moritz von uslar
meldungen aus dem wald

20. Januar 2025, Montag

Klare Ansage vom Mann aus dem Wald: Ich fahre dieses Jahr nicht nach Davos, das lohnt sich für mich nicht (war ja auch schon an Neujahr zum Skifahren im Engadin, so weit alles cool bei mir).

Mit Sorge gucken Spitzenvertreter der exportstarken oberfränkische Wirtschaft auf die künftigen Handelsbeziehungen mit den USA (Frankenpost vom Wochenende). Die Zeit des weltweiten Freihandels sei vorbei, jetzt beginne die Ära der Geoökonomie (China und USA, also die ganz Großen, machten andere Länder, die kleineren, platt, das sei das Denken in Einflusszonen, Wirtschaft werde dabei als Waffe benutzt, militärische Schlagkraft spiele in dieser neuen Wirtschaftsmacht auch eine zentrale Rolle, ah ja, ah ja).

Wie lange bliebt Trump denn jetzt eigentlich an der Macht? Vier Jahre? 16 Jahre?

Die Opferidentitäten: mindestens teilweise gefälscht (Gelbhaar).

„.. packen wir also den Stier bei den Hörnern und schauen kritisch auf uns selber.“ (Deutschlandfunk, Sondersendung am 27.01.).

Wie stehen denn jetzt die Chancen um eine längere Waffenruhe, nicht nur einen Frieden? Danke an Sophie von der Tannen nach Israel.

Heute auf dem Tagesplan in Zürich:

Vom Balkon die Straße hinauf und wieder hinunter schauen
Socken kaufen
Neuer Toaster
Neuer Wasserkocher
Neuer Milchaufschäumer (gähn)
Wäsche raus, Wäsche zurück (ich bin doch reinigungssüchtig)
Wie heißt euer alteingessener Silber-Handgraveur in Zürich? Bitte bei mir melden.
Die ersten zwanzig Seiten des Booker Prize Slasher Umlaufbahnen lesen (sorry, aber ich kann mich für den Blick aus dem Weltall auf die Erde nur ganz schwer interessieren, sorry, sorry, aber ich lese es jetzt trotzdem, weil es alle, alle und vor allem Adam Soboczynski so gut finden).
DENKEN, wie call it heavy denking (dabei Notizen machen, denn das bringt sonst nichts, wenn ich dabei nichts notiere, #NORMALITÄT)

Das Schlusswort der heutigen Meldungen, es kommt heute aus der Sendung Kontrovers im Deutschlandfunk (#Hass), von Hörer Klaus Gottschalk aus Bamberg, Oberfranken, nur sehr formell auch Bayern:
“Ich finde, man kann den Drump auch posidiv sehen, er zwingt Euroba dazu, sich ned mehr länger zu versteggen und auf sei‘ eigenen Stäggen (Stärken) zu besinnen.“ Danke, Hörer Gottschalk aus 96047 Bamberg, so sehen wir das ab sofort auch. #Besinnung

 

19. Januar 2025, Sonntag

Fragen am Tresen des Sternen-Grill, Zürich, Folge 377:

Wie geht das Nicht-Dödel-Leben?
How to fuck Trump? Von hinten, von vorne? Gleich mit dem Spaten von hinten auf den Kopf?
Mal wieder ZEITmagazin lesen? Warum eigentlich nicht?
Wie viel 0,3-Eichhof-Braugold sind gesund, mehr so drei oder vier am Abend?

Hot, hotter, dead (Luisa Neubauer).

Scheiße.
Scheiße.

Fuck.
FUCK!

11. Januar 2025, Samstag

Der ruhige Dreiklang meiner Tage:

Wald.
Metzgereien.
Beethoven.

So kann man leben.

Was ich mir dagegen gestern Abend zugemutet habe: eine Party in Selb! And it was fun.

Du schaust in die Runde der weiter nicht aufregend aussehenden Leute, die da an einem Kachelofen und um einen Esszimmertisch versammelt sind, und dann geht das los, was man Gespräche nennt. Gerne noch ein Kulmbacher, Danke, Danke! Es stellen sich vor:

Eine Friseurin aus Thierstein, die nach zwanzig Jahren freier Tätigkeit nun ihren ersten eigenen Salon eröffnet hat (Glückwunsch), die Gastgeberin der Party schneidet dort immer Mittwochs. Okay!

