moritz von uslar
meldungen aus dem wald

10. Oktober 2025, Freitag

Der Vollidiot Trump kriegt keinen Friedensnobelpreis (Stand Freitag, 12 Uhr). Das heißt, er wird jetzt Norwegen mit Zöllen überziehen, weil er nicht versteht, dass nicht Jens Stoltenberg den Preis vergibt, sondern ein Komitee.

Der ungarische Literarurnobelpreisträger sieht interessant verlottert aus und nach einem von den Menschen abgewandtem Leben: so, als esse er seine eigenen Schuhsohlen zum Frühstück. „Düsterer Stil und komplexe Sprache“ klingt erst mal nicht einladend. Muss jemanden finden, der schon mal ein Buch von diesem Sprach-Ungeheuer in den Händen hielt, das wird nicht einfach.

Telefonat mit Charles Schumann zur klassischen Charles-Schumann-Zeit, also gegen fünf Uhr nachmittags.

Er sagt: „Du hattest viel Glück im Leben, Moritz“ (er meint sicher meine tolle Freundin Anna, stimmt!).
Dann, unvermittelt, Charles-Schumann-Style: „Das Leben ist schon sehr abenteuerlich, geh‘.“
Und weiter: „Kriegt ihr da etwas Anständiges zu essen in Sizilien? Italienisches Essen ist ja meistens eine absolute Frechheit — ich habe neulich schon wieder einen Wutanfall kriegen müssen, in Kalabrien.“

Dann, ich hatte mich nach seinen Fortschritten in Japanisch erkundigt — seit fünf Jahren lernt er heldenhaft diese für Europäer eigentlich nicht lernbare Sprache: „Es ist verdammt schwer, manchmal bin ich nur noch verzweifelt.“ Seine Methode sei eine Sprachschule in München. „In Japan habe ich erst eine Stunde Unterricht bekommen, das war bei einem alten Japaner, der war aber vollkommen betrunken.“

Klassische Abbindung eines Charles-Schumann-Telefonats: „Also gut … Wir sind da. Du meldest dich.“

Hier oben am Berg in Sizilien verplempern wir den Vormittag mit interessanten Handwerkern: Jetzt ist der Spezialist für Elektrogeräte eingetroffen, natürlich kein normaler Spezialist, sondern uno specialista straordinario (im Kühlschrank brennt nur noch Licht, aber das ganze schöne Zeug aus den Feinkostläden in Cefalù bleibt warm). GROSSES Mitteilungsbedürfnis des Elektrikers, herrliches Pizza-Englisch.

Lektüre: Florian Illies‘ neues Buch über das Exil der Familie Mann in Sanary-sur-Mer.

„Das ist nicht die richtige Zeit, um Deutschland zu verlassen.“

Man liest — dann lässt man den Tag sausen, weil man weiter lesen möchte, normal, it is a Florian Illies, Baby (erscheint am 22. Oktober).

8. Oktober 2025, Mittwoch

The Glitzy.
Lufty.
Meery.
The unfassbar Angenehmy.
The Korkeicheyy. Am Stamm ist der weiße Plastikschirm (Empfang Internet) angeklemmt.
The Liparischen Inseleyyy (Isula di Filicudi, Salina, Lipari, Vulcanello und Vulcano, Panarea, Stromboli).

Tyrrhenisches Meer.

Bananen, Kekse, Espresso.

Sorry.
Sorry.

Braucht man noch Sonnencreme? Oh doch. Besser ist DAS.

Johanna mit ihrer sehr schönen, großen Hornbrille und im sehr schönen Trenchcoat im Regen auf der Linienstraße über WhatsApp-Video.

Alexander Gorkow schreibt. Ich bin total einverstanden, Danke, Don Gorkow.

Lektüre: Spaziergänge mit Prominenten, Ben Witter, Hoffmann & Campe, erschienen irgendwann in den Achtzigern wohl.

Walter Scheel?
Golo Mann?
Hä?
Wer sind diese Leute?

Das Strickkrawattige, Whisky-Rauchige, noch vom Zweiten Weltkrieg Traumatisierte des Ben Witter. Es wirkt, so etwa: 250 Jahre alt (dachte eben, eigentlich möchte man keine Journalisten mehr lesen, in denen das Männliche noch vollkommen ungebrochen, also ohne den Schreck und die Korrektur von #MeToo so vor sich hinnpalavert). Die Frage ist auch, ob das alles — sein Stil — schon wieder so lange her ist, dass es heute wieder funktioniert.

Frage auch, ob Journalismus so gefertigt sein kann/ sein sollte, dass man ihn dreißig, vierzig Jahre später noch lesen möchte (es geht eher nicht, Tucholsky möchte man noch lesen, schon Kracauer fällt heute unter irgendwie originelles, nicht mehr echt interessantes Beiwerk).

Vorsicht, Wohlsein kann starke Schmerzen verursachen! 💋😎😎 

Und gegen 13 Uhr beginnen wir hier am Pool über Cefalù die zweite Hälfte des Vormittags.

7. Oktober 2025

Gestern Abend fand ab 19 Uhr im Literaturhaus Hamburg eine Ehrung der Journalistin und Schriftstellerin Johanna Adorjàn statt. Es war ein rundum schöner und gelungener Abend — Johannas Tante aus Kopenhagen war angereist, unter den Gästen auch ein paar echte Honchos und Honchas des deutschen Feuilletons (Modernes-Leben-Erfinder Haug von Kuenheim, Ulrich Greiner, Willi Winkler, Julia Encke) und des deutschen Nachrichtenmagazin- und Magazin-Journalismus (Cordt Schnibben, Lucas Koch, Bettin Stiekel). Später noch Drinks und Club Sandwich im Hotel Atlantic.

Ich war als Laudatur bestellt, MadW dokumentiert hier den Wortlaut der Rede.

 

WORDS DON‘T COME EASY

Laudatio auf Johanna Adorjàn anlässlich der Verleihung des Ben-Witter-Preises 2025

Für mich war FRISCHE immer ein Kriterium für die Qualität/ die Durchschlagskraft feuilletonistischer Texte.

Im Sommer 2010, also auch schon vor 15 Jahren, saß ich mit Frank Schirrmacher in seinem schönen Garten in Sacrow an der Havel, und er fragte — in seiner komisch forcierten und provokanten Art:

„Es wird Zeit, einen neuen Journalisten-Preis auszugeben. Was meinen Sie?“

Und ich sagte:

„Ich bin absolut dafür. Und ich weiß auch schon, wie dieser Preis heißen wird: Es ist der Frische-Preis, mit einem einzigen Juror, nämlich mir. Prämiert wird genau das: Frische. Die Nicht-Ranzigkeit des Denkens. Als erste Preisträgerin schlage ich Ihre überragende Feuilleton-Redakteurin Johanna Adorjàn vor.“

Herr Schirrmacher nickte heftig mit dem Kopf. Und schnitt dann schnell ein neues, für ihn produktiveres Thema an.

Nicht-Ranzigkeit, also.
Drive.
Splendour.
Fierceness.
Das Crispe, Noch-Nicht-Abgelaufene.
Die Lust an der neuen Formulierung.
Das Unerhörte, Sich-Selbst-Überraschende.

Temperament!
Theatralik!

Ein nicht druckreif klarer Gedanke, ein noch nicht ausgegorenes GEFÜHL! Und das dann genau so stehenlassen.

Let‘s talk about feelings!

Natürlich auch: Das ein wenig Windschiefe.
Gekonnt Danebene.
Gut Hingehauene.
Dann — Bämm, Bämm, Bämm — drei sehr kurzen Sätze, je vier Wörter lang.

Ich könnte hier ewig weitermachen mit Begrifflichkeiten für eine TEMPERATUR, die es zu selten gibt im deutschen Feuilleton. Sie liegt bei angenehmen 6 bis 8 Grad, also auf Kühlschrank-Temperatur.

Es ist ganz einfach, gut und lebendig zu schreiben — so KÖNNTE man denken, liest man Johanna Adorjàn

Und natürlich verwechselt man so das Vergnügen, das Leserinnen und Leser beim Johanna-Adorjàn-Lesen haben, mit der Arbeit, die das Leicht- und Frisch-Sein ganz zweifelsfrei bedeuten. Geschenkt.

Ein typischer Johanna-Satz:
„Irgendwann kommt man da aus dem Staunen auch wieder heraus.“ (über dramaturgische Schwächen der Disney+-Serie The Bear).
Neulich sagte sie über eine Journalisten-Kollegin, wir saßen bei einem Abendessen in einer B-Brasserie in Paris: „Sie ist nett, aber ich mag sie nicht.“
Denken Sie mal eine Minute über den Bumms dieses Satzes nach!

Was sind die typische Johanna-Adorjan-Themen?

Diese Autorin positioniert sich irgendwo zwischen einer klassischen Bildung und Netflix-Klugheit, covered up vom grenzenlosen Schatz des Pops der Achtziger und Neunziger.

Konkret: So eine Autorin kann genau erklären, was sie an der kühlen und präzise Sprache der Yasmina Reza bewundert. Und genau so natürlich stösst es ihr zu, dass sie nachts die neue Single von Cardi B. herunterlädt — und sich die vier verschiedenen Perücken genauer ansieht, mit denen die Rapperin im Gerichtssaal zur ihrer Anklageverlesung erschien.

In den letzten Wochen und Monaten sind mir die folgenden Johanna-Adorjàn-Themen begegnet:

Ein saulustiger Bericht über die „Aktionswoche“ des Bundesministeriums für Familie gegen Einsamkeit („Wir müssen wirklich mal reden“)
Eine Kritik der gesammelten Psychotherapie-Sitzungen von Joan Didion
Ein Nachruf auf Margot Friedländer
Großer Abschied vom Balenciaga-Designer Demna in Paris
Die Memoiren des New Yorker Balthazar-Gastronomen Keith McNally.
Kritik des Auschwitz-Bandes des Mode-Fotografen Jürgen Teller.
Ein Geburtstagsglückwünsche zum Hundertsten des New Yorker
Die Verarbeitung des schockierend frühen Tods des René Polleschs auf 100 Zeilen
Ein Treffen mit Frédéric Beigbeder im Café Flore
Die Inszenierung des demenzkranken Bruce Willis auf Instagram
Und natürlich berichtete sie vom Tag des Urteils im Prozess gegen die Vergewaltiger der Gisèle Pelicot.

Das also ist das Adorjàn-Themenspektrum: Kultur, Gesellschaft, Jahrhundertprozesse, aber auch der Trash, also die etwas unfeinen Seitenthemen, die eine Zeitung wie die FAZ oder SZ immer noch herausfordern.

Das Adorjàn-Themenspektrum: la Comédie Humaine, the big screen und die aus ihrem Blick absolut beschreibenswerte Dummheit des Mannes, der zuguckt, wenn eine Frau rückwärts einparkt — everybody’s everyday real life.

Es sind die Dinge, die einen unruhigen, nicht bescheuerten Menschen im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts beschäftigen müssen, also:
Pop, Pop, Pop, deutsches Kino, Hollywood, Literatur, Klassik, Psychologie, Hipness, Fashion, Faschismus, Feminismus, Holocaust-Gedenken, die neuesten Food-Trends, Berlin, New York, Paris.

