald. Die Harvester arbeiten. 

28. September 2024, Samstag

Gestern Nacht noch das erste Fünftel der ersten zwei neuen Folgen der neuen Stefan-Raab-Show gesehen. Er ist mir nicht so vertraut, wie er mir vertraut sein müsste aus seiner berühmten Zeit (Nuller-Jahre), um ihn heute sicher beurteilen zu können, weil Fernsehen in meinem Leben leider immer eine vollkommen ungenügend große Rolle gespielt hat (genau so schade, wie wenn Streichquartette oder die Musikdramen von Richard Wagner in anderen Leben zu wenig vorkommen, ich weiß, wo von ich spreche). Man sah sofort seine grandiose Routine, die er nach zehn Jahren Pause offenbar einfach so wieder anschalten kann, und wie Avantgarde er mit seinem Abstruse-Zwei-Sekunden-Fernsehschnipsel-außerhalb-jedes-Kontextes-Zeigen damals schon war (das war ja im Grunde schon Tik Tok, genau, Peter Maffay im Bild haben, wie er „Ich habe gesoffen wie ein Loch“ sagt, und alle lachen ab, und schon ist der nächste Schnipsel dran). Und das alte Raab-Ding, dass er eben nicht wirklich ein Überflieger oder irgendwie ein Hochbegabter ist, sondern nur ein kleines, wirklich ein kleines Bisschen lustiger als dein bester Kumpel/ der Blödmann, der neben dir auf der Fitnessclub-Bank seine Schuhe zubindet und in deiner Pilskneipe unbezahlt und ohne Publikum seine Gags raushaut — die Erkenntnis also, dass es in Deutschland ja nicht ein, zwei Raabs gibt, sondern etwa 20 Millionen — dieses Ding funktioniert noch immer.

Und trotzdem: Es flog nicht. Es hob nicht ab. Es bockte nicht mehr (dazu muss man die alten Sendungen nicht verinnerlicht  haben, um das sofort zu erkennen). Er ist einfach: zu alt, er sieht zu klapprig aus, irgendwie auch zu verrückt nach altem Stefan Raab, wie eine alte Stefan-Raab-Gummimaske, um noch gute Witzen zu erzählen, teils wirklich scheußlich greisenhaft und hinfällig, schon dramatisch, man traut ihm nicht mehr zu, dass er das noch checkt, was in dieser ultra-durchcodierten Welt noch lustig und einen Gag wert ist. Show Business, grausames Business. Und klar, hässlich und uncool aussehen, locker komplett lowen Mist erzählen und sich dabei nichts scheißen — die Stefan Raab claims — das ist bei einem halbwegs jungen Menschen eben alles auch wesentlich appetitlicher als bei einem alten, der, sorry, 10 JAHRE PAUSE gemacht hat. Tut den Alten da bitte weg, liebes RTL, und lasst einen nach 2000 Geborenen das machen. Sorry. Sorry.  

Klar ist auch — das steht, wie heißt das?, auf einem ganz anderen Blatt — dass ich natürlich trotzdem weiter gucken werde. Man guckt ja immer weiter.

Gestern im Calancatal zu Mittag gegessen: Weißwein aus dem Tessin, viergängiges Menu. Überhaupt: öfter mal für ein Mittagessen ins Land südlich der Alpen reisen (Gotthardbahntunnel etc.). Ich sagte der Frau, die ich sehr liebe und mit der ich immer unterwegs bin, dass ich es großartig fand (das Mittagessen), aber das so was — mit norditalienische Style-Königinnen und silberhaarigen Antipasti-Spezialisten in einem Vier-Tische-Lokal über den Alpen essen — insgesamt eher nicht so mein Ding ist. Ich esse eher so mittelgut, weißt du, Baby, mein Baby, ich bin eher dieser andere Typ. 😘😘

27. September 2024, Freitag

Anrufe im Wald. Gar nicht so leicht, mitzukriegen, was da wirklich gerade passiert. Die im Wald sind oft nicht so große Telefonmenschen (spricht nicht gegen sie, im Gegenteil). Regen, 12 Grad, nachts geht es schon runter auf 4 Grad. 