Gespräch Nummer zwei: Einer, der in einer der großen Firmen der Umgebung beschäftigt ist (war es die Firma Sandler, der Vliesstoffhersteller, in Schwarzenbach an der Saale?), die Familie der Mutter stammt aus Selb, der Vater aus Indianapolis, er war als GI in Hof stationiert, da hat er die Russen abgehört (wirklich? wirklich!), Kennenlernen von Vater und Mutter, damals in den 1970er-Jahren, ganz wie es sich gehört, in einer Diskothek in Hof, der Vater trennte sich, die Mutter ging mit ihrem Sohn nach der Grundschule nach San Diego. Fuck, wow! Der Typ, schwarze Adidas-Jacke, Wollmütze, man merkt gleich, dass da noch etwas Anderes, irgendwie Internationaleres, nicht nur Fränkisches durch seine Birne rauscht, zog dann nach Schulabschluss nach Los Angeles, verschiedene Jobs („Es ist anders mit den Jobs in USA, verstehst, du machst einfach irgend was, du wechselst öfter“), er kehrte erst vor wenigen Jahren nach Oberfranken zurück: „Ich hab‘s gesehen, verstehst du, ich habe es gesehen. Jetzt lass ich es ruhig angehen, jetzt bin ich hier wieder draußen in Selb.“ Ja, ich verstehe total!

Er erzählt nun, wie er, 1992, gleich nach Ankunft in Los Angeles, die L.A. Riots erlebte, wie lange ist das bitte her (ich erinnere mich trotzdem, Andrian Kreye hat damals ein Buch geschrieben, KiWi-Taschenbuch), ein Schwarzer namens Rodney King war von vier Polizisten misshandelt worden, und die Unruhen waren nicht deshalb ausgebrochen, sondern weil ein Gericht alle vier Polizisten gegen alle Evidenz freigesprochen hatte. Es geht dann auch, im Fortlauf des Gesprächs: um Quentin Tarantino, den immer als Erstes erwähnten Regisseur an Geburtstagspartys, und dass wir beide den sicherlich nicht besten Tarantino-Film Pulp Fiction auf VHS gesehen haben, 1995, noch bevor er ins Kino kam. Pulp Fiction, haha, auf VHS, haha — wir sind die Generation, die den Lieblingsfilme aller bekifften Studenten auf VHS gesehen hat! Wirklich lustig.

Man will dann natürlich noch viel genauer hören, wo der Vater genau herkommt und was wiederum die Eltern des Vaters in Indianapolis gearbeitet haben und ob er weiter in Hof bleib, während doch die aus Oberfranken stammende Mutter mit ihm an die kalifornische Westküste zog (irre, irre), das erzählt er alles enorm plastisch und enorm interessant.

Andere Frage, gewissermaßen zum Auflockern: Welcher ist noch mal der beste Tarantino-Film? Jackie Brown. Genau, Jackie Brown, dieser so erwachsene und so zu Herzen gehenden Liebesfilm, die Anti-Klamotte, eines der würdevollsten Paare der Kinogeschichte (Pam Grier und Robert Forster), auch da bin ich vollkommen einverstanden.

Wieder einer anderer, am Kachelofen sitzend, hat sich zuletzt einen kleinen Hof in Hazlov gekauft, etwa 1.500 Einwohner, Tschechien, böhmisches Vogtland, zwischen Asch (Aš) und Eger (Cheb) gelegen, zirka zwanzig Autominuten von Selb entfernt, zunächst als Wochenendhaus, aber jetzt, nach der Trennung von seiner Frau, war das sein logisches nächstes Zuhause. Er arbeitet als Linienbusfahrer, demnächst zum Beispiel wieder auf der kurzen Strecke zwischen  Brand (Dahme-Spreewald, Brandenburg) zum Spaßbad Tropical Island, Unterbringung und Verpflegung inklusive, faire Bezahlung, guter Job. Der aus Hazlov hat sich außerdem einen Namen als mobiler Barmann gemacht, man bucht ihn, gerne auf Privatpartys, die Liebe zu den Drinks hat er, der in München aufgewachsen ist, natürlich von Charles Schumann gelernt. Und als er sich damals, Neunzigerjahre, bei Charles als Barmann bewarb, ist er vor lauter Schreck — und vor lauter Respekt vor dem, von dem das Standardwerk die Bar-Fibel American Bar (1991, Heyne Verlag), stammt — besser gar nicht erst hingegangen.

Der dritte Gesprächspartner: Einer aus der Oberpfalz, er ist im vierten und letzten Jahr der in Selb ansässigen Berufsschule für Produktdesign, der ehemaligen Berufsschule der Porzellanindustrie, und er möchte heute, als er hört, dass ich mit Zeitungen etwas zu tun habe, über die Image-Platform-Seite pr0gramm reden — man schreibt das mit einer Null bitte statt dem o: Das ist für ihn der Ort, an dem er alle seine Informationen rauszieht, komplexer, realer, zeitgemäßer, offener als der uralte shit, den ich lese. Man kann da nicht einfach draufklicken und mitlesen — ach so? Warum nicht? Das finde ich, Entschuldigung, aber leider schon blöd. Nein, einer, der schon Mitglied ist, muss einen reinholen, und dann wird geguckt, wie man sich als Neumitglied verhält, wer gegen die Regeln verstößt, fliegt raus (keine Nazikack, keine Kinderpornografie, überhaupt, keine linke und keine rechte Hetze). Klingt, mit Verlaub, nach beidem: ganz furchtbar und hoch interessant. Ich möchte da sehr gerne nicht draufgehen, auch nicht Mitglied werden, aber ich rede gerne mit ihm darüber, hier, auf der Geburtstagsparty in Selb.