Es ist, natürlich, ein Missverständnis zu glauben, dass man sich mit DER KULTUR, Literatur, Kino, Musik besonders gut ausgehen können muss, um fesselnd und dringlich von ihr zu erzählen:
Spezialistentum steht dem Feuilleton eher im Weg — man muss es ja dann doch alles wieder einkassieren, damit ein lesbarer Text dabei rauskommt.

Immer wieder fragen mich Leute — Nachwuchsjournalistinnen — ob man das Lernen kann, das frische Schreiben. Und welche Journalistenschule in Deutschland ich empfehlen kann.

Und ich verstehe die Frage ja.
Und ich sage den jungen Leuten dann immer:
Du kannst ein Talent/ dein Nervensystem trainieren.
Du kannst eine gewisse Professionalität ausbilden, damit du beim Einhalten der Deadline nicht die Nerven verlierst.
Aber: Lernen kann man Schreiben nicht.

Das gute Feuilleton braucht etwas faszinierend Einfaches, das sich eben nicht erlernen lässt — es braucht CHARAKTER.
Es braucht das TEMPERAMENT, die KUNST, bei der entsprechend Stimulanz eine schöne Wut/ ein Entsetzen/ eine Verzweiflung/ Liebe oder Schockliebe/ sonst irgend einen Alarm- oder Erregungszustand zu produzieren.
Eben weil Temperament nicht erlernbar, sondern ein Geschenk der Götter ist, deshalb geht es vollkommen klar, das Schreiberinnen wie Johanna so bewundert und gefeiert und hier ausgezeichnet werden.

Der glänzende Text braucht das naive, das nicht abgeklärte Ich seiner Autorin:

Ich möchte hier gerne von einem KOORDINATENSYSTEM DER GEGENWART reden, gefüttert aus Abertausenden von Daten aus anderen Zeitungen, aus dem guten, alten Fernsehen, natürlich aus dem Internet, dem Klatsch, dem Bla, das man in der Paris Bar, im Schumanns, vorne an den Bartischen im Grill Royal und an den vielen Bla-Runden an der Hamburger Schanze hören kann.

Echt wahr?
Sagt wer?
Spinnst du?
Kannst du mir den Link noch mal rüberschicken?
Im Koordinatensystem der Gegenwart up to date zu bleiben — das geht nicht mit der viel zitierten Neugier/ das geht nicht mit Strebertum.
Das geht nur mit mit einem PROBING INTEREST für alle Niedrigkeiten und Schönheiten de la condition humaine.

Als Blattmacher-Perspektive betrachtet sind Adorjan-Themen also die, mit denen man eine Zeitung aufmachen und verkaufen kann.
Ich höre die Chefredakteure der SZ um 16 Uhr mit Blick auf die so hochbrisanten Texte der Ausgabe vom morgigen Tag gucken und sagen:

„Haben wir denn nicht noch etwas von der Adorjan da?“

Für mich — und sehr viele Leserinnen und Leser — ist diese Johanna Adorjàn auf die schönste Art eine Autorin, nach der man in der Zeitung sucht.
Ganz früher mal bei jetzt, im Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung.
Von 2001 bis 2016 beim Feuilleton der FAS.
Seit bald zehn Jahren wieder bei der Süddeutschen Zeitung.
Adorjàn hat außerdem Bücher geschrieben — Bestseller wie den Roman Eine exklusive Liebe.

Was ist besser/ oft noch poetischer/ vor allem intelligenter als eine kluge und erfolgreiche Schriftstellerin? Genau, eine kluge Feuilletonistin.

Das ist kein Zufall, dass Johanna Adorjàn trotz ihrer erfolgreichen Prosa nie aufgehört, bei der Zeitung zu arbeiten — und es ist kein Zufall, dass Johanna Adorjàn neben ihren Zeitungstexten auch Romane schreibt.

Sie gehört ins Genre der Gertrude Stein und Dorothy Parker — das ist alles nicht zu hoch gegriffen, sie gehört zu Iris Radisch, Elke Heidenreich und Rachel Salamander.

Im Journalisten-Alltag — auch hier weiß ich sehr gut, von was ich rede — gibt es einige Tausend Möglichkeiten, sich mehr oder weniger oder gleich bestialisch zu langweilen.
Und: Tausend Möglichkeiten, oberflächlich, asozial, grob, zynisch und eben unfair zu sein gegenüber den Menschen.

Von Johanna Adorjàn weiß ich, dass sie sich selbst ziemlich schnell langweilt. Langweilig heißt in ihren Texten „ultralangweilig“.
Da schwingt dann genau schon jene NOTWEHR mit, die bei Langweile adäquat ist — die rechte Empörung darüber, dass ein Kunstwerk/ eine Künstler es wagt, ihr die Zeit zu stehlen und sie mit seiner Schlechtheit zu quälen.

Fünf hervorstechende Eigenschaften fallen mir zum Stil der Johanna Adorjàn ein — Moment, es sind doch sieben:

Ihr Skeptizismus.
Ihre Renitenz.
Die leichte Verzweiflung, die in jedem ihrer Text mitschwingt. Ihre Badness.
Die typischen Adorjàn’schen Geschwindigkeitswechsel.
Das ICH des Pop.
Ihre wirklich guten Gags, der sehr spezielle, immer gut grimmige und angriffslustige Johanna-Adorjàn-Humor.

WAS soll ich sagen: Sie weiß es so genau.
Sie checkt: so viel.
Sie sieht halt genau ein bissl mehr als die anderen.
Sie hört: the lies, den Schwachsinn, die Bequemlichkeiten, das schreckliche taktische Lob unter Freunden.
Sie hört: Wenn einem etwas herausrutscht.
Sie hört: wenn einer — im Erfolgsrausch — seinen Verstand verliert.

Sie ist nie klüger in ihren Texten, als sie in Wirklichkeit ist, eher ein kleines bisschen weniger klug (sehr reizvolle Strategie!).
Sie ist oft wütend, oft ein wenig kindisch wütend, und man versteht es!
Sie findet einen Sinn, dort, wo viele keinen vermuten.
Und da, wo viele Bedeutung/ Tiefsinn/ Weltbewegendes sehen, hält sie sich zurück.

Und noch mal: UNTERHALTSAMKEIT, das verbotene Wort.

Der unterhaltsame Journalismus hatte hierzulande immer — anders als in der englischsprachigen Tradition — einen schlechten Ruf.
Der Vorwurf, der generelle Verdacht lautet:
Was Spaß macht, kann so klug nicht sein.
Wer unterhaltsam ist, nimmt es mit der Wahrheit nicht genau.
Eine Pointe: Sie zeugt eigentlich schon von einem halbseidenen Verhältnis zur Wirklichkeit.

Wer Johannas Texte liest, lernt etwas anderes:
This lady always comes with a big smile on her face.
Den Geist an sich, den gibt es offenbar nicht ohne Humor.
Es ist dieser Autorin nicht möglich, etwas genau Beobachtetes und präzise Gedachtes zu äußern, OHNE dabei auch sehr, sehr lustig zu sein.

Und hier kommt eine neue Begrifflichkeit ins Spiel, die mir zu Johanna Adorjàn unbedingt einfällt:

PROFESSIONALISM (ulkig, hier ist das englische Wort auch schon wieder schöner und stärker als das deutsche).
Profitum, das ist:
Fighting Langeweile mit der Genauigkeit der Beobachtung und mit den Mitteln des Humors.

Was man in Adorjan-Texten liest:
Zum Unterhaltsam-Sein gehören ganz notwendigerweise Härte, Schärfe, Unerbittlichkeit im Urteil.

Sie kann das auch: ätzend, verletzend, vernichtend sein.
Und natürlich ist sie nicht mehr so brutal/ so gemein, wie sie als Jungstar, als Anfängerin einmal war.

Die Könnerin, sie zielt ja nicht aufs Herz — meistens ist das zu viel der Ehre. Diese Könnerin zielt auf Gürtelschnalle UND Hosenträger.

Das sind deshalb auch immer besonders schöne Momente in Adorjan-Texten:
Wenn sie nicht vornehm/ nicht scheinbar objektiv und subtil argumentiert, sondern raushaut — also die Trottel und eiteln Blender wahrheitsgemäß Trottel nennt und der Dummheit die Hosenträger wegschießt.

Den meisten Kolleginnen von Johanna würde ich raten:
Zeig doch mal etwas von dir!
Mach auf!
Zeig dein Gesicht, schreib mit offenem Visier!
Soul, Liebe, Mitgefühl — sie kann nur diejenige zeigen, die auch mit den den weniger schönen Gefühle vertraut ist und eine Sprache hat, sie beim Namen zu nennen:
Neid, Missgunst, Schadenfreude, Egozentrik, taktisches Verhalten, Eitelkeit.

Die Tendenz, sich nicht zu zeigen und hinter Emojis, Netflix-Deutsch und Sprachbildern aus der Psychologie zu verbergen, sie ist im Zeitalter von Social Media zu einer Volkskrankheit geworden:

Ich bin ironisch.
Ich lege einen Filter der Uneigentlichkeit drüber.
Ich mach mich schöner, als ich bin.

Schreiben, das ist auch Posing, ganz klar.

RICHTIG INTERESSANT wird es mit Texten im Feuilleton aber erst, wenn sie ohne Filter/ ohne Beschönigung arbeiten — und hier ist Johanna Adorjàn sehr weit vorne:

Auf eine paradoxe und sehr schöne Art ist diese Feuilletonisten-Königin die uncoolste Schreiberin von allen — eben, weil sie sich so offen verzweifelt, empört, angekotzt und begeistert zeigt.

WORDS DON‘T COME EASY.

Wir reden hier von einer Königsdisziplin — und jetzt klinge ich ungerecht und leider auch etwas elitär, wenn ich sage:
Es gibt sehr viel uninteressante Gefühle, die meisten von ihnen sind absolut banal.

Dass uns das Temperament dieser Autorin so überzeugt, dass wir immer mehr haben wollen von ihrem Witz, ihrem Soul, ihrem Sound —, das zeugt von ihrer Klasse. Ihrem unbedingten Stil. Ihrem Swing. Ihrer Musikalität.

Nur wenige: dürfen mehr von sich zeigen.

Die anderen müssen leider Podcasts aufnehmen (sorry, sorry).

WORDS DON‘T COME EASY

Und gleichzeitig stimmt natürlich das glatte Gegenteil:
WORDS DO COME EASY.

Und ich muss diesen Gedanken hier gleich weiterspinnen ins leicht Predigende/ Sentimentale:

Damit ein wirklich schöner Text entsteht, müssen Schärfe und Bosheit aufgelöst und überwunden werden — in Richtung Güte, Freundlichkeit, Humor, Gnade und Vergebung.

Kaum eine Journalistin-Kollegin fällt mir ein, die über die Jahre so die MENSCHLICHKEIT gelernt hat wie Johanna Adorjàn. Und es war bei ihr — schreibend — wirklich ein Lernprozess, als ihr Leser war ich all die Jahre dabei.

Und hier möchte ich allen Ernstes von der VERANTWORTUNG reden, von der in Journalistenschulen so gerne die Rede ist:

Ich stelle mir vor, wie diese Journalistin Verantwortung übernimmt — sehr konkret im Arbeitsprozess, im Vorgang, in dem ihre Hände sich die Tastatur des Computers greifen und unter Zeitdruck der nächste Absatz entsteht:

Moment, was ist hier genau passiert?
Was hat sie genau gesagt?
Wie hat sich dieser Moment ganz genau für mich angefühlt?
War das eventuell doch ein wenig anders, als ich es mir zunächst vorgestellt habe oder selber gerne haben will?