Das Holzmachen läuft an, das hat man früher in den kalten Monaten gemacht (Dezember, besser noch Januar, Februar), damit die schweren Maschinen die noch nicht durchgefrorenen Böden nicht zu wild kaputtfahren. Der Oktober wäre noch kein Holzmonat gewesen. In diesen neuen Zeiten (wann gingen die noch mal los?) passiert Holzmachen: praktisch zu jeder Jahreszeit, zwölf Monate im Jahr. Die Sägewerken zahlen, für die Jahreszeit, schon recht ordentliche 90, manchmal 95 Euro für den Festmeter, der Bedarf ist für diese Jahreszeit ungewöhnlich hoch, da über die Sommermonate gegen alle Prognosen der ganz große Käferangriff ausblieb (zu nasses Frühjahr, die Larven hingen nass und schlaff und verschimmelt und nicht mehr flugfähig in den Puppenkammern unter der Borke). Ich hoffe und ich denke auch, dass ich das in meiner relativen Unerfahrung so alles einigermaßen richtig darstelle. Gerne korrigierende Nachrichten an info@meldungenausdemwald.de. Ach, das noch: Die Abschusszahlen beim Rehwild sind okay, jetzt sind jeden Abend die Jäger draußen, wir näher uns an. 

Es ist dies hier auch das Experiment, wie sich von Zürich aus in einen Wald ins Oberfranken reingucken lässt. Um mal was ganz anderes zu sagen: Man braucht schon Fantasie.

Senioren-Frühstück (Lachsbrioche und Zwetschgenwähe) im schönen Café Freytag auf der Seefeldstraße. Es ist dies vielleicht das schönste Altersheim der Welt. Ja, auch über 90-Jährige flirten, und wie. Hier liest man noch die NZZ, Papierausgabe, und die Kaffeetassen geben Klapper- und Klingelgeräusche von sich, wenn Senioren-Hände die Tassen zitternd zum Mund führen.

Rührung. Alterssex ist Kuchen essen am Vormittag ist Riesenthema Älterwerden ist voll okay.  

22. September 2024, Sonntag

Poetikvorlesung, eine sehr kurze, wie folgt, in einem Absatz: Der Vorgang des Schreibens — was da konkret beim Wörtertippen in meinem Kopf und im ganzen Körper passiert —, das drückt sich für mich seit frühester Kindheit in der Arbeit, in den Bewegungen des DIRIGENTEN aus, als unser Vater uns, manchmal an zwei Abenden hintereinander, in die Philharmonie mitnahm und ich viel Zeit auf Wohnzimmerteppichen sitzend mit dem Betrachten von Deutsche-Grammophon-Plattencovern verbrachte (wirklich: stundenlanges Halten von DG-Covern und da draufstarren, es sind die Jahre 1976, 77, 78, während die Musik sich auf dem knisternden Plattenspieler abspielt). 

Er, der Dirigent, leitet sein Orchester, er gibt die Einsätze, hebt und drosselt die Tempi, legt den Schwung, die Bögen an, setzt die Akzente, gibt rein, nimmt raus, drückt, beruhigt, zieht hoch, faded runter, führt raus, zeigt die Ausgänge und den Fortgang, ist ein furchtbarer Diktator und Bestimmer und gleichzeitig ein ganz einfühlsamer, genauer, freundlicher Freund, konstruiert ganz maßgeblich und live von seinem erhobenen Pult aus, in die Instrumente und die Gesichter der Musikerinnen schauend, den SOUND, die Musik, the rhythm. Und so, sorry, wie der Dirigent habe ich eben auch schon als knapp 19jähriger, bei ersten journalistischen Versuchen, das Leiten der Worte und das Dirigat des Textes erlebt — I heard the music vividly in my head, while I was holding the Takt und wedelte da, sicher auch ein bisschen theatralisch (warum auch nicht, it is art, Baby), über dem Computer mit geöffneten Händen, die Zigarette in der rechten Hand, gerne Baseball-Kappe und Schuhe mit Ledersohlen tragend (gab Halt), soweit mein Schreiber-Aberglaube (naturgemäß sehr stark), die Asche auf der Computertastatur und auf dem Schreibtisch verteilend. Bis heute ist es, das Dirigat des Textes über dem geöffneten MacBook, ganz intuitiv ein Teil des Vorgangs des Textherstellens.