Natürlich, so der Designschüler, der außerdem Bilder malt und ein Atelier unterhält im ehemaligen Bahnhof Selb, dem heutigen Hipster-Café der Stadt (Schwarzer Peter), er erklärt nun, es gebe immer wieder Gerüchte, dass pr0gramm eine rechte Seite sei, von Rechten unterwandert, das sei nicht ganz falsch, aber es sei eben auch: totaler Quatsch. Interessanter als das, was gepostet würde, seien eh die Kommentare unter den Posts (Oh Gott, oh Gott, Kommentare lesen? Meint er das ernst? Weiß das nicht jeder, dass bei den Kommentar-Schreibern die krankesten, wirrsten, verhetztesten Nazis und Querdenker sind? Nein! NEIN! Alles ganz anders! Okay. Ich höre einfach weiter zu).

Was man da, sprechend, in etwa eineinhalb Stunden alles erlebt, ich fasse es nicht, ich habe nach zwei Stunden Geburtstagsparty genug Stoff zum Nachdenken und noch mal in Ruhe im Kopf durchgehen für die nächsten eineinhalb Wochen.

Teechen.
Leider keine Zigaretten.
Es ist so schön, dass der Schnee liegenbleibt.

Arbeit an einem Text über Andreas Banaski für den von Erika Thomalla herausgegebenen Band Die Wahrheit über Kid P. (mit Textbeiträgen der Diederichsen-Brüder und der weiße Reisverschluss-Lederstiefel tragenden Kim-Gordon-Gudrun-Ensslin-Achtziger-Jahre-Rockisten-Schule von Spex, Clara Drechsler, Jutta Koether). Wir nennen Banaski den ersten deutschen Popautoren, und das Schöne ist: Das ist kein Quatsch, so muss man ihn nennen.

Ach so, und ich wähle dieses Mal nicht SPD. Man kann die SPD bei dieser Bundestagswahl wählen, es geht nicht. Ich wähle die Partei, die beim wichtigsten Thema unserer Zeit nicht komisch rumeiert — ich wähle die Partei, deren Spitzenkandidat 3,5 Prozent der Bruttoinlandsprodukts für das Verteidigungsministerium fordert. Ich wähle Die Grünen.

7. Januar 2025, Dienstag

Wie wenig ich über den Wald weiss: bisher.

Meine Lieblingstage hier im Wald: die Dienstage. Da bin ich, so ergab es sich bei einem JAHRESABSCHLUSSGESPRÄCH in einem hier auf dem Land für solche Anlässe nicht ungeeigneten Lokal — an Dienstagen also bin ich jetzt jede Woche zu Waldgängen verabredet, mit dem Könner, dem Förster, also ihm, der durchblickt, und ihm, der hier alles macht. Natürlich: ganz gleich bei welchem Wetter. Dienstage ab sofort für mich: Wald-Dienstage.

Die Idee ist, dass ich das Sehen im Wald erlerne. Genauer: dass ich einen Blick dafür bekomme, was der Mensch sieht, wenn er in den Wald hineinblickt.

Wir fahren also, nachdem die üblichen Dinge im Büro (auch: Forstbüro) besprochen sind, mit dem Isuzu-Pick-Up-Jeep in den Wald hinein. Gut zehn Minuten. Langsam, holpernd, im jetzt wieder rieselnden Schnee. Und, der durchblickt, stoppt, stellt den Motor ab, gebietet einem auszusteigen und sich an den Wegrand zu stellen und mit ihm in den Wald zu gucken. Frage: Was sehen Sie?

Da brauche ich doch jetzt erst mal KRITERIEN, meinen Sie nicht?

Genau so. Die Kriterien nenne ich Ihnen jetzt hier.

Zunächst mal ganz simpel die Frage: Welche Baumsorten sehen Sie? Fichten, Kiefern, Lärchen? Tannen? Douglasien? Laubsorten, gepflanzt oder durch Anflug entstanden? Ganz grob das Alter schätzen: mittel, jung, alt? Verschiedene Altersklassen, also stufiges Waldbild? Lange Kronen, kurze Kronen, braune Kronen, grüne Kronen? Kalamitäten, also Schäden durch Sturm, Käfer, Fäulniss? Kronenbrüche, Zwickel? Rückeschäden? Können Sie sogar so etwas wie einen Bestockungsgrad schätzen? Wie dicht stehen die Bäume, ist es dunkel, ist es hell? Was sehen, wenn Sie auf den Boden schauen? Liegt Nadelstreu, wächst Moos, Gras? Findet die Umsetzung statt? Kommt die Naturverjüngung? Wie steht es um die Pflege, wie um die Läuterung?