Der Text — das unterschätzen viele Kolleginnen — lässt immer einen sehr genauen Rückschluss zu auf die und auf den, die da spricht.

Man bliebt nicht so lange eine so erfolgreiche Journalistin, nimmt man es mit der Wahrheit nicht sehr genau.

Und so zeichnen wir hier — Hilfe — nun auch schon wieder ein echtes Lebenswerk aus.

Aus jedem Text der hier Ausgezeichneten sprechen — entschuldige, Johanna — die Verteidigung von Würde, Menschlichkeit, Vernunft. Das ist der klassische, in jeder Gegenwart absolut notwendige Humanismus.

Ach ja, eine Laudatio auf Johanna Adorjàn kann natürlich nicht auskommen ohne das Feiern dieses Instragram-Accounts:

„Hunde und Katzen tun komische Dinge“-Videos.
Die Serie In manche Fotos dichtet die heutige Sehgewohnheit ein Handy hinein.
Ihre Kurz-Literaturkritiken, die oft gar nicht sie kurz sind.

Johanna Adorjàn durfte offenbar auswählen, wer diese Laudatio zum Ben-Witter-Preis 2025 auf sie hält, und sie sich für mich entschieden:

Liebe Johanna, da hast Du natürlich eine sehr gute Wahl getroffen. Einfach — weil ich so eine Freude an Dir habe. Auch einfach: Weil ich so genau zu wissen glaube, wer Du bist.

Es war 1994 —  Johanna hatte gerade ein Studium der Theater- und Opernregie bei August Everding abgeschlossen und verkaufte im Nebenjob an der Süßigkeiten-Bar im damals nicht unwichtigen Ksar im Münchner-Gärtnerplatz-Viertel eben das, Süßigkeiten. Wir standen rauchend vor der Ksar-Bar herum, und Johanna sprach:

„Der Opern-Kram ist nichts für mich. Ich möchte dasselbe machen, was ihr macht, ich möchte Journalistin werden.“

Der junge Philosophie-Doktorrand und Condé-Nast-Redakteur, der damals mit rauchend an der Luft stand, er hieß Ulf Poschardt, und ich, wir wüssten sofort:
Sie ist schon Journalistin — in dem Moment, in dem sie den Wunsch ausspricht, gehört sie bereits dazu. Welcome.

Die vielen zitierte KRISENHAFTIGKEIT unserer Zeit!
Ach, ja.

Schon richtig, es sind diese Zeiten doch ganz andere als die von jetzt-Magazin und von Konzeptjournalismus.
Vor 30 Jahren, ich erinnere mich, schriebst Du im jetzt-Magazin ein Plädoyer dafür, das Mädchen mehr lächeln sollen.
Lange her.

Brauchen wir mehr Ernsthaftigkeit?
Mehr Georg Restle?
Mehr 3sat-Kulturzeit?
Mehr moralische Unfehlbarkeit und Selbstgerechtigkeit à la Anja Reschke?

Der Ben-Witter-Preis im Jahr 2025 mit seiner Preisträgerin Johanna Adorjàn setzt AUCH ein Zeichen
gegen Dummheit
gegen Mutlosigkeit
für Flamboyance
für Fun
für die Schönheit der Oberflächen
für die Schönheit des radikalen Subjetivismus
für die objektive Schönheit der Wissenschaft und der Demokratie
gegen die Dummheit und Stumpfsinnigkeit der neuen Rechten.
Fuck AfD.

Ach so, und weil’s gerade Spaß macht:
Hier ein paar Tipps für all die Journalistinnen, die sich Johanna Adorjàn zum Vorbild genommen haben, aber noch nicht so ganz genau wissen, wie es geht.

Seid halt nicht so brav.
Habt den Mut, mal fünf Minuten lang nicht populär zu sein.
Be funny.
Erzählt halt mal einen gescheiten Quatsch!

Ein paar Fragen an Dich, liebe Johanna, die Preisträgerin des Abends:
Kennst du eine gute Interviewfrage?
Wie benutzt du ChatGPT?
Wie steht‘s um die Angst um den doofen ersten Absatz?
Wie lange wollen wir uns diesen Job noch antun? Noch mal 30 Jahre?

Wir beide, liebe Johanna, fingen damals gerade an, uns eine Öffentlichkeit zu erschreiben, da schrieb Rainald Goetz:
„Ich bin so froh, dass es Madonna gibt — ich bin so froh, dass der größte Star auf Erden eine Frau ist.“

Ich bin so froh, dass wir diese Johanna Adorjàn haben.
Mach‘s gut, fresh girl!

Herzlichen Glückwunsch.

1. Oktober 2025, Mittwoch

„Es ist meine feste Überzeugung, du musst kein Arschloch sein, um politisch erfolgreich zu sein“ (Lars Klingbeil). Ja, gut. Vielleicht doch ein bissl. Bissl mehr als ganz doll fleißig und sympathisch sein wäre auf alle Fälle gut.

Und: vollkommen überrascht von Leo DiCaprios Performance in One Battle After Another. Er macht einmal nicht auf Jack Gesichtsverzieher Nicholson. Er lässt sich nicht gehen. Im Gegenteil: Das ist eine disziplinierte, gleichzeitig sehr selbstironische und sehr, sehr lustige Performance, er wird den blöden Oscar dafür kriegen. Glückwunsch! #korrekt

Sean Penn dagegen: I just love ihm so much, forever (weil er genau im richtigen Jahr, 1985, mit Madonna verheiratet war). Aber ist längst sein eigener Witz, Platz eins unter allen Sean-Penn-Karikaturen.

Frage an alle Über-Fünfzig-Jährigen, männlich, mittelfett:
Levis 578TM, „Baggy“. Finden das eigentlich auch alle derzeit die beste Jeans?

Ich will nicht reisen.
Ich will nicht reisen.
Ich will zu Hause bleiben.
#normal

Freitag, 10. Oktober, 19.30 Uhr:
Premiere und Uraufführung von Rainald Goetzs neuem Stück Lapidarium im Münchner Residenztheater. Regie: Elsa-Sophie-Jach.

KARTEN.

Elsa-Sophie Jach, geboren 1991 in Vorwerk bei Bremen, studierte Regie an der Hamburger Theaterakademie und Szenisches Schreiben an der UdK Berlin (…). Sie ist Hausregisseurin am Residenztheater München.

Seit drei Tagen keinen Alkohol getrunken. Und es ist leider: sehr gut. Es ballert. 💪💪

29. September 2025, Montag

Heute dem haushohen, orangefarbenen Kran mit der Aufschrift HERMANN & WITTROCK — einem Spielzeug-Kran, bloß eben ganz in Echt und in Riesengroß — beim Reinigen der Regenrinnen zugesehen: auf dem Hof stehend, am Gartenzaun, mit tief in die Jackentaschen geschobenen Händen, zehn, zwanzig Minuten lang, bald über eine halbe Stunde, in größter Ruhe, in größter Zufriedenheit auch, wie so ein Eckensteher in der Kleinstadt, wie ein Langzeitarbeitsloser, wie ein Rentner.

So habe ich mir das Glück immer vorgestellt: komplette Runterdimmung des Hirns. Null Stress. Man kommt aus dem Wenig-Tun, geht ins Wenig-Tun hinein. Im Hirn dann wirklich nur noch: „Angenehmes Wetter heute, ja.“ Und: „Guck mal, der Kran.“ Und es ist wirklich: genau so gut, wie ich mir das immer, immer — vor allem in den Jahren des größten Stresses, als Journalist — gedacht habe.

Dann einen ganzen Tag lang — das Herbstlicht im Park im Augenwinkel — IN BÜCHERN gelesen.

Bücher: ja echt nicht so schlecht. Da muss auch noch mal in großer Ruhe drüber nachgedacht werden.

Und an Anne Will gedacht — die in der Gesprächsreihe Missverstehen Sie mich richtig, neuerdings moderiert von der Hipster-Transformationsforscherin Maja Göpel, gesagt hat, Instagram sei ihr echt zu doof, da erwische sie sich dabei, wie sie sich eine halbe Stunde lang nur Kopfbälle von Cristian Ronaldo angucke: „Sorry, aber ich lerne da einfach zu wenig.“

Jetzt in der ARD, seit 20.15 Uhr: den herrlichen Naturfilm Faszination Europa/ Wildnis Natur über die vom Menschen oft unbemerkte Nachbarschaft von Tieren und Menschen. Thema unter anderem: wie sechs Millionen Ratten in der schönsten Stadt Europas, Paris, ein gutes Leben führen. Dann ein Kapitel über den Draufgänger der Greifvögel, den Sperber. Dann, ultrafaszinierend, fast zu gut, um wahr zu sein: der Sex der Gottesanbeter (gleichzeitig ficken und sich gegenseitig auffressen).

Vorfreude jetzt schon auf One Battle After Another, den neuen Film von Paul Thomas Anderson mit Sean Penn und der Method-Acting-Nervensäge Leonardo DiCaprio (Paul Seehausen aus 16792 Zehdenick schrieb per WhatsApp, den solle ich mir bitte sofort angucken, er halte das für die Zukunft des Actionkinos, nächstes Kapitel, er wolle mit mir darüber reden — wie schön). Sich um 16 Uhr nachmittags in einem Cineplex-Kino in Rabertz (Markredwitz) 170 Millionen Dollar spent in Hollywood durch den Kopf rauschen zu lassen: kann nicht schief gehen, das wird auf alle Fälle gut.

24. September 2025

Adam per SMS, er hat mein Leif-Randt-Getobe vor ein paar Tagen auch gelesen: „Fiese Möpp bist du.“

Möpp, sehr lustig. Er, Adam, hat seine Schulzeit, wie ja allgemein bekannt ist, in Koblenz vebracht, dann, soweit ich weiß, in Bonn studiert, altes Westdeutschland, NRW. Da redet man so: Möpp. Wirklich lustig.

„Du hast natürlich nicht geschrieben“, so Adam weiter, „dass Du das Buch in Wahrheit ganz toll findest.“ Stimmt, das hatte ich nicht extra geschrieben, ich dachte, das teilt sich ganz automatisch mit, ist nicht so?

Leif Randt selbst jedenfalls hatte es intuitiv richtig verstanden. Er ließ mir, in wirklich ziemlich guter, genau genommen sogar richtig toller Großzügigkeit, über Insta ausrichten: „Viel Spaß auf der Wiesn, Honey.“ Schön!

So muss sich Maxim Biller das doch immer gewünscht haben: dass man sich in der Öffentlichkeit komisch kabbelt und gegenseitig vorführt, sich in Wahrheit aber fundamental respektiert. Besser als andersrum — ich meine, besser als sich in der Öffentlichkeit mit anödenden, verlogenen Komplimente zuzuseiern, sich aber hinterrücks nur Scheiße an den Hals zu wünschen. Das, liebe Leserinnen von MadW, ist not one of the problems of Leif Randt und Moritz von Uslar.

Tag sonst heute:
Gut zwei Stunden mit dem Herrn Förster im Wald.
Der Biber.
Der Einschlag.
Die Niederschläge.
The Fischotter-Abwehrzaun.
Vorbesichtigung Weißtanne als potenzieller Weihnachtsbaum für die Stadtmitte Schönwald.