Urtypen des Dirigenten, die in wundervoller, absolut vorbildlicher Art und Weise den Sound leiten und DIE SACHE ZUSAMMENHALTEN: nicht der doofe Karajan (zu eitel, zu viel schwarzer Rollkragenpullover und doofe silbergraue 50er-Jahre-Tolle), obwohl der so oft auf DG-Covern war und ich ihn auch als Kind eventuell, bin nicht ganz sicher, ein paar Mal gesehen habe. Eher: der junge Carlos Kleiber (auf Plattencovern) und dann später (1973?), live, wie er den Rosenkavalier mit dem Orchester der Bayerischen Staatsoper aufführt und sich, berühmte Szene, nach ein paar Takten, lächelnd in die filigrane Metallbrüstung seines Dirigentenpults zurücklehnt und, das große glückliche Carlos-Kleiber-Lächeln im Gesicht, die Hände und den STAB sinken lässt, weil er weiß, die sind jetzt so gut, das haben wir so oft geprobt, das läuft jetzt hier einfach, bei der Premiere und der Videoaufnahme, von alleine.

Er, super writing Uslar, hat nicht so viel mehr als den Rhythmus, aber — sorry, sorry — DEN habe ich (Melodien waren mir immer eher egal).

Erster Stopp: Weiden, Oberpfalz.

Der Flixbus fährt heute von Hof nach München. Meine Flixbus-Liebe: fast grenzenlos. Der Bus ist voller Kapuzenpullover-Teenager, die nach köstlichen Billigparfums riechen.

21. September 2024, Samstag

Heute, gegen 18 Uhr, merkte ich, dass mir doch ein wenig schwindlig geworden war — wegen meiner vielen gesellschaftlichen Termine im Fichtelgebirge (der Ausflug nach Hamburg hatte wegen ausfallender RegionalExpresse nach Nürnberg nicht stattfinden können, da bin ich vollkommen stoisch, dann eben nicht, okay).

12 Uhr: Espresso und Hallöchen beim Steidl, Andi, wie gesagt wird (in der Factoria, Selb) 
13 Uhr: Mietergespräch
15 Uhr: zwanzig Jahre Buchhandlung seitenWeise in Rehau (noch einmal herzlichen Glückwunsch, liebe Birgit, liebe Kathi)
16 Uhr: Mineralwasser und Lagebesprechung bei Christl im Gasthof zur Goldenen Sonne (Christl sagt die Wahrheit)
17 Uhr: Münchner Schnitzel im Alten Pfarrhaus, Plauscherei mit diversen E-Bike-Ausflüglern
18 Uhr: Bundesliga

Das schönste Gespräch heute: Ein Zehn-Minuten-Plausch mit dem 1934 geborenen Superstyler Manfred Rockerbettel (graues Filzhütchen, jägergrüne Mehrfunktionsweste mit Druckknöpfen, er sah aus wie mein Lebensmensch DJ Fetisch, 1963 geboren, genialerweise in 30 Jahren wohl so etwa einmal aussehen wird, wir sprechen von der Legende nicht nur meines Lebens, sondern der Nachtleben-Stadt Berlin). Rockerbettel zeigte auf das schreiend gelb gestrichene Gebäude gegenüber in der Bahnhofstraße und erklärte: „Im Dritten Reich, ich erinnere mich, war hier das Parteibüro der NSdAP. Die Leute, die dort arbeiteten, mussten nicht unbedingt in der Partei sein. Aber sie durften auch nicht gegen die Partei sein, auch das weiß ich genau, sonst hätten sie nämlich nicht überlebt.“ Okay, Herr Rockerbettel, also so war das damals, in der letzten deutschen lupenreinen Diktatur des Dritten Reichs. 

Rockerbettel weiter: Ich solle, wenn ich über die Ortschaften Regnitzlosau, Oberkotzau und Rehau rede, diese bitte richtig betonen, also das Au getrennt vom Ortsnamen sprechen:

Regnitzlos-au
Oberkotz-au
Reh-au.