Bitte sehr genau alle Kriterien durchgehen, schauen Sie genau hin — es gibt immer etwas zu sehen. Wenn Sie mir das WALDBILD beschrieben habe, gehen wir den nächsten Schritt: Liegt eine Durchforstung vor? Wie lange liegt so wohl zurück? Welche Maßnahmen für dieses Waldbild schlagen Sie vor? Bei möglicher Durchforstung: Wo setzen Sie Ihren Z-Baum, welche sind demnach die Bedränger? Auf wieviele Festmeter pro Hektar schätzen Sie hier den VORRAT?

Waldbild: super beauty, Lieblingswort dieses meines neuen Lebens, hier draußen im verschneiten Wald, dem Land der FRISCHEN LUFT.

Und mit der Zeit, den Waldbegehungen der letzten Monate und den Waldbegehungen in diesem noch sehr neuen und frischen Jahr, lernte ich dazu. Und der, der durchblickte, blieb geduldig, er lehrte gerne, er hatte ein didaktisches Talent.

Leberknödelsuppe.

Nichts, dann nichts, dann nochmal nichts.
Ausgedehnter Nachmittagsschlaf (es waren dann doch nur zwanzig Minuten).
Bissl Musik (Schumann C-Dur-Fantasie).

Jetzt wieder, zwei, drei Stunden lang: konzentriert keine Nachrichten gehört.

Zwischendrin, am frühen Abend, es war gegen halb sechs und ich kam vom Matratzenkauf und Biomarkt in Hof, brauchte ich den POP einer ganz normalen McDonalds-Filiale. Kleiner Cheeseburger, ohne Zwiebel. Die kleinste Cola Zero, bitte. Zum hier essen, genau. Abholnummer 157.

Schon ziemlich nah, entschuldigen Sie, entschuldigen Sie, am TOTALEN GLÜCK.

5. Januar 2025, Sonntag

Gestern Abend dann — was macht man noch mal an einem 4. Januar? Ach ja, Theater! — Dea Lohers Frau Yamamoto ist noch da, das Stück, mit dem der sympathischste Mensch auf Erden, Ulrich Khuon, im September die sogenannte Interimsintendanz im Schauspielhaus Zürich eröffnet hatte. Es beginnt als ein bissl spießiges, bewusst bescheidenes, kleines, leises Stücklein, und das bleibt es im Prinzip für die nächsten zwei Stunden und 40 Minuten, eine Nummernrevue. Und in seiner Kleinheit und Beiläufigkeit will es dann ganz viel. Ja erst mal keine schlechte Idee. Und fast: kriegt es einen.

Menschen wie du und ich, aus deutschsprachigen Großstädten der Gegenwart stammend — kleine Menschen mit großen Gefühlen, so nennt sie einer der ausnahmslos sehr gut spielenden Schauspieler und Schauspielerinnen im Programmheft — reden über, was halt so ist: doofe Beziehung, Lebenssinn, KI, eine gute Arbeit finden, die Frage, ob nach dem Tod wirklich mit allem Schluss ist.

Und dann beginnt die KUNSTSPRACHE der Dea Loher, diese besonders einfache, gut gebaute Sprache, zu wirken.

Das klassischste aller Paare — ein noch eher junger Mann (bissl doof, unfassbar süß) und ein schon eher älterer Herr (streng, genervt, letztlich gnädig, unfassbar sympathisch) — liegen zusammen im Bett, darum ringend, das es irgendwie doch weiter geht: Das ist Pet Shop Boys pur, das fasst einem voll ans Herz, das geht natürlich immer. Der grandiosen alten Dame Nicola Weisse, die spöttisch, klug, abgeklärt, todtraurig, zum Lachen entschlossen DEN TOD anguckt, könnte man sowieso abendelang zuhören (manchmal verstehe ich nicht, warum es nicht nur tolle Theater-Monologe mit klugen, alten Frauen gibt, das will doch wirklich jeder sehen). Zwischendrin haut der junge Punk Daniel Lommatzsch (er ist gar nicht mehr so jung, wie man dem Programmheft entnimmt) und Pollesch-Typ in seiner Ernst-Busch-Schauspielschulen-und Marc-Hosemann-Haftigkeit das Stück in eine ganz andere Richtung (geil rumzucken, sich am Kopf kratzen, Grimassen, austrainierten Schauspieler-Body ausstellen, Berliner Schnauze, bissi Techno, Fuck up, chemische Drogen, großes Glück).