Manchmal stimmt: einfach alles.

Jetzt: mit Riesenfreude, auf dem großen blauen Sessel mit der LIEGENEIGUNG liegend, Lektüre der Johanna-Adorjan-Rezension von Woody Allens Roman What‘s With Baum? in der SZ. Man denkt, das kann nicht gut sein, das Buch, woher auch. Und so ist es dann auch: „eher ganz nett als lustig (…) wie einer der müderen Woddy-Allen Filme“. Die Leistung von Johannas Rezension besteht darin, dass sie zeigt, dass es möglich ist, eine halblange, angemessen halbinteressierte Rezension von Woody Allens erstem Romans zu schreiben, ohne die ganze „Darf man mit der adoptierten Tochter von Mia Farrow ein Verhältnis haben und mit derselben Tochter später eine Familie gründen?“-Geschichte noch mal zu erzählen und zu bewerten. 

Das noch.
Ach, und dieses und jenes noch.

Und die Zeit zwischen zwei und fünf Uhr nachmittags dehnte sich auf gefühlt acht Stunden (das gibt es nur hier im Wald).

Oida, das Rindsgulasch, das es heute Abend gegen halbacht geben soll, ist jetzt schon so gut.

21. September 2025

ÄSTHETISCHE DISZIPLIN.

Und ich blies, drei Stunden lang, über die glitzernde A93 und A9 in die Stadt München.

Und noch mal alles anders. Ich mag den neuen Leif Randt — so wie alle Leif Randts zuvor — nun doch überhaupt nicht. Alles an dieser Literatur ist engherzig, brav, ängstlich, ehrgeizig, verschraubt, wie mit zu wenig Spucke im Mund geschrieben. Es ist, das auch — das ist seine Kunst, da ist er stolz drauf, schon klar, schon klar — sehr unsexy.

HAHAHA.

Unisex-Literatur.
Topfpflanzen-Literatur.
Grüntee-Literatur.
„Die Tortilla ist geisteskrank lecker“-Literatur.
Face-Yoga-Literatur.
Literatur für Ijoma Mangold und Lars Weißbrodt und die Hörerschaft der Sogenannten Gegenwart.

Und zwischendrin gibt es immer noch etwas lauwarmen Sake.

Die Rolle, die das Wort Mode in diesem Buch einnimmt — was soll das überhaupt, „Mode“? Das Wort benutzen Boutiquenbesitzer, Style-Spießer aus dem Berlin der 2020er. Und eben dieser Autor.

Ich weiß, das Buch handelt ja genau von ihm: einem Boutiquenbesitzer. Ich weiß auch: Das ist ein klassischer Generationen-Konflikt — wie ich hier den armen, braven Leid Randt ganz unzeitgemäß viel zu aufgeregt und aggressiv nicht gut finde. I may sound wie der Rock-Kritiker von 1976, der mehr Gitarren fordert und dem jungen, kühlen und eleganten Elektro-Pionier aus der Zukunft (ab 1978) vorwirft, nicht genug SOUL zu haben. Haha. Möglich.

Wer dieses Buch doch gut finden möchte, der braucht übrigens nur die sehr angenehme — angenehm tiefe, sich natürlich gar nichts scheißende, gut vor sich hindödelnde — Lesestimme des Hörbuchs im Aargon-Verlag zu hören (der Autor liest selbst).

Und er ist immer: lieb. Soft. Fully unaggressiv. Well balanced. Weich massiert. Face Yoga. Klar. Klar.

Ich will einfach nicht in dieser engen, durchgeharkten, nach Spießer-Kriterien vorsortierten Radler-Kappen-Ironie-Welt gefangen sein — es scheißt mich an, es ist wie Kapsel-Kaffee von Nespresso trinken oder diese ultra-sozialdemokratischen, extraweiten japanischen Regencapes und Fleecejacken tragen, die dieser Autor so liebt, es ist wie der Alptraum von Pop (alles missverstanden, sorry, sorry). Der Boutiquenbesitzer Merian Flanders in Let‘s Talk About Feelings würde sagen: „Es ist Knast.“ Fuck off, Berlin-Schöneberg-Spießer. Fuck off, Unisex-Literatur.

Kaiserwetter.

Wiesn oder doch keine Wiesn?
Natürlich Wiesn.

Die Laune ist zum Platzen gut.

20. September 2025, Samstag

Sonne! Uff, schon wieder.

Beim Frühstück spielt mein Handy das Treffen der Power-Brains und Extremunterhalter Micky Beisenherz und Philipp Oehmke ab: extrem unterhaltsam, natürlich. Bei Apokalypse und Filterkaffee reden die beiden auch über ihre Traum-Bodys und wie man im Alltag wegsteckt, so gut auszusehen — da geht natürlich Einiges! Micky trainiert, seitdem er 15 ist, Oehmke bringt den für Steroide zuständigen Minister Robert F. Kennedy Jr. als Fitness-Vorbild ins Spiel (Beisenherz: „Wenn man es zu sehr will, ist es nicht gut“).

Es geht nun AUCH um die literarische Qualität von Fitnesstraining und Gymbesuchen, im Gegensatz zur Roman-Tauglichkeit von Baseball, Tennis, Fußball etc. (Einigkeit bei beiden: Das ist kein literarischer Stoff, wenn erwachsene Männer, vor Spiegeln stehend, sich die Arme dick machen).

Philipp, der seit der Jahrtausendwende immer wieder in den USA gelebt hat und vom Land der merkwürdigen Amerikaner im sehr Kleinen und ganz Großen vielleicht mehr verstanden hat als alle ehemaligen USA-Korrespondenten zusammen, ist natürlich the man, wenn es heute noch mal um die Absetzung des Late-Night-Talkers Jimmy Kimmel geht: Ist das jetzt sehr schlimm oder doch gar nicht so schlimm?

Es ist natürlich ein echtes Ultra-Alarmsignal — und galt, auch im Lager der Trump-Apokalyptiker, bis vor kurzem noch als unvorstellbar: „Wenn eine der mächtigsten Entertainment-Figuren der letzten zwanzig Jahre so entsorgt werden kann, dann gibt es keine Grenzen mehr“ (Oehmke). Beisenherz fällt zur Faktizität des Schocks um den kaltgestellten Komiker kaum ein guter Gag ein — verständlich: Es ist eben gedanklich für uns arme Europäer eine große Herausforderung, wirklich klarzukriegen im Kopf, dass in den USA zur Jetztzeit — also in der ganz derzeitigen Gegenwart — gerade die Pressefreiheit unter Feuer steht.

Oehmke: „Dann kommt ein orwellscher Bürokrat wie dieser Brandan Carr, Chef der Überwachungsbehörde Federal Communications Commission, hinter dem Sofa hervorgekrochen und sagt: „We can either do it the hard or the easy way“ —  das ist schon alles sehr, sehr schwer zu ertragen.“

Zwischendrin, man mag so was sehr (und dafür hört man ja auch den Beisenherz-Podcast), geht es auch noch mal um die Frage, ob ein technical gadget wie die neue Apple-Brille nur noch nervt und Depressionen auslöst oder doch noch für irgend ein Excitement sorgen kann (da geht es, logisch, um nicht weniger als die Frage, ob das Leben an sich, zu dem wir alle verurteilt sind, irgendwie noch machbar ist): gemischte Gefühle. Philipp-Ich-habe-neulich-zufällig-beim-Mittagessen-Jeremy-Strong-von-Succession-getroffen-Oehmke: „Ich umarme so was schon.“

Ab 12 Uhr: Willkommen zum Bürgerdialog. SPD-Bürgermeisterkandidat Markus Korlek baut am Kreuzstein, Alte Rehauer Straße in 95173 Schönwald, seine rote Bank auf.

Heute Abend: fettes, dunkelrotes Kreuz im oberfränkischen Gesellschafts-und-Kultur-Kalender. Die Oper Hof eröffnet die Spielzeit mit Eugen Onegin.

19. September 2025, Freitag

Der Blick vom Forstbüro-Fenster, im Erdgeschoss gelegen: ins Grün hinein. Und auf eine schon etwas müde, schlaffe Rose.
Kühle, nasse, gleichzeitig warme Luft.
The Vöglein.
Das wird heute wieder warm.
Von oben, im dritten Stock: klassische Musik, was hört man da? SMS an den Onkel, gegen 8.50 Uhr: Was spielst du da für Musik?
Oh ja, das zweite Brahms-Klavierkonzert, erster Satz, Backhaus, Schuricht, sehr lebendig. Jetzt geht es in den 2. Satz: „Celloschnulze, aber schön.“

Ganz hinten, hinter den Parkbäumen, rauscht die Autobahn.
Der Förster darf heute Morgen ruhig später das Büro betreten, entschuldigt,  er war gestern, so wie an all diesen September-Abenden, kurz vor Haarwechsel, auf der Jagd.

Was ist das bitte für ein wundervolles Leben?

Bei Dunkelheit: Mit dem motherfucking E-Bike vom Pfarrhaus kommend, etwa fünf Kilometer lang, durch den stockdunklen Wald nach Hause. Totale Finsternis. Unsicher gefühlt.

Die Idee: Jetzt greift eine Bache gleich das E-Fahrrad an (totaler Quatsch, natürlich: Eine Wildsau attackiert ein E-Bike? Noch nie gehört. Das ändert ja nichts daran, dass die IDEE trotzdem gut ist).

#Normalität

18. September 2025, Donnerstag

Kompliziertes Schreiben wegen einer Forsteinrichtung. Was wollen wir jetzt — bei der Forstkarte — anders haben, wo ist die unausreichend, wo fehlerhaft?

Immer noch nicht ganz kapiert, nach nun 18 Monaten Kein-Berlin-mehr, dass ich hier jeden Morgen IM WALD aufwache (der Kopf hält das hier immer noch für Mehringdamm in Kreuzberg 61, ein fast schon tragischer Fehler). Morgens erst einmal die Allee rauf- und wieder runterlaufen, dabei in den Wald reingucken und reinhören, wie macht man das genau?

Ein warmer September-Donnerstag fährt hoch. Später bis zu 25 Grad.

Nachricht von (…) genau. Er schreibt gerade an seinem zweiten Roman.

Melle auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, er gilt als Favorit. Und schon geht einen dieser Buchpreis in diesem Jahr doch wieder etwas an.

Mist, die Rehauer Kulturtage (12. bis 14. September) habe ich auch in diesem Jahr vollständig verpasst.

Aus der Rehauer Geschäftswelt machten mit: Geyer Schuhhaus, Fellnasenfreunde Hochfranken, Buchhandlung seitenWeise, JeansOase, Rossmann, Schreibwaren Winterling, Leder-Gläßel.

Aus dem Programm:
Ausstellung Die Zeit am seidenen Faden mit Künstler Roland Lein
Konzert mit Evergreen Express
Vernissage Die Kraft der Elemente von Künstlerin Regina Saller und Colourful von Künstlerin Simone Weiland
Wirtshausnacht
Stuhlkonzert, The Fellow Rovers
Frühschoppen mit Hannes Wölfel im Fränkischen Hof

Woran einen die Rehauer Kulturtage erinnern: Kultur darf ruhig Spaß machen. Und: Künstler müsste man sein!