Ach so. Also nicht Sau, sondern Au sagen. Ist günstiger, ja, und wahrscheinlich auch richtig, verstehe. Wenn ich Lust hätte Dialekt zu sprechen, so der 90jährige Rockstar Rockerbettel, was man auch einem Zugezogenen ja nicht verbieten könne, dann solle ich wissen, dass man die Ortschaften in Mundart wie folgt abkürze:

Nitzla (Regnitzlosau)
Kotza (Oberkotzau)
Rehau könne man nicht abkürzen, das sei schon kurz.

Okay, lieber Manfred, Danke für die zehn Minuten Heimatkunde, ich melde mich dann demnächst mal auf deiner vierstelligen Festnetznummer. Und dann zeigst du mir, wie versprochen, die St. Aegidien Kirche von Regnitzlosau, im 14. Jahrhundert erbaut, sie sei nämlich nicht wie eine Kirche, sondern wie ein Parlament (!) organisiert.

Herrgott, hat er, der hier schreibt, heute schon’ wieder viel gewaaft(oberfränkisch für Unsinn reden, plaudern). Ich könnte ja auch zu Hause bleiben und die Wahlverwandtschaften endlich mal weiter als Seite 60 lesen, natürlich (davon handelt ja, das weiß je jeder, ein jeder Abschied in den Wald, dass man die WAHLVERWANDTSCHAFTEN endlich liest). Indes: Ich plaudere halt einfach so gerne — wirklich relativ beliebig mit der oder dem, die gerade da sind, wo ich mich gerade aufhalte. Menschen — ich finde sie alle ziemlich gut (Hahaha). Und: Beschwerden darüber, dass man die Wahlverwandtschaften NICHT liest, das ist doch wirklich das Allerüberflüssigste, Egalste, Ödeste.

Dietmar Woidke setzt alles auf eine Karte: Entweder er gewinnt, oder er verliert. HAHAHA. Ja. So kann es kommen im Leben.

Aufregung in Großbritannien wegen des Erscheinens des neuen Romans von Sally Rooney: Inzermezzo. Im Grunde genommen sei ihr Genre das des literarischen Liebesromans des 19. Jahrhunderts, Vergleiche mit Jane Austen und Henry James, und gleichzeitig, logisch, totale Gegenwart (Eva Ladipo, FAZ), geil. Werde ich lesen.  

Hannah Arendts Texte über Palästina (Piper Verlag, München).

Nächster Termin: Peter vom Hipstercafé Schwarzer Peter im ehemaligen Bahnhofsgebäude von Selb. Pflichttermin. Kathi, noch ein mal eine ganz andere Kathi, so hieß es, wird ein bissl auflegen. Mega. #Waldleben 

20. September 2024, Freitag

Der leiernde Karl Lauterbach heute Morgen im Deutschlandfunk, herrlich. Mir fiel sofort Benjamin v. Stuckrad-Barre ein, der Lauterbach stets sehr liebte, ihn mehrfach in seine Talkshow einlud, zuletzt, so glaube ich, richtiggehend mit ihm befreundet war und ihn toll übertrieben und überdreht nachmachen konnte (leier, leier). Um die Alltäglichkeit ihrer Freundschaft zu illustrieren, behauptete Stuckrad zuletzt, und das am liebsten in großen Runden, er würde seinen Arzt, den Bundesgesundheitsminister, sogar anrufen, wenn er Schnupfen habe: „Soll ich Nasenspray nehmen, Lauti, oder besser nicht?“

Wann kommt denn nun endlich, die ENQUÊTE-KOMMISSION zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie, lieber Herr Minister? 

„Wir haben nichts zu verbergen (…). Deutschland ist, gemessen an seiner relativ alten Bevölkerung, gut durch die Pandemie gekommen.“

Grandiose Fehleinschätzung des Ministers, zumindest was die Stimmung im Osten angeht, wo die Ausgangssperren und Schulschließungen und gesellschaftliche Ächtung der Corona-Gegner, vor allem im 33-Prozent-Milieu der AfD- und BSW-Wähler und Sympathisanten, als letzter Beweis dafür gelten, dass die Bundesrepublik ein autoritärer Staat, eine DDR 2.0 ist: „Wir sollten die Aufarbeitung der Corona-Epidemie, gerade im Wahljahr 25, als Chance der Versöhnung sehen.“ Ach, Lauti. Was hilft nur gegen Schnupfen?