Was diesen Abend leider immer wieder kaputtmacht: der doofe Hintersinn, die Pointe (die diese Autorin doch so sinnvollerweise eigentlich vermeiden möchte!), das Parabelhafte, die Moral, der große Seufzer, die Klage, die in der Loher‘schen Kunstsprache dann leider doch ein wenig doof poetisch klingende Melancholie, aus der aber nie ein echter und sinnvoller SCHMERZ wird. Und so sind wunderbar beiläufige, vorbeischwebende, nicht auf den Punkt kommende, könnerhaft hingewischte, rechtzeitig abgebrochene Szenen im Kern dann doch, leider, leider und immer wieder viel zu oft: Kitsch. In den zwei, drei schwächsten Szenen ist Frau Yamamoto wie Fernsehen vor acht im ZDF. Da muss man auch immer weinen, oft in einer Art Sekundenerschöpfung, weil es so schamlos und direkt um so riesengroße GEFÜHLE geht (die armen Schauspielerinnen). Es ist knapp: doch ein bisschen anders, knapp: doch nicht wahr, knapp: leider nicht gut.

Dem Stück fehlen insgesamt Härte, Bösheit, Abgrund, Schärfe, Aggression, auch sprachlich der letzte böse und unerbittliche Zugriff, entschuldigen Sie, verehrte Frau Doher: Aber das Leben ist keine leicht-melancholische Sinnschaukel für Abonnenten. Und vielleicht das noch: Ein wenig mehr Geschwindigkeit, Struktur und Dramatik im Sinn einer sich steigernden, zunehmenden Verdichtung der Loher‘schen Leitthemen hätten dem Abend wohl gut getan.

Mein Leben ist ein FlixBus, wisst‘ ihr ja, Leude: Heute geht es mal wieder von Zürich nach München und dann weiter im herrlichen RegionalExpress in den Wald.

Das herrlich Zersiedelte, Zerklüftete, Zwielichtige und Gangsterhafte des Grenzorts Diepoldsau (mal Deutschboden-haft über fünf Monate in Diepoldsau an den Ecken stehen, wäre auch schon wieder Spiegel-Bestsellerliste):
Cashpoint, Sportwetten
Sutterlüty, mein Ländlemarkt
Hotel Sushus.ch
Buffalo‘s Café und Grill
Blecharbeiten. Laserschaden. Abkanten.
Tornado Pizza Kurier.

Viel Schnaufen, Husten, Spotzen in den Busreihen, #normal. Hinter mir eine 18-Jährige in herrlich schneeweißer Daunenjacke und mit Apple-Kopfhörern, im schweizerdeutschen Dialekt in ihre Freisprechanlage reinsprechend (kann leider noch nicht heraushören, ob das fett Zürich, fett Bern oder fett Basel ist):

„Megaherzig.
Megaherzig.
MÄGGAHÄRZICKRRR.
Mägganice.
Mäggastraight.
Mäggacool.
Bisch‘ no‘ do?
(…)
Jetzt hör‘ I di’ widda.
So witzickrrrr.
Mägga.
S‘ isch mägga.“

Lese atemlos den mittlerweile etwa sechsten Hintergrundbericht über die Männer-Freundschaft und Zweckgemeinschaft von Elon Musk und Mathias Döpfner, heute im Spiegel, die in logischer Konsequenz zur Veröffentlichung der AfD-Wahlwerbung in der Welt am Sonntag geführt hat. Und denke: True journalism ist doch einfach das Allergrößte.

3. Januar 2025, Freitag 

 

Viel Spaß.
Gut-Spaß.
Happy Spaß.

Pimmel-Spaß.
Franz-Spaß.
Tut-gut-Spaß.
Leude-Spaß.
Geht‘s-noch-Spaß.
Geht-mehr-Spaß.
Einer-geht-noch-Spaß.
Sitzt-quer-Spaß.
Fried-Spaß.
Friedhelm-Spaß.
Fass-nach-Spaß.
Eintänzer-Spaß.
Saša-Stanišić-Spaß.
Vier-Pils-Spaß.
Seniorenteller-Spaß.
Gurken-Spaß.
Schlaffe-Gurken-Spaß.
Süße-Torten-Spaß.
Wurstbrot-Spaß.
Wurstspiele-Spaß.
Dödlum-Spaß.
Saudumm-Spaß.
Karacho-Spaß.
Kaputtlach-Spaß.
Schlaffo-Spaß.
Blassrosa Spaß.
Mauvefarbener Spaß (wow!).
Kugelbomben-Spaß.
Spaß à la Putin.
Hirntod-Spaß.
Schmerzender-Rücken-Spaß.
Mach-ma‘-halblang-Spaß.
In-einer-Minute-dann-wieder-Spaß.
Halbschlaf-Spaß.
Nicht-von-schlechten-Eltern-Spaß.
Lass-gut-sein-Spaß.
Ultra-Doofheit-Spaß.
Gude-Leude-Spaß.
Der Spaß der neuen Machthaber.
Spaßoflöt.

(Lass gut sein, ich höre dich, Mann, ich habe dich doch gehört, alles klar, RELAX).

Wie Andreas Bernard gestern so völlig richtig sagte:
Ich fand den saudummen und konkret nicht eine Minute auszuhaltenden Max Moor viel schlimmer als den normaldoofen Thilo Mischke.