Wie schon öfter festgestellt: Man kann der Kultur in der Großstadt gut entkommen, in der Kleinstadt geht das kaum (nicht blöd gemeint, es ist ja wirklich sagenhaft, was die hier alles aufstellen, natürlich!).

Aus der Frankenpost: Peter Berek kandidiert erneut als Landrat für Bayerns finanzschwächsten Landkreis Wunsiedel. Oliver Weigel, Vorsitzender der CSU im Landkreis: „Wir wissen, was wir an unserem Peter Berek haben.“ Stimmt, das ist auch schon bis zur mir durchgedrungen, dass es an dem wirklich nicht liegt.

17. September 2025, Mittwoch

Das ganze Prinzip, dass Hollywood-Stars (Leo DiCaprio und der andere hier, wie heißt er gleich, Sundance Kid, Robert Redford) im Nebenberuf auch Umweltaktivisten sind: Ist das gut? Ist es, vor allem, auch erfolgreich? Ich glaube, ich bin eher dafür, dass es Umweltaktivisten mal in Hollywood versuchen, viel interessanter.

Anna schrieb gestern: Bist du traurig wegen Robert Redford? Nee, okay, ich komischerweise auch nicht.

Und man sagt dann, weil es das ist, was man jetzt sagt: Aber die  Fahrradszene in Butch Cassidy and the Sundance Kid, die Fahrradszene! Ist ja auch eine der unerklärlich schönsten Szenen der Kinogeschichte (dabei ist sie, die Fahrradszene, natürlich mit dem riesigen Paul Newman, dem Kumpel, anderen, älteren der beiden, mit dem er, Robert Redford, der jüngere, sich die langmähnige Hippie-Königin Katherine Ross teilt). Und einer der schönste Liebesfilme der Kinogeschichte ist es sowieso, sowieso.

Weinender Merz, Kipa tragend. Gegenschnitt: Rachel Salamander, mit ratterndem Kopf. Was passiert hier gerade? Wo sind die Kameras? Kann ich dem glauben, der da vorne weint? Warum findet das eigentlich so selten statt, dass ein Mensch, über die Shoa redend, mit den Tränen ringt?

„Ich möchte Ihnen sagen, wie sehr mich das beschämt.“

Die Tränen des Friedrich Merz waren ja nicht deshalb wahr und ganz das Gegenteil von einem PR-Moment, weil da ein Kanzler weinte. Sondern weil ein in public Sprechender versuchte, nicht zu weinen.   

„Das, was unsere dänischen Nachbarn gemacht haben, vor nicht all zu langer Zeit …“ (Moritz Schularick)

Schularick, der neue Christian Drosten, extrem gut informiert, ultra angenehmer Sprecher, moderner, halblanger, wuscheliger Haarschnitt, leicht genervt, was auch immer gut kommt, plus dem irgendwie originellen, romantisch abseits gelegenen Heimatort Kiel. Von Moritz Schularick würde ich mir auch Ehe-Tipps geben lassen, er ist krasses Sachbuch-Bestseller-Material.

„Darum ist Trump immer so orange“ (Bild).

Leif Randts Feelings sind natürlich genau so gut, wie Andreas Bernard — komplett klar, wie immer — schon vor Wochen am Telefon erzählte. Ich kann immer nur acht bis zehn Seiten lesen, it is too intense. Er spielt, schreibend, könnerhaft mit dem Gaspedal, immer nur ganz bissl antippen, hören, wie der Motor klingt, bloß nicht zu viel Gas. Auf Seite eins kommen in der Aufzählung von „gekühltem Mineralwasser in kleinen Glasflaschen“ und „hellgrünen Apfelschnitzen“ auch noch die, Achtung, „lauwarmen Salzbrezeln, in Stoffservietten eingeschlagen“: Es ist so einfach — es sind diese Momente, an denen man merkt: Okay, Könner am Werk, da lasse ich mir jetzt viel sagen, da höre ich jetzt ganz genau weiter zu. Das wird gut.

Harvester seit heute wieder im Einsatz. Fürs Geschäftsjahr 2024/ 25 fehlen noch rund 800 Festmeter.

8. September 2025, Montag

Nachricht aus 16792 Zehdenick, per Sprachnachricht gesendet — in der Stadt spielt sich eine sagenhafte Posse ab um einen parteilosen Bürgermeister, der sich in einer Stichwahl gegen einen aus Berlin stammenden AfD-Kandidaten durchgesetzt hat und sich seither (genauer: seit Tag zwei seines Amtsantritts) mit Attesten von ihm offenbar wohl gesonnenen Ärzten krankmeldet, es geht natürlich auch um die Bezüge, die so ein Bürgermeister einer brandenburgischen Kleinstadt, der offenbar nie vorhatte, bei seiner Arbeit anzutreten, seit seiner Wahl, also seit März dieses Jahres, kassiert (das sogenannte Ruhegehalt) — effektiver kann man einer hier eh schon angezählten und tödlich schwachen Demokratie keinen Schaden zufügen als der gewählte Bürgermeister, der offenbar für niemanden, weder postalisch, noch per Telefon, zu erreichen ist (währenddessen hat die AfD ein Abwahlverfahren initiiert, über das nun in großer Koalition aus CDU, SPD, GfZ (Gemeinsam für Zehdenick), BfZ (Bürger für Zehdenick), WS (Wählergemeinschaft Schorfheide), Linken, Grünen und AfD am 18. September beraten und entschieden werden soll). Man kann sich das nicht ausdenken, eigentlich müsste der Spiegel einen Titel über diese Vorgänge bringen. Zeile:

WATT? WER? Wie in einer brandenburgische Kleinstadt die Demokratie durch Doofheit — oder war es Verrat? — verlorenging.

Danke an dieser Stelle auch an Trainer Micha Ungar, der mich mit Texten aus der Gransee-Zeitung und Märkische Allgemeinen über das letzte Kapitel der AfD auf ihrem langen, schwachsinnigen Weg an die Macht auf dem Laufenden hält.

Und hier nun die Sprachnachricht, haarscharf an diesen Vorfällen vorbei, dafür aber ums so lustiger, in the good old Deutschboden-Slang, von der Romanfigur Raoul Seehausen:

„Moritz, Moooooritz — ja, genau, so bekehren wir die ganzen Fleischesser: Wir vergleichen sie mit dem zwanghaften Wurstfresser Markus Söder, und dann kommen sie alle aus Scham zu uns, exakt so läuft das. Vegetarier aller Länder, vereinigt euch.

Schöne Grüße nach Zürich! Passender Herbstanfang, passender Endsommer. Riesenlust auf Oberfranken — hatte auch schon vor, mal vorzuschlagen, mal vorbeizukommen, man hat ja Autos und alles, man ist ja easy unterwegs, aus Fernfahrer-Sicht allet nur ein Katzensprung. Gerne auch schon im Oktober — am besten noch, bevor Battlefield 6 auf der Playstation 5 erscheint, denn könn’ wa schön zusammen ma‘ wieder paar Bierchen trinken und schön vegetarisch watt zusammen essen. Ich kann dich da gerne mit Rezepten inspirieren.

Ansonsten: Hier läuft mein schönes Big-Lebowski-Arbeitslosen-Leben, noch dieses Jahr, es ist so herrlich, aaaaah, es tut so gut — nichts tun ist so geil, es ist so voll mein Ding. Ick liege hier, werde gleich noch watt zu fressen einkaufen, weeßt‘ ja, und ich habe auch schon einen dicken, fetten Joint geraucht. Also, schöne Grüße! Alles ist gut. Alles ist gut.“

Ja, alles gut, schönen Gruß, liebes Paulchen und lieber Carli, vom schon zweiten Kaffee im Bellevue-Pavillon. 

 

7. September 2025

Der FlixBus-Fahrer sieht, wie alle FlixBus-Fahrer, wie der neue polnische Präsident Karol Nawrocki aus (war ja neulich auf Antrittsbesuch bei Präsident Trump). Verschlagen. Fleischige Ohren. Nicht ungefährlich. Er lässt sich da stumm die indischen, pakistanischen und srilankesischen Pässe zeigen.

Die sehr klassische FlixBus-Passagierin nehmen mir: noch recht frisch mit der Schule fertig, Samthose, Dr. Martens, langärmeliges T-Shirt (schwarz) unter kurzärmeligem T-Shirt (weiß), JBL-Kopfhörer, empfindsames Metallbrillengestell, Sudoku, und die unvermeidlichen REISCRACKER. Brösel, brösel, ja.

Ich wie immer links auf einem Doppelsitz: damit die Wahrscheinlichkeit, nicht der eine dumme Tote zu sein, sondern zu den nur Schwerverletzten zu gehören, wenn der Bus wieder rechts in die Böschung kippt, gegeben ist.

Ganz groß auch im FlixBus: dass eben keine Musik läuft.

Wer im FlixBus keine Literatur schreiben kann, der kann es nie.

Aufmacher von Claudius Seidl im SZ-Feuilleton (…)  Hierzu an anderer Stelle mal mehr. Welcome back to the Süddeutsche, lieber Claudius!

Eben geguckt, wo jetzt noch mal die nächsten Landtagswahlen stattfinden, wegen denen doch jetzt alle so aufgeregt sind (inklusive mir):

Baden-Württemberg 8. März 2026.
Rheinland-Pfalz 22. März.
Sachsen-Anhalt 6. September.
Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 2026.

Kommunalwahlen sind gleich jetzt, am kommenden Sonntag (14. September) in NRW, im März dann in Bayern.

In den hardrockenden, den bösen Kommunen im Ruhrgebiet — Gelsenkirchen, Duisburg, Essen II, Reckllinghausen — werden es Festspiele für die AfD.

Und auch das noch mal hinschreiben, damit es sackt:
AfD in Sachsen-Anhalt 39 Prozent, CDU 27 Prozent.
Im Osten will eine Mehrheit den lupenreinen Nationalsozialismus zurück.

Problemlösen? Hau ab mit Arschloch scheiß Problemlösen, du Arschloch.
Wir wollen Zerstörung.
Hass.
Abschottung.
D-Mark.
Bargeld.
Verbrennermotoren.
Alle Windräder umsägen.
Atomenergie.
Russisches Erdgas.
Volksmusik.
U.S.-amerikanische Race-Musik auf den Index.
Ausgehverbot ab 23 Uhr.
Todesstrafe für Kinderschänder und grüne Kommunalpolitiker.
Deutsche Nationalmannschaft (DFB) nur noch mit Spielern mit deutschen Vor- und Nachnamen.
Deutsche Burger (Schweinefleisch mit Sauerkraut).
Deutsche Unterwäsche (Trigema).
Deutsches Sexspielzeug (auch Trigema).

Grüne: verbieten.
Opposition: verbieten.
Öffentlicher Rundfunk: verbieten.
Englisch sprechen auf Pausenschulhöfen: verbieten.
Internet: auch verbieten.
Wir wollen überhaupt mehr russische Zustände in Deutschland: lernen von Russland.
Liberales Deutschland: abschalten, verbieten.

I am not joking, man, das sind exakt die Forderungen, die ich 2009 und 2019 bei meinen Deutschboden-Recherchen — damals noch halb im Ernst, beim fröhlichen Biertrinken — im Bundesland Brandenburg gehört habe. Nun ist das Konsens — werden diese Positionen bei der nächsten Landtagswahl auf Platz eins gewählt. Mehr Russland in Deutschland wird: umgesetzt.