Mit Michael Rehwagen im Wald unterwegs, immer gut.

Anruf aus Hamburg.
Alte Regel, ruft jemand aus Hamburg an (Hilfe): immer sofort hin.

19. September 2024, a donnering Donnerstag

„Die Angriffe (auf die Hisbollah) hätten tiefgreifende Angst und Terror ausgelöst.“ Ach ja? Die arme Hisbollah hat jetzt plötzlich Angst? Ich fasse es nicht.

Tenor überhaupt heute, natürlich nicht bei Bild, aber eben im Deutschlandfunk: arme, arme Hisbollah (von Instagram spreche ich gar nicht, da herrscht seit dem 7. Oktober, dem Angriff der Hamas auf Israel, Dauerhetze). 

Wahr ist natürlich: Hier wird Terror mit Terror beantwortet. Aber anders als Hamas und Hisbollah führt Israel einen Verteidigungskampf. Guter Freund in Frankfurt in Main, soeben per SMS: „Um ehrlich zu sein, ich hätte auch Angst, wenn ich wüsste, dass James Bond mir die Eier in die Luft jagt.“ Nachsatz: Leider ist der BND das Gegenteil von James Bond (könnte wichtig werden, wenn die Araber in nicht mehr ganz grauer Zukunft anfangen, auch unser schönes EU-Europa mit iranischen Raketen zu beschießen). 

Wer sucht die Musik aus, die beim Deutschlandfunk zwischen 7 und 9 zwischen den einzelnen Sendeblocks läuft und die immer wieder so geil geloopt, dass heißt im selben Track immer wieder neu eingespielt wird? Die war nämlich bisher immer so auffällig schlecht (retro Seventies Instrumental Kack, nervig), jetzt ist sie gut (ruhige, angenehme Housebeats, auf mittleren Beats per Minute), und ich stelle mir vor, dass die Redakteurin/ der Redakteur, die/ der das aussucht, doch auch mal gelobt werden möchte. Hier ist mein Lob! 

Hahaha, der Anwalt und AfD-Abgeordnete Stephan Fettbacke Brandner, hat nun auch von Bundesverfassungsgericht erklärt bekommen, dass er nach Hause gehen kann (seine Abberufung als Vorsitzender des Rechtsausschusses war rechtens). Vor ein paar Jahren — vielleicht sechs — hatte Brandner mich verklagt, weil ich in einem ZEIT-Feuilleton Witze über seine unbegabte Partei gemacht hatte. Heul doch, Brandi. Brandner, du hässlicher, dicker, stets stark schwitzender AfD-Dödel.  

Lektüre heute: „Man lebt sein Leben nur einmal“ (Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque, die Geschichte einer, ja, grenzenlosen Leidenschaft). 

Gute Lesung heute, Hüetlino, in der schönen Bar des Chateau Royal. 

18. September 2024, Mittwoch

Jetzt ist es soweit, dass man um 18.30 Uhr vor dem Fernseher sitzt — Frühabendprogramm, deppertes Bayerisch im Öffentlich Rechtlichen, Watzmann ermittelt. Und man findet es vollkommen okay. 

Da muss man dagegenhalten? Nein, da muss man eben nicht dagegenhalten. 

#dasLeben

17. September 2024, ich glaube, heute ist Dienstag

Aus DER WALD, dem Mitteilungsblatt der Waldbesitzervereinigung Sechsämterland e. V.:

Noch schenkt der späte Sommer Tag um Tag
Voll süßer Wärme. Über Blumendolden
Schwebt da und dort mit mildem Flügelschlag
Ein Schmetterling und funkelt sammetgolden
(Hermann the Perman Hesse, Spätsommer)

Und noch mehr Interessantes aus Der Wald:

Dem Gefühl nach hat es das ganze Frühjahr und den Sommer über geregnet, die Wetterdaten sprechen aber eine andere Sprache.