Ich sage: Der Name Mischke ist schon so komplette ostdeutsche Mega-Trostlosigkeit und ostdeutsche Volldoofheit und neudeutsche ARD-Behämmertheit, alles in einem.

Frohes neues, Leude.

Wir kommen, um uns zu beschweren (Dj Hell und Jonathan Meese, 2025).

The names have been changed to protect the innocent (Beat Dis, Bomb The Bass, 1988).

ZERSTREUUNG. UND KONZENTRATION.

Ich habe euch lieb! (Carl von Uslar) ♥️

29. Dezember 2024, Sonntag

Kurze Rückmeldung aus dem Weihnachtsurlaub (noch bis 5. Januar, sorry, sorry, hätte ich mal vorher sagen sollen, ich weiß, ich weiß), natürlich wieder mal aus dem FlixBus:

Frau in Zürich schrieb gerade: „Neue Theorie: Bier schmeckt besser, wenn es in Ruhe — ich spreche von acht, neun Tagen — im Kühlschrank kalt werden darf, ohne dass der Kühlschrank einmal geöffnet wurde.“

Dazu schickte sie ein Bild vor Kühlschrank, roter Pullover tragend, die geöffnete, kleine Dose Quöllfrisch ansetzend (150 Milliliter), silberfarben, ultraköstlich, ultraschön.

Ich schrieb: „Ganz starke Theorie. Vor allem: noch nie gehört! Schreib ein Taschenbuch, unterformatig, Großdruck, 15 Seiten schmal. Titel: „Das Bier wird besser, wenn es acht Tage im Kühlschrank liegt, Leude“. Wird ein Überraschungs-Seller, übersetzt in zehn Sprachen.“

Sie: „Die einzige Bestseller-Konkurrenz zu diesem Taschenbuch lautet: Geniale Ideen aus dem FlixBus.“

Ich: „Ich finde, auf der Bestseller-Liste ist Platz für unsere beiden Bücher, was meinst du?“

Derweil ich das schrieb, wurde es dunkel, draußen auf der Autobahn kurz vor St. Gallen.

29. Dezember. Was für ein kaputtes Jahr war das. Das sagen alle immer, wenn das Jahr kurz vor Abschluss steht, ich weiß, ich weiß, aber ich sage es nie. Ich sage es nur in diesem Jahr. Es war das Jahr, in dem der reichste Mann der Erde, Elon Musk, in der Welt am Sonntag empfahl, bei der nächsten Bundestagswahl die AfD zu wählen (sic!). 

25. Dezember 2025

Putin lässt an Weihnachten besonders heftig den ukrainischen Energiesektor zusammenbomben. Cool.

22. Dezember 2024, Vierter Advent

Unten, in der großen Küche: das SCHMORGERICHT (Rezept: Anna Meier, Zürich), filling the Gänge und Treppenhauser with a all comfortable smell of Zimt, Rotwein, Rosmarin, Lorbeerblädder. Die Jungs von Carl waren erfolgreich zum Bahnhof gebracht worden, sie sahen wieder wie die perfekte oberfränkische Boyband aus, schwarz gekleidete junge Männer, schulterlange Haare oder dieser englische 1980-The-Specials-Ska-Kurzhaarschnitt, Schiebermützen, Zigaretten hinter den Ohren (verkaterte Heimfahrt über Leipzig mit RE und ICE nach Berlin, perfekt).

Die Geschenke sind eingepackt. Unten steht der große Delikatessen-Korb, von Martin bei der Factoria/ Selb kuratiert und zusammengestellt (Danke, Martin), der dann um 18 Uhr zu Christl gebracht werden möchte (denn Christl sagt die Wahrheit, you know that, folks, auch heute und ganz besonders natürlich am 4. Advent).

The Schnee: rieseling an der Grenze vom Regen hinunter auf den Stein, das Granit und die grünbraungrauen Dezember-Böden. Alles brüllt: Sei feierlich, freu dich auf Weihnachten, warte noch ein bissl bis zum ersten Bier — aber dann, dann trinke wieder eher eins zu viel, das ist klug, denn morgen kommt die Verwandtschaft, so gehört es sich, das ist richtig und gut so und anstrengend für alle, und da sind die mit leichtem Kater klar im Vorteil.

Für gestern Vormittag um zehn hatte ich Rehwagen, Michael vorgeschlagen, dass wir das Vorweihnachtstreffen zum Beispiel beim Bäcker Sohns am Rathausplatz stattfinden lassen könnten. Er schrieb: passt. Und dann zehn Minuten später: Komm mal hinter den Schönwalder Markt, und schickte eine digitale Wegbeschreibung mit, zehn Schritte hinter dem ehemaligen Diska-Markt war der Treffpunkt, wo noch kein Mensch je vor uns gewesen war, was sollte da bitte sein, das war ja schon wieder alles maximal aufregend.