Drei fröhliche Techno-Kinder auf dem Rückweg vom Tankstellen-Kiosk zum FlixBus, rumalbernd, lachend, halbnackt, halblange, wuschelige Haare, die Girls tragen BHs zu Adidas-Hosen, der Junge ein Konzert-T-Shirt. An der Raststätte Bodensee in Hörbranz, Österreich, hatte der Bus Halt gemacht, nun möchte er weiterfahren, fährt schon wieder an.

Die Kinder bleiben stehen, fassungslos, winken, brüllen, bleiben nun endgültig stehen, brüllen weiter, hey, hey, das gibt’s doch nicht, Hallo? Halloooo! Aber nein, der Busfahrer, unser Karol Nawrocki, zieht ab, lässt das leuchtgrüne Schiff Richtung Autobahn rausschwenken. Fuck lustige Techno-Kinder, die die Abfahrtszeiten nicht respektieren (nein, nein, die Kinderlein haben es dann doch noch auf den Bus geschafft, irgendwie, aber es war knapp!). 

Zoll Diepoldsau.

FlixBus X06 von München nach Zürich ist pünktlich.

6. September 2025

Wer jetzt alles Fotos findet, von sich und Armani, knutschend, herzend, Arm in Arm, an irgend einem Laufsteg, es sind praktisch alle in meinem Insta-Account. Er hat über all die Jahre, die ganzen Neunziger und Nuller, mit gerade bekannt werdenden Bloggerinnen bzw. Girls, die einfach im Bikini um die Welt reisen, geposed, so hat er also seine Milliarden gemacht — das muss ein toughes schedule gewesen sein.

Ich hätte in der großen Wochenzeitung natürlich über mein Interview schreiben müssen, das 1995 in Mailand stattfand (zirca 15 Minuten) und als Thema die schöne Christian-Kämmerling-Zeile „24 Stunden in Bermudas“ hatte — vollkommen richtig, natürlich, natürlich, aber ICH WAR SCHWACH (sorry, sorry). Und, Tatsache: Ich erinnere mich kaum noch an etwas.

An WAS ich mich noch erinnere, hier im Detail:

Armani sprach kein Englisch, nicht ein einziges Wort, oder er hatte keinen Bock, englisch zu sprechen — das Interview ließ er von einer eleganten, kleinen Dame mit Schreibblock in der Hand übersetzen. Das ist doch wirklich ein interessanter Punkt — der King of Hollywood sprach kein Englisch!

Gleich mal bei ChatGPT nachgefragt, ob das möglich ist oder ich mich hier falsch erinnere: Ist das möglich, dass Giorgio Armani kein oder kaum Englisch sprach?

Antwort: „Ja, das ist tatsächlich möglich. Giorgio Armani (geb. 1934) ist in Italien aufgewachsen, hat in Mailand studiert und seine gesamte Karriere im italienischen Modeumfeld aufgebaut (…) zumal er in den 1970ern schon eine etablierte Marke hatte, bevor Englisch weltweit zur Pflichtsprache wurde (…)
Über Armani ist bekannt: Er gibt Interviews meist auf italienisch, meist mit Dolmetscher. Viele internationale Auftritte wurden durch Übersetzungen begleitet.“

Okay, ChatGTP, vielen Dank, ich erinnere mich also richtig.

Wie damals üblich, wurde das Interview mit analogem DIKTIERGERÄT aufgezeichnet, gab ja noch keine Digitaldinger (das Beweisfoto von der Minikassette erschien, neben Interview-Kassetten von Jon Bon Jovi, Los Angeles 2000, und, haha, Joschka Fischer, Berlin 1998, bei mir auf Insta).

Er war so klein, wie jetzt alle immer schreiben, aber nicht verrückt klein (kein Danny de Vito).
Blaues T-Shirt, blaue Shorts, eventuell: blaue Wildleder-Slipper.
Der berühmte gleichmäßig braune Teint.
Keine Armbanduhr! (Statement — ich dachte Jahre später noch, immer wieder: So geht das also, als Ultra-Gentleman, man trägt besser gar keine Armbanduhr).
Ich erinnere außerdem sehr genau: dass man in seine operierten Nasenlöcher wie in eine Steckdose hineinschauen konnte.
Außerdem: die wirklich sagenhaft angenehm weiche, sanfte, sehr großbürgerlich vornehme, norditalienische Art (wie seine berühmten Anzüge, gewissermaßen ein Umgang ohne Schulterpolster, nicht kantig hart, sondern weich, fließend).
Ende meiner Erinnerungen!

Schön am Vormittag: Sitzen auf der großen Terrasse.
Die köstliche kühle Luft.

Antje Rávik-Strubel geht bei Klassik Pop Etcetera mit dem denkbar größten Klopper rein:
Life is live von Opus (von 1984).
Alles sofort da, ihre DDR-Jugend, eine schöne Kindheitsgeschichte (Papa brachte ihr von einem London-Besuch die 7-inch-Single mit), Vor-Digital-Euphorie:

„All together now: Nana Nanana … LIFE!“

Danach bei ihr natürlich nur noch ganz schlechte und kitschige DDR-Schriftstellerinnen-Prenzlberg-zur-Wende-Scheußlichkeiten: Element of Crime, Portishead (kotz), Radiohead und immer wieder das schreckliche Claire-Waldoff-Gekrächze. Macht ja nichts, ein grandioser Song pro Leben ist genug. 

Beim nicht ganz schlechten Italiener gestern in Großwendern fiel mir auf (neues Lokal in der Dorfmitte, von außen in weinroter Ölfarbe gestrichen oder wie das heißt, innen die üblichen riesigen hellgrauen Bodenfließen, Bilderrahmen und sonstige Deko in Yoga-Beige): Man sagt nichts Kritisches über das Essen, keinesfalls, ganz egal, wie es dann wirklich schmeckt oder wie es aussieht, man sagt immer, immer, gleich beim ersten Biss: „Schmeckt gut, doch, wirklich gut, mmmmmm.“ Okay!

Anna erzählt mir sehr interessant von ihrem Abend gestern in Zürich.

4. September 2025, Donnerstag

Monopol Online: Wer ist die neue Vogue-Chefin Chloe Malle? Okay, das will man, dass will ich wirklich wissen! Wer ist der komische, kleine, rosa-gelb-farbene Blusen tragende Gremlin, der den Teufel nach 37 Jahren zur Seite geschoben hat?

Trinkt sie noch echt Alkohol? Ist sie über neun Stunden pro Tag am Handy, und welchen Schoßhund hat sie sich als Accessoire ausgesucht, einen Chihuahua oder den in der New Yorker BloggerInnen-Szene derzeit so populären Lhasa Apso (Tibet)? Kennt sie Trump noch aus den Jahren, als er der bisschen lächerliche, im Prinzip aber total sympathische Vater des rising Unterwäschemodels Ivanka Trump war?

Bernhard Heckler heute gleich noch mal über Schirach in der SZ, dieses Mal ausgesprochen positiv: Er lobt ihn als Talkshow-Gast — gut, das ist ein so gleichermaßen kluges wie durchschaubares Manöver und deshalb natürlich nicht nur klug (Schirach wird es in noch tiefere Verzweiflung stürzen, er liest ja wirklich jede Zeile, die über ihn erscheint, und liest in jeder Zeile, auch den fairen und den explizit gut gemeinten, nur Verrat und Missgunst).

Der Kritiker, verstehe ich, verstehe ich, hat das Bedürfnis, nicht nur hart, böse, kalt, hämisch und schlecht gelaunt rüberzukommen, als der das tödliche Urteil überbringende Killer — es wirkt ja auch klein und dumm, wenn man als Kritiker nur Häme hervorzubringen hat, und, im Gegenzug, kann überraschendes Lob so absolut intelligent und beschwingend sein und die Augen öffnen (siehe der Superkritiker Adam Soboczynski).

Im ZEIT-Feuilleton gab es nach dem Greiner-Gemetzel ein natürlich nicht offizielles, dadurch aber noch effektiver gültiges Verbot, hämisch über Schirach zu schreiben, da würden nur überraschend freundliche Kritiken gedruckt (mit dem Ergebnis, dass in der ZEIT seit 2013 kein interessanter Text mehr über Schirach erschienen ist).

Und ja, nützt alles nichts: Der Fatzke im Smoking ist durch Lob natürlich längst nicht mehr zu erreichen, alles verletzt ihn, das Feuilleton, eine einzige Verschwörungsmaschine — wer sich einmal so missverstanden und vorgeführt fühlt, der glaubt nur noch dem Totalverriss, weil die verächtliche Meinung, die er sich vom Feuilleton gemacht hat, so wieder und wieder reproduziert und bestätigt wird, das Lob ist in dieser paradoxen Logik nur der größte Hohn, der gemeinste Verrat. Er, unser Homer, Kleist, Kant, Goethe, Hemingway, Philipp Roth (??), ein exzellenter Talkshow-Teilnehmer: Schrecklicher war es nie, das ist der Gipfel.

Und hier gleich weiter rumstinken: Wim Wenders ist sicher ein ganz, ganz wichtiger Regisseur mit ganz, ganz wichtigen und elegischen Filmen — aber ich will doch keinen scheiß 80-Minuten-Film auf scheiß Arte über ihn sehen! (Gestern trotzdem gemacht).

Ich brauche ein neues Verhältnis zu deutschen Filmregisseuren über 80, dache ich gestern wieder, ich finde, sie sehen mit ihren schrecklichen zerknitterten Leinenjacketts eigentlich alle nach Mundgeruch und totaler Langeweile aus, man will nur flüchten — außer Werner Herzog, der in seiner Superbayer-in-Hollywood-Haftigkeit natürlich auch nervt, aber noch mal anders (Herzog ist ja vor allem als Schriftsteller ein echt Großer).

Frankenpost: Schönwald. Gernot Mang ist frisch gewählter Präsident des TSV 1860 München. Seine Managerqualitäten setzt er künftig auch in der Region ein — als Vorstandsvorsitzender der TBS Tabletop.

Sexträume beim Betrachten meines Bücherregals: Gottseidank (nein, nein, mache ja nur Witze).

Der hellgraue Star-Wars-Plastikschuh am linken Fuß verhindert die Bewegung, die mir als ganz normal wütender und unausgeglichener Mensch jeden Tag zusteht, das ist nicht gut, das muss wieder besser werden. Alles klar.

3. September 2025, Mittwoch

Es war schon wieder so viel, klar, klar.

Der in der Frankenpost besprochene Abend mit DJ Hell im Café Schwarzer Peter: „DJ-Ikone mischt Selb auf. Einer der ganz Großen der Techno- und House-Szene …“

Das 26. der Sophienreuther Konzerte, wie immer kuratiert von Louis von der Borch, ebenfalls in der Frankenpost besprochen: „Am Samstagabend, kurz nach acht Uhr, wurde es im dicht besetzten Konzertsaal des Schlosses Sophienreuth blendend hell. Das Javis Quartett eröffnete sein Konzert mit dem Haydn Quartett Op. 76/4, das den Beinamen Sonnenaufgang trägt.“ Nach der Pause dann: Beethoven, Op. 132.