Vielerorts kann beobachtet werden, dass die Fichten auf Käferbefall wieder mit Harzfluss reagieren (schön!). Zudem ist zu erkennen, dass einige Käfer unter der Rinde verpilzt sind (auch sehr schön). Das Auffinden von Käferbäumen ist durch die häufigen Regenfälle jedoch deutlich komplizierter (Mist, stimmt), das Bohrmehl wird weggewaschen, die Rinde und die Nadeln kleben förmlich am befallenen Baum.  (…) Es ist also ein teils detektivisches Unterfangen, befallene Bäume zu identifizieren.

Kurz was Sie, liebe Leserinnen und Leser, jetzt zum Holzmarkt wissen wollen: Die Nachfrage nach Rundholz ist derzeit hoch. Das Schadholzaufkommen in Thüringen/ Nordbayern/ Fichtelgebirge blieb bislang hinter den Prognosen zurück (…). Daher waren die Säger gezwungen, ihren hohen Bedarf mit Frischholzeinkäufen auszugleichen. Jedoch steht der Exportmarkt für Schnittholz preislich auf keinem guten Niveau (…). Der US-Leitmarkt schwächelt. In unserer Region scheinen die „Ofenbesitzer ohne Wald“ im letzten Jahr ordentlich Brennholz gehortet zu haben, in diesem Segment ist der Absatz schwächelnd.

Randolph, der König des Waldes, haute heute Morgen krasses Zeug raus, alles die politische Großwetterlage in Deutschland und in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Besonderen betreffend — dabei schaute man immer in sein enorm aufgewecktes, amüsiertes, bewegtes Gesicht (Freude). Alles sehr nachvollziehbar. Alles leider auch: sehr falsch (Tenor: Mag schon sein, Russland führt einen hybriden Propaganda-Krieg gegen Deutschland, aber das ist kein ganz anderer Krieg als der, den die Bundesregierung in den Corona-Jahren gegen die eigene Bevölkerung geführt hat, man habe Grundrechte außer Kraft gesetzt und uns aggressiv mit Fehlinformationen vollgepumpt, überhaupt seien alle Regierungen, Russland und der Rest der Welt, gleich). Ich ertappte mich mal wieder bei der lustigen Idee, dass Herr Randolph für mich sowieso immer Recht hatte, weil ihm die Arbeitskleidung des Waldes (ausgewaschene orangefarbene Arbeitsjacken, regenabweisender Stoff) so EXZELLENT ZU GESICHT STAND. Wir reden dann sehr schnell über das immer angrenzend ums Eck liegende Großthema Ukraine, denn unter der Ukraine, das weiß ja auch jeder, geht nichts mehr (Randolph: In Kursk begeht die Ukraine dieselben Kriegsverbrechen, die Russland im Dombass begeht). Ich redete aus Gag, weil er es auch immer tut, nicht von den Medien, sondern immer gleich von den Fake Medien („Ich habe gestern in den Fake News gelesen …“ etc.), und merke gleich: Okay, bringt massiv Bock, das macht natürlich Spaß. Randolph versprach, schon bei unserem morgigen Treffen neue Argumente parat zu haben. Und ich endete mit dem irgendwie lasch und Hippie-mäßig klingenden Gratiswunsch: „So lange wir im Gespräch bleiben, lieber Herr Randolph …“. 

Bummsä.
Bummsääääääh.
Bummsfallera.

Check one, check two.

Es ist mir so megawurscht, ob 2025 Friedrich Merz, Friedrich Wüst (heißt der so?) oder Markus Söder gegen unseren Lars Klingbeil antritt, sorry, sorry (sorry), aber da bin ich ganz Wutbürger beziehungsweise Sachse. Ich merke mir jetzt: 2025 tritt der Karnevalsritter Armin Laschet noch mal für die Union an, lachend, aber dieses Mal im richtigen Moment lachend, das hätte ich wirklich nie, nie gedacht.  

Jonathan Meese und DJ Hell: „Wir sind sauer. Richtig sauer.“ Bussi an beide. 😘😘

Lieblingsgesang aus den Ultra-Kurven dieser Welt, zeitlos, wunderschön, todeslustig: „Wiiiiir haben euch etwas mitgebracht, HASS, HASS, HASS.“

15. September 2024, Sonntag

Drei Tage Berlin.
Glaserei.
Grill.
Bostich.
Wunderbares Herbstwetter (Sonne, Wind, Regen, alles gleichzeitig). Soviel geredet. Ich kann das gar nicht mehr. 