Um kurz vor zehn eingetroffen, war der Rehwagen dann mit einem Schönwalder Bürger im Gespräch, engagiert, ernst, kristallklar, so stellte man sich den oft beschworenen, eben doch nicht erfundenen, sondern sehr realen Zusammenhalt in der Kleinstadt vor — man kennt sich, man hilft sich, wo man kann. Wir öffneten eine Glastür und standen mit anderen vorweihnachtlichen Bürgern in einem, ja sagenhaft, zirka zwanzig Quadratmeter großen gekachelten Raum: Die Hobbybrauer von der Schönwalder Neucherl-Bräu füllten hier live, für jedermann zu begutachten ihr Weihnachtsbier in die 0,75-Bügelflaschen ab („böhmisch dunkel, leicht röstig, vollmundig, hopfenaromatisch“, so die Eigenwerbung) und verkauften die dunkel schimmernden Flaschen den geduldig anstehenden Männern. „Das wollte ich dir mal zeigen“, so Michael. Das finde ich gut, dass ich das mal sehe, vielen Dank, Michael!

Und wir hauten, hoppla, jeder zwei Humpen von dem köstlichen braunen Bier weg, es war noch keine elf Uhr, und diskutierten — Internationaler Frühschoppen mit Werner Höfer — über die dämliche FDP, den nicht so schlechten Habeck, und über Lars Klingbeil, den wir für 2029 dann spätestens als Kanzler haben wollten (hör, wie hier über dich gesprochen, Lars Klingbeil). Carls Jungs lagen zu der Zeit noch gut zwei Stunden lang in ihren Betten.

Schnee rieseling. Und jetzt müssen wir rasch rüber zur Christl, über die Felder, über Eulenhammer und Fohrenreuth.

Im Moment ist ein angenehmerer Vierter Advent oder Sonntag vor Weihnachten nur schwer vorstellbar. Ein Teil von mir mir will wieder gleich sagen: Glück ist Schmerz, ein drückender und tief melancholischer, aber das ist Quatsch: Glück ist Glück, fertig aus. Wie schrieb ich neulich Rainald — einer dieser Sätze, die einem die Wesen von oben diktieren: Das Leben ist simpel und schön und macht auch sonst wenig Probleme. Danke, lieber gerechter, starker, dunkles Weihnachtsbier trinkender fränkischer Gott.

19. Dezember 2024, Donnerstag

Ekelwort wichteln.

Jamila Schäfer, die neue Spitzenkandidatin der Bayrischen Grünen im Bundestag, meldete am Montag um 9.10 Uhr, es war der Vormittag der Abstimmung zum Misstrauensvotum im Bundestag: „Bei der Rede von Merz musste ich einmal Stillpause einlegen.“ Okay! Jamila postete dazu das Innere ihres Kinderwagens mit Schnuller und Tigerenten-Puppe.

Cornelius Polmer hat eine Doku über Liebe gedreht (Tatsächlich echte Liebe, mdr). Okay! Gleich zum Einsteig brutale Streicher-Klavierklimper-Soßen-Musik, am Bahnhofsgleis fallen sich Menschen, die sich lange nicht mehr gesehen haben, in die Arme, dazu sieht man man den bekannten SZ-Feuilletonisten (demnächst Ressortleiter bei der Zeit) mit dem verschmitzten Pu-der-Bär-Gesicht und den sympathisch verwuschelten Haaren, und seine Voice Over spricht, in die Klaviersoße hinein, mit einem eventuell hessischen, wohl doch eher einfach leicht angesächselten Dialekt (Dresden): „Ich frage mich dann: Diese Fürsorge und diese Liebe, das ist doch auch meine Heimat, oder? Ganz sischäöä bin isch mir da nämlich nisch immää. So viel Streit habe ich in den vergangenen Jahren in der Gesellschaft im Osten erlebt (…).“ Klaviermusik fährt hoch, Kamera geht in der Totalen auf das Gesicht von Cornelius Polmer: „Und deswegen fahre ich jetzt los. Ich will mit Menschen über das Leben reden, über Gefühle und all das, was ihnen wichtig ist. Tatsächlich Liebe sozusagen. Aber: in echt.“

Okay, der mdr-Bussibär und Ultra-Sympathieträger Polmer holt im Kampf gegen die AfD und die illiberale Gesellschaft jetzt die Kettensäge raus, das ist sehr, sehr hart, sehr böse, sehr asozial, das tut sehr weh. Und das könnte echt klappen: Wer soll schon ein Interview absagen, wenn einer so doll und ganz in Echt liebt? (Die Grimme-Preis-Jury mag so was auch).

Kettensägen-Fan Ulf Poschardt hat einen neuen, natürlich ultralibertären Podcast namens Make Economy Great Again. Es geht, glaube ich, um ANGST und natürlich um die deutsche Wirtschaft im Niedergang (muss ich mir noch anhören).