Drei Abende in München.
Schumanns.
Das Frauenhofer auf der Frauenhofer Straße.
Viktualienmarkt.
Sonnenbrillen-Kaufen am Gärtnerplatz.
Eisbach.

Ich breche mir zwei Zehen im linken Fuß, einfach so, beim Gehen, Stehen, Rumschauen, Durch-die-Gegen-Laufen, es ist mir auch kein Bierkasten oder Werkzeugkasten auf den Fuß gefallen — Marsch-Fraktur oder Erschöpfungsbruch heißt das (Gruß an den König der Ferndiagnose, Dr. Christopher Topar in Berlin), seither trage ich einen hellgrauen Plastikschuh à la Transformers oder Robocop (dazu sage ich jetzt nichts weiter, es ist mir einfach zu senil).

Sehr schöne Gespräche mit Mister Randolph im Wald — er erzählte wieder so schön und vor allem so lebendig von früher: DDR, NVA, Plauen, Revolution in Plauen, die goldenen Neunziger, „das schönste Jahrzehnt meines Lebens, es war alles so offen“, natürlich, natürlich.

Meinen logischen Vorschlag, einen 700-Seiten-Roman über sein Leben zu schreiben, wiederholt von mir vorgeschlagen, heute Morgen, gegen neun Uhr, wieder mal, am Wasserweg Ecke Pfarrhausweg, lehnt er wie immer lachend ab: „Ich bin 0815, nee, wirklich nicht, es gibt absolut nichts von mir zu erzählen. Also, da könnten Sie ja im Prinzip jeden fragen (…) Nee, das ist total uninteressant. Das interessiert wirklich niemanden.“

Und ich sage, etwas hilflos, klar: „0815 ist mein Allerschönstes.“
Und: „Ich liebe total uninteressant.“

Interessiert wieder ihn alles überhaupt nicht.

Arbeit an der Laudatio auf Johanna Adorjan zur Verleihung des Ben-Witter-Preises im Hamburger Literaturhaus am 6. Oktober — Konzentration, das Vertiefen in Text, eine Stunde, drei Stunden, vier Stunden lang, ist doch etwas Tolles, es ist wunderbar, den Kopf mal wieder richtig anspringen zu hören (ich habe hier zwei Kartons oder zirka 80 cm Text von Johanna Adorjan aus dreißig Jahren Journalismus in jetzt-Magazin, FAS und Süddeutsche liegen, auch nicht schlecht). Nothing beats die Klugheit, die man beim Vertiefen in eine als sinnvoll erachtete Arbeit empfindet, nothing beats die selige Ruhe while writing.

Abends, beim Warten auf die Freunde und SPD-Kollegen aus Schönwald, im griechischen Restaurant Elena in Rehau — ich war schon zehn Minuten früher da, um in Ruhe ein Pilsbier zu trinken —, lese ich, weil mein digitales SZ-Abo mir das vorschlägt, den herrlichen Verriss von Bernhard Heckler über den neuen Ferdinand-von-Schirach-Band Der stille Freund und muss soooooo lachen.

Die Schirach-Literatur hat über die vergangenen 15 Jahre ja eine ganz eigene Verriss-Schule hervorgebracht — die besten haben sich im Schirach-Lächerlich-Machen versucht und haben dabei große Lese-Hits produziert (unvergessen der Ulrich-Greiner-Verriss von Tabu, der mit dem die Literaturkritik verändernden Satz begann: „Den neuen Roman von Ferdinand von Schirach habe ich nicht verstanden, selbst nach zweimaliger Lektüre nicht“). Den Erzählband Verbrechen hatte man bei Erscheinen im Jahr 2009 ja noch als sehr gut oder — wie heißt das noch mal — vielversprechend empfunden, er ist aber, jetzt, im Rückblick, natürlich auch Schrott, weil man weiß, was von diesem Autor im Smoking noch alles für ein geschraubter Ultraquark erschienen ist, hahaha.    

Soeben im Buchladen seitenWeise in Rehau bei der Buchhändlerin Kati per SMS die folgenden zwei Bücher bestellt:

Kill Your Darlings, acht Stücke von René Pollesch, das schöne Taschenbuch mit der schwarzen Schrift auf rotem Grund (2014, rororo), hatte mit Schrecken gesehen, dass ich das aus irgendeinem Grund gar nicht mehr habe

Leif Randt, Let‘s Talk About Feelings. Seit Tagen denke ich: Irgendwas Schönes steht mir ja noch bevor — ach ja, das Buch mit dem Supertitel (schnurrt so schön weg, ganz, ganz schön und ideal) will ich ja noch in die Hand nehmen und mich in diese LITERATUR hinein begeben, die mir, zumindest beim letzten Roman, noch so auf den Sack gegangen ist. Zeitgleich habe ich die Feelings auch bei Petra Düker im Verlag Kiepeneheuer & Witsch bestellt bzw. Um ihr Zuschicken gebeten, will man zwei Mal haben, das Buch, dachte ich. Ich bin ja kein Leif-Randt-Anhänger, er nervt mich, mit seiner Supercleverness (normal), aber jetzt, wo auch Andreas Bernard noch mal gesagt hat, wie gut das ist — Andi Bernard fand den schon immer gut, eigentlich alle guten Leute fanden den schon immer gut, fair enough —, möchte ich das auch lesen. Und weinen.

Ach so, habe ich schon mal gesagt, wie schön hier das 15.35-Uhr-Licht nach einem auch schon sehr schönen Tröpfel-Tag durch die FENSTER in meine Schreibhalle scheint? Der Himmel pumpt einen an, und die Blätter machen Rischelraschelrausche.

Was mache ich noch mal heute Abend? VOLLKOMMEN UNKLAR.

27. August 2027, Mittwoch

Seit gestern Abend explodiert mein Instagram mit Gavin-Newson-Clips („I am so proud to be governor of California“).

Schon mal gut ist, dass er, wie Trump, den Raue-Stimme-Trick macht — das kommt einfach gut, es klingt nach Action: „Donald Trump, you have poked the bear (…) It’s not good enough to hold hands and have a candlelight vigil and talk about the way the world should be. We have got to meet fire with fire. (…) We can’t stand back and watch this democracy dissapear.“

SMS an Martin Purwin und DJ Hell: Ist Newson der Brecher der Demokraten, für den er sich ausgibt und der so dringend gebraucht wird, oder doch nur ein Furz? Ich habe Angst, dass Trump ihn zum Frühstück verspeist.

Andererseits: Um welchen heldenhaften Herausforderer des orangefarbenen Arschlochs hätte man jetzt nicht Angst, es geht schließlich um: unsere USA, the western world, democracy, Hoffnung, unsere Kinder, alles.

Wieder auf Insta lese ich: Laut L.A. Times unterstützt eine knappe Mehrheit Newsons Aktionismus gegen Trumps Texas Redistrictin Plan — unklar ist, ob diese Mehrheit steht bei seinem für den 4. November angesetzten Coup, dasselbe auf für die Demokraten günstige Weise in Kalifornien zu tun (Election Rigging Response Act). Was sagt Arnold Schwarzenegger?

Versuch, die Zeitschrift Der Bayrische Waldbesitzer zu lesen (die Fachzeitschrift des Bayerischen Waldbesitzerverbandes). Hochinteressante Themen, natürlich: Interview mit dem Waldbesitzer-Präsidenten über das Nature Restoration Law der EU, Porträt der japanischen Sicheltanne, in die jetzt alle Hoffnung setzen, ein großer Report über die Folgen des Harvester-Nutzung für die Waldbodenverdichtung, eine Fotostrecke über die Sortierungskriterien bei der Eiche, Plädoyer für einen Neustart der Forstpolitik in der Bundespolitik, eine Titelgeschichte über Drohnen als neues Werkzeug in der Forstwirtschaft UND VIELES MEHR. Aber: Es ist einfach zu schlecht geschrieben –– beim Interview mit Verbandspräsident Bernhard Breitsameter gelingt es dem Interviewer nicht, auch nur eine verständliche Frage zu stellen! Sehr schade.

Und: Aufbruch nach München, City of the Nineteen Ninetees.

Okay, ich mache jetzt auch mal mit beim Hinschreiben des Buchtitels der Saison: Let‘s Talk About Feelings.

Gleich zwei Neuerscheinungen unser aller Verlags Kiepenheuer & Witsch stehen auf der Shortlist des Wilhelm-Raabe-Literaturpreises. Freude!

19. August 2025, Montag

Waldman Johnny Joe — das bin ich, sorry, sorry, werde mich in Zukunft jetzt immer so nennen — bei der morgendlichen Kontrollfahrt, die Kirchallee rauf, dann rechts den Saubrunnenweg runter, bis zur Alten Rehauer Straße.

Herr Randolph, Mann mit der orangefarbenen Kox-Waldarbeiter-Jacke — er hat gestern bis halb zwölf nachts das Trump-Theater auf Welt-TV gesehen, seit sieben Uhr steht er schon wieder im Wald und zeichnet aus.

Randolph: Der Russe wird überschätzt, der kriegt nichts hin, der schafft ja nicht mal den Donbas. Der wird niemals die NATO angreifen.

Ach ja?

Ich gleich verunsichert, wie immer, wenn Randolph seine irgendwie so kristallklar und wunderbar entschiedenen politischen Analysen vorträgt. Dann sagte ich: „Aber Sie haben den CCCP-Pullover von Lawrow gesehen? Das sind stramme Sowjet-Krieger. Sind sie nicht?“

„Ach ja“, so Randolph weiter. Er kennt den Russen aus seinen Junge-Mann-Jahren als NVA-Soldat und Forstarbeiter in der DDR. „Das ist ein Clown, der Lawrow. Der will uns zittern sehen, der lacht sich doch kaputt über uns kleine ängstlichen Europäer.“

Jetzt bin ich ganz durcheinander — ich mag das jedenfalls nicht, wenn das Nussknacker-Gebiss Lawrow sich über uns arme, aufgeweichte Waschlappen-Bioladen-McFit-Europäer kaputtlacht!

Ulf Poschardt fragt auf Instagram: „Wie würdet ihr mit einer bekannten Buchhandlung umgehen in Berlin, in der die Buchhändler:innen offensiv vom Kauf von SHITBÜRGERTUM abraten?“

Haha. Das ist, zugegebenermaßen, wieder ziemlich gut und unterhaltsam formuliert. Er sucht die EINE Buchhandlung raus, die sein Buch nicht verkauft. Die fasziniert ihn. Er will gehasst werden. Er genießt es einfach so (der :innen-Gag ist super, auch im bewegten Bild, bei seinen Welt-TV-Clips, kommt der gut — der wird auch komischerweise immer besser, je öfter er ihn bringt).

Derweil meine Megapartei, die SPD: Unser braver Vorsitzender Lars Klingbeil denkt laut über Steuererhöhungen nach, wie da gerne gesagt wird. Weiter: gutes, fruchtbares Nachdenken. Da will einer, auf Biegen und Brechen, eine Regierungspartei unter zehn, besser unter sieben Prozent bringen, oder wie? Für mich ist das, hier aus dem RegionalExpress heraus, nur ganz schwer zu verstehen.