Reden ist toll. Macht aber leider bissl dumm. 

12. September 2024, Donnerstag

Am Bahnhof im Wald spielte sich heute Morgen gegen acht eine Szene ab, wie gestellt für eine Telegram-Video, das AfD-Anhänger untereinander teilen: 

Ein zirka 20jähriger Mann, augenscheinlich aus dem arabischen Raum, augenscheinlich komplett druff (Tendenz: Speed, irgend etwas Chemisches jedenfalls, rot geränderte Augen, Spuckeflocken in den Mundwinkeln, panisches Auf- und Abrennen auf dem Gleis, panisches Headbangen, als hörte er Gabba-Techno, dabei hatte er nicht mal Kopfhörer in den Ohren). Der Typ wühlte nun in einer Papiertüte herum, holte eine Bierflasche hervor, zog die Flasche auf, heftiges Anziehen, fing nun an, seine orangefarbenen Adidas, wieder enorm panisch, mit einem Papiertaschentuch abzureiben — spiderte dann zum Fahrkartenautomaten vor, auf dem er herumdrückte und mit dem er offenkundig nicht klarkam. 

Schöner Tritt unten in den Fahrkartenautomaten hinein, ein nicht zu heftiger (ging schon).
„Fotze.“
„Fotze, Fotze …!“.
Alles klar, dachte ich, Fahrkartenautomaten-Beschimpfen ist doch eigentlich immer gut.

Die Leute am Gleis, es waren etwa fünf, guckten weg, zogen sich ins Wartehäuschen zurück, eine nicht mehr junge Frau, Typ ordentliche Angestellte mit Daunenanorak und platinfarbenen Kleinstadt-Ohrringen, zog an ihrer Zigarette, sie warf mir einen „Oh weia“-Blick zu. 

Da brüllte der Speed-Typ, wirr in Richtung der anderen am Gleis guckend, oh weia, sein rechtes Auge kippte ihm dabei ziemlich weg:
„Was guckst du? WAS GUCKST DU?“). Unklar, ob er überhaupt eine spezifische Person im Blick hatte, die ihn da angeblich doof anguckte (eher den Morgen, das Leben, die Welt an sich). Er war halt druff. Und offenkundig sehr wütend. Und dann fuhr schon, guter Moment, der Zug nach Hof ein.

Soll man so eine Szene in MadW, in der ein Druffi am Bahnhof im schlechten Licht dasteht und dabei als „augenscheinlich arabischstämmig“ beschrieben wird, jetzt besser nicht aufschreiben? Liefert man denen, die eh schon in ihren Ressentiments und Vorurteilen gefangen sind, so neue Munition? 

Ich weiß nicht. Ich kann so nicht denken (ach so, und ich will es auch nicht). Ich erzähle hier halt was, Leude. Und ich schreibe seit jeher über alle möglichen Sorten Spinner (lustig, als „Spinner“ wurden in der brandenburgischen Kleinstadt auch immer jene astreinen Nazis bezeichnet, die am Herrentag mit Wehrmachtshelmen und Deutsche-Reich-Fahnen durchs Dorf latschten). Ich habe ja hier: auch schon sehr deutlich über sehr deutsche Freaks und Neonazis geschrieben. Und: Text von seiner möglichen Wirkung her zu denken, ganz gleich ob auf die Superbios vom Prenzelberg oder auf die Hornochsen im Erzgebirge, das finde ich falsch.

Zeitung lesen, wie man sie nur im Zug lesen kann. In der SZ ein Feuilleton von Andrian Kreye über Kamal Harris‘ Bühnenkunst beim TV-Duell („Noch ist nur die Debatte entschieden“, a must read, wie Lisa Feldmann sagen würde). In der ZEIT schreibt Axel Hacke über seinen Körper, der ihm wohl immer fremd war, auf der Titelseite sieht es leider so aus (Illu), als habe Hacke über seinen Penis geschrieben, was ja auch schön oder auch interessant gewesen wäre („Vom Leben mit kleinen Zipperlein (…): Der Schriftsteller Axel Hacke über einen faszinierenden Fremden, den er erst jetzt richtig kennenlernt/ Feuilleton“).

Um elf dann der lustige Notfallalarm: PROBEWARNUNG. FÜR DEUTSCHLAND. BUNDESWEITER NOTFALLTAG. Es besteht keine Gefahr. 

Das erleichtert mich jetzt echt. 😎

In Berlin versuchen sie seit gestern wieder, eine erfolgreiche Kunstmesse zu veranstalten oder, wie sagt man, eine Woche der Kunst (Berlin Art Week). Immer schön.

Nächster Halt: Pegau. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. 

11. September 2024, Mittwoch

Auf die Gefahr, dass ich hier selber wie ein knochenharter, bescheuerter und vor allem alter, weißer Mann klinge (nehme hier gerne Mitleidsbekundungen und aufmunternde Worte entgegen, bitte an info@meldungenausdemwald.de):

In Springfield, they‘re eating the dogs, the people that came in (…) they’re eating the cats, they’re eating the pets of the people that live there. This is what‘s happening in our country. 

Oh yeah.
He is playing the big tuba again. 
Tuuuuuuuut.

Es ist offenkundig, dass der Rassismus, den Trump hier mit der bekannten Trump’schen Lust intoniert, so erfolgreich ist, weil sein Rassismus/ sein Menschenhass eine sehr düstere, sehr effektive, sehr virale Sorte fun zu bieten hat: Ich greife dich, Mensch, bei deinen niedersten Instinkten — Migranten beißen unseren Hauskatzen bei lebendigem Leib den Kopf ab, haha — und drücke zu und spiele ein bisschen mit dir. Wird nicht all zu sehr weh tun, nur ein bisschen, schon eher wird es gut hässlich, gut widerlich. Macht die Hosen auf, Männer. Enjoy.

Es ist weiter ziemlich offenkundig (oder bin ich jetzt selber zu Trump-mäßig masochistisch und dark unterwegs?), dass mit dem für Kamala Harris so hübsch erfolgreichen TV-Duell das Rennen längst noch nicht gelaufen ist, schon eher steht es anders herum. Trumps Basis will ihn:

böse
hässlich
asozial
sexistisch
sadistisch
verachtungsvoll.

And he delivered one more time, ohne große Anstrengung. Sie wollen ihn noch böser, noch ekliger, noch kaputter, er soll den Vogel abschießen, seine badness soll keine Grenze haben, sie wollen das gleichzeitig pöbelnde, scheißende und kotzende Superschwein, es geht immer noch ekliger, vor allem wollen sie, dass er ihnen FINSTERNISS bringt und vorhersagt, die Zukunft soll noch kaputter, düsterer, endzeitiger sein, als seine Failed States of America es schon heute sind: Sie wollen, dass ihre orangefarbene Pottsau den Abgrund, das DUNKLE SCHWARZE LOCH für sie beschwört. We are tired, man, wir sind müde, schwach, impotent, die blauen Pillen wirken nicht mehr, und wir müssen alle bald sterben, Amerika is a failed nation, und gemeinsam wollen wir alle im Loch des Zynismus und des Selbstmitleids verschwinden.

Kamala Harris? Sieht das. Und natürlich ist es richtig und auch taktisch klug (wenn auch vielleicht nicht erfolgreich, andere Sache), dass sie Trump nicht auf den Sockel des modernen Super-Faschisten stellt, sondern über ihn lacht. Am 25. November wird auch darüber abgestimmt, wie impotent, wie zeugungsunfähig Amerika tatsächlich schon ist.

Der Rollsplitt hat einen Platten in meinen Forester gefahren: Hier im Wald kennen sie das Problem, das Land zeigt sich von seiner besten Seite (#professionalism), der Abschleppwagen aus Rehau war sofort da (Danke, Harald Pfüller vom Autohaus Pfüller).

#weißerHimmel
#Autobahnrauschen
#leichtePanik

Am Abend bei den Grünhaider Schützen: #Schäuferla

Mit Herrn Randolph, der den Rest der Woche oben am Rabenberg noch die Schafswolle verteilt, muss das Deutschland-Holland-Spiel jetzt nachbesprochen werden, bin gespannt.

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