Armin Nassehi im SZ-Feuilleton über Fundamentalkritik à la Poschardt („… eine Haltung, die exakt das vorführt, was sie kritisiert: Eine gefühlige, kaum konsistente, allzu subjektive, auf rhetorische Effekte setzende und die eigene epische Unkenntnis durch starke Urteile verschleiernde Form“). Das ist exakt das, was ich denke, und exakt das, was man denken muss, wenn man nicht vollkommen verhetzt und bescheuert ist und in der Kindheit nur gehänselt wurde. Und exakt deshalb denke ich beim Lesen: Das Prinzip, immer wieder das zu lesen, was man eh schon von alleine denkt — quasi seit Geburt —, haut einfach nicht hin. Ich brauche eine neue Tageszeitung. Aber welche?

RB 96 von Schönwald nach Hof. Weiter über Leipzig nach Berlin. Im Zug nach Leipzig, es füllt sich rasch bis auf den letzten Platz:   

Fuselbarträger, Strohhutträger, Skater, Unterschenkel-Tätowierte, Augenbrauen-Rasierte, Designer-Schamhaar-Fetischisten. Und alle sind irgendwie Nationalsozialisten oder zumindest halbe Nationalsozialisten, Bargeld-Fans, Kampfhund-Halter, Neo-Christen, Social-Media-Verweigerer, Walpurgisnacht-Esoteriker, Naturbrot-Bäcker, Extrem-Camper, Eisbader, Baumhaus-Bewohner, Umvolkungs-Paranoiker, Putin-Fans, Turbo-Salafisten, sonstige scheußliche Nonkonformisten.

Sehr lustige Szene eben mit sechs Ostgoten (sorry, ich kann die Nationalität nicht erraten, Bewohner eines Auslands in östlicher Richtung jedenfalls, Tschetschenen, Russen, Slowaken, Albaner, Montenegrer), abgeschnittene Jeans und Ringel-T-Shirts tragend, sie sitzen auf den nur acht Plätzen der 1. Klasse, die 2. Klasse ist voll. Eine ostdeutsche Kontrolleurin, am Bahnhof Gera zugestiegen („Personalwechsel, die Fahrkarten, bitte!“), oh Gott, sie muss sich neben der Rente noch was dazuverdienen (über 67), durch ihre Kassenbrille schielend, mit beinhartem Kurzhaarschnitt und wegen ihres sächsischen Dialekts eindeutig zuzuordnen, scheucht sie das osteuropäische Ausland von den Plätzen („Raus aus der Ersten Klasse, ich diskutiere nicht“) und hält danach einen astrein ausländerfeindlichen Vortrag („Vorhin war ein Bahn-Gehilfe da, nicht wahr? Das sind Aushilfskräfte, selbst Ausländer, ich kenne das schon, die sind immer locker mit ihren Kollegen“). Und ich dachte noch — das muss ich auch sagen — als der Kollege aus dem arabischen Ausland kontrollierte: Warum sagt der den Ostgoten nicht, dass sie in der falschen Klasse sitzen, verdammt? 

Ich blieb nach der effizienten Sächsinnen-Aktion auf den nun freigeräumten Plätzen in der Farbe Grün sitzen (die Zweite Klasse hat blaue Sitze), zwei mal vier Plätze ganz für mich, während es sich eine Sitzreihe weiter, bei den Zweiten, nun noch heftiger knubbelte. Düstere Blicke, natürlich.

Hier war es jetzt okay, eine gedruckte Zeitung vor sein Gesichtsfeld zu halten, Shitbürgertum würde Ulf Poschardt sagen, ja, Interview mit Dennis Scheck über Kafkas Vegetarismus (Marie Schmidt), mit dem er, Kafka, natürlich, auch schon wieder Avantgarde war, du liebes Bisschen.

Poor Waldman Joe, gerade mal wieder traurig. Es ist alles scheußlich, ich blicke nicht mehr durch — falsch, das waren gerade, im Gegenteil, einige fast schon erschütternde klare Momente, auch nicht nur angenehm. Keine Larmoyanz, no Klagen, no mercy.

15. August 2025

Wenn Putin und Trump sich in Alaska treffen, um da auf lustig Europa zu verkaufen, sich anzufassen und als Gewinner und Friedensnobelpreisträger in ihre kaputten Länder zurückzukehren, dann brate ich hier, bei mir daheim in Oberfranken, Fleischpflanzerl, logisch — nicht zehn, zwölf, wie man meinen könnte, sondern gleich um die dreißig, vierzig Stück. Da ziehe ich voll durch, da kenne ich nichts, sorry, sorry. Die Fleischbällchen kommen, kaum sind sie angebraten, in eine Tomatensoße und werden darin gegart, dazu reiche man Weißbrot: Polpette al sugo, wie es im Rezept heißt, das mein Superwife aus Zürich schickte (sorry, sorry).

Klassiktipp zum Freitag, ihr Armleuchter: Dvorak Streichquartett Op. 96, American, (Apple Music schlägt als erstes das Emerson String vor, langweilt mich gleich, gibt‘s da kein noch unbekanntes, gut halbseidenes, interessant falsch und fehlerhaft aufspielendes, insgesamt total fragwürdiges Quartett?). Dvorak: mein Brahms — lichter, leichter, weniger bedeutungsvoll dräuend, eben auch: weit gereister, internationaler, a true American Star.

#Kulmbacher Edelherb, legendäres Kulmbacher Pils, Premium Pils, Bier, Beer, Bira. 0,33 l. All 4,9 vol. Gebraut in der Kulmbacher Brauerei AG.

Begrüßen wir heute voller Freude:
Constantin Thiessen von Zedlitz, Hamburg.
Louisa von Uslar, Berlin.

Es ist nicht schön, in krisenhaften Zeiten zu leben, es tut weh. Und es ist ja wirklich: viel Krise, Abschied, Ende, Ende, Ende, viel Aua. Man darf nicht sagen und sollte nicht sagen, dass das Jalta Zwei ist, was da heute in Alaska stattfindet, weil solche Vergleiche — jeder Vergleich mit 33, 39, 45 — immer Quatsch sind, verharmlosen, verzerren und in die Irre führen. Auch ist der Jalta-Vergleich natürlich auch schon wieder Putin-Propaganda (Putin will den Vergleich mit Jalta, weil das seine Selbstdarstellung als Anführer einer Großmacht, als ein Stalin der Gegenwart stärkt, etc. etc.). Aua, aua, aua.

Ich brauche eine sehr liebevolle Umarmung. Jemand soll mir fest und liebevoll über den Kopf streichen. Bis das passiert — dauert leider noch ein bisschen — nehme ich dann noch ein köstliches Kulmbacher Lecker Lecker Lecker Pils.

14. August 2025, Donnerstag

Vergangene Woche erschien in einer Sonderausgabe der Zeit ein Textlein über mein Lieblingsschwimmbad im Landkreis — Thema, so die Anfrage des Zeit-Redakteurs Christoph Amend in einer SMS: „Eine Deutschlandreise an besondere Orte“. Okay! Es war mein, haha, erster Zeitungstext seit einem Jahr, und deshalb muss er — natürlich — auch noch mal hier in den Meldungen erscheinen:

Club 55 versus Schiedateich

Warum ein fränkisches Waldbad mehr Glück verspricht als Saint-Tropez.

VON MORITZ VON USLAR

Der silbergraue oberfränkische Himmel — und schau, da fallen ja schon die ersten Tropfen. Es sieht an diesem Sonntagnachmittag im Waldbad Schiedateich so gar nicht nach idealem Badewetter aus, und genau hier liegt der Schmäh und die leicht melancholische Note: 16 Grad Luft-, 19 Grad Wassertemperatur, das sind hier bei uns, im schönen Fichtelgebirge, auf 520 Metern Höhe, am Rand der Ortschaft Schwarzenbach an der Saale gelegen, ideale Bedingungen. Oder wie man unter Schiedateichern gerne liebevoll-spöttisch sagt: Bei schönem Wetter baden, das kann jeder.

Wer dann hier trotzdem, aus irgend einem Grund, in diesem vielleicht abgemeldetsten Winkel Deutschlands das Metalltor aufschwenkt — Eintritt umsonst, man spaziert einfach herein —, der findet die vollkommen unambitionierte Schönheit eines deutschen Wald- und Wiesenbads: dunkel spiegelndes Wasser, von fränkischen Nadelbäumen umgeben. Und schon ein wenig unruhig, guckt sich der noch tief im letzten Jahrhundert geborene Badegast um, ob er hier denn wirklich alle Details wie aus den endlosen Sommern der 1970er-Jahre vorfindet.

Findet er. Den grünen Maschendrahtzaun, die hellblauen Sprunganlagen, die abgeplatzten Betonbodenplatten (sind abgeplatzt, weil Betonbodenplatten leicht abgeplatzt zu sein haben, das war schon immer so). Schöller wünscht eine schöne Eiszeit. Über das weite Liegegrün steht, zirka alle hundert Meter, ein Metalleimer bereit. Die weißen Kiosk-Baracken stammen geschätzt aus den 1960er-Jahren, der Fraktur-Schriftzug für das „Frauen“ und „Männer“ der Duschkabinen lässt aber eine Nostalgie in Richtung später 1920er-Jahre erahnen (Strandbad-Wannsee-Vibes). Die Tischtennisplatte aus Beton, von einem rotweißen Plastikband umspannt, darf — das war auch schon immer so — aus irgendeinem Grund derzeit nicht bespielt werden. Das deutsche Verbotsschild, ebenfalls aus ganz anderen Zeitrechnungen stammend (Sechzigerjahre), fehlt hier auch nicht: „Keine Hunde, Fahrräder, Lagerfeuer, Grillen, Zelten …“. Ist doch richtig so!

Auffällig schön, fast schon ein bissl schöner als nötig: der weiße Kiesstrand, der rund um den See ins Wasser führt. Ach, es wird — gerade unter weit gereisten Großstadtmenschen — ja gerne geschwärmt vom Zauber der aus der Zeit gefallenen deutschen Provinz in einer Gegenwart, in der, zumindest auf Instagram, alles dem Vergleich mit den schicksten Badeorten auf Erden standhalten muss (Portofino, Capri, Club 55 in St. Tropez etc. etc). Wer am Schiedateich, auf seinem Badetuch liegend, dem Zug der grauen Wolken folgt, der fragt sich: Wie wollen wir eigentlich leben — was mag ich lieber, den Korb mit rohem Gemüse, serviert mit Dip (Auszug Speisekarte Club 55) oder Bum Bum, das Eis mit Kaugummistiel, einen Klassiker der Schöller-Eiskarte? Schockierend gut aussehende, auftrainierte Blogger Kids oder die fränkische, Entschuldigung, auch nicht mehr ganz schlecht aussehende Kleinfamilie? Und siehe da, die Antwort fällt leicht.

Echte Schiedateicher, das sind übrigens die, die zum Essen und ausführlichem Auf-der-Terrasse-Residieren kommen (Frische Weißwürschtl und Brezn am Sonntag), das Baden, bei dem der ganze Körper im Wasser verschwindet, muss nicht unbedingt sein. Natürlich, an diesem Waldbad kann der feinsinnige Besucher — gerade, weil das Lebensgefühl German Trostlosigkeit in Wahrheit natürlich totschick ist — plötzlich in Instagram-Stress geratet. Fotoobjekt: Mann mittleren Alters steht bis zum Bauch im Wasser, ein Fläschlein Scherdel-Bier in der Hand, und sieht dabei weder besonders glücklich, noch besonders unglücklich aus. Bildunterschrift: „Passt.“

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