Weihnachtsfilme 2024 (nach kurzer Beratung mit Lisa Feldmann und Christian Kämmerling):
Die Hard
Love Actually.

16. Dezember 2024, Montag

Wirtz verlängert. I like.

Ich kriege nur noch so ekligen, ultraheterosexuellen Männer-Scheiß auf meinen — wie heißt das? — Feed bei Insta geschickt: Männer spalten Holz, Männer schneiden Ravioli-Dose in freier Wildbahn mit Taschenmesser auf, funktionieren Dose zu Tracker-Grill um, bringen Ravioli-Dosen-Inhalt in so einer extrakompakt aussehenden Rucksack-Pfanne auf Grill zum Brodeln: Kotz. Was soll das? Auch populär bei mir: so extrem männliches Kochen, mit den doofen supersexy japanischen Messern und großen Fleischlappen, die irgendwie sexy gewendet und über die Klinge gezogen werden. Ich weiß, ich weiß, Insta lügt nicht, ich soll mir mal Gedanken machen, warum ich die kochenden/ grillenden Proud Boys geschickt kriege. Ich sage: Fuck off, Insta-Köche!

Falls mein Insta-Algorithmus das hier liest: Ich finde dieses Extrem-Männertum à la The Heritage Post extrem abturnend, ich will mit den Wollsocken-Redwing-Schuh-Dödeln nichts zu tun haben, ich bin eine sehr komplexe, nachdenkliche, hundertfach gebrochene, von unerklärlichen Dingen im Jahr 1975 traumatisierte Persönlichkeit, so eine Art verhinderter Claudio Abbado (Taktstock, den Kopf tief ins Orchester hinein getaucht), außerdem ja Hape-Kerkeling-Fan (wie kürzlich hier auf MadW benannt), kein Dicke-Eier-Franz.

Was ich hingegen mag (sorry): sind die Rodeo-Videos in meinem Insta-Feed, wirklich überhaupt keine Ahnung, warum ich die kriege (was ist nur mit meiner Sexualität los?), enorm gut aussehende Brecher, furios gekleidet (Hüte, Tücher, chaparajos!), die sich auf wilde Pferde oder, noch besser, auf wilde Stiere schwingen und nicht zuletzt furchtbare Tritte abkriegen und, im Angesicht des abdrehenden Stiers, von herbei eilenden Seitenlinien-Cowboys gerettet und ohnmächtig/ halbtot, mit hängendem Kopf, hängenden Gliedmaßen aus der Arena gezogen werden.

Was sinnbildlich natürlich die LEHRE aus den Rodeo-Filmchen ist (sehr platte Lektion) und gleichzeitig fasziniert, ist, dass diese Supermänner in ihrem eigenen Business/ ihrer Sportart stets den Kürzeren ziehen, es geht um das sekundenlange Überleben in einer eigentlich unmöglichen Position (auf dem Rücken eines rasenden, Tausend Kilogramm schweren Stiers), sie werden auf die Hörner genommen, durch die Luft geworfen, zermalmt, zertreten und als leblose Körper ins Aus gezogen. Bye bye, meine superschönen Superboys.

Im RE von Marktredwitz nach München:
Süddeutsche
Bild
Bunte
Frankenpost Online
ZEIT Online.

Wochenbericht verfügbar. In der letzten Woche betrug Ihre Bildschirmzeit durchschnittlich 4 Stunden und 57 Minuten pro Tag auf diesem Gerät.

Bei den Weihnachts- und Neujahrwünschen, die seit etwa einer Woche immer angeheftet sein müssen, ist meine Lieblingswendung, natürlich: „… UND EINEN GUTEN START INS NEUE JAHR.“

Was erzähle ich hier eigentlich? Ich weiß es selbst nicht, muss es ja auch gar nicht wissen. Das hier ist Ihr Problem, nicht meins. 😘

Bei einigen mir flüchtig bekannten Zürchern ist für Freitagmorgen 6 Uhr ein BLITZBADEN im ca. zehn Grad kalten Wasser des Zürichsees angesetzt, ich werde nicht dabei sein, nochmal Entschuldigung, stattdessen wird es für mich einmal mehr die schöne Confiserie Freytag sein, gegen halb zehn, mit all den lieben Omis und Opis, bei einem Cappuccino mit Kakaostreifen, dazu ein Schinken-Käse-Gipfeli.

15. Dezember 2024, Dritter Advent

Eine Pfarrerin oder Kunstkritikerin, das ist im Moment schwer zu sagen, spricht im Deutschlandfunk — nach dem sie einen Rundgang über die Art Basel gemacht hatte und sich unter anderem von den Arbeiten Richard Serras hatte erschrecken lassen — ein Plädoyer für die kleine Kunst. Der Feind ist hier das große Geld, das große Format und, ach Gott ja, der Hochglanzkatalog: „Vielleicht haben wir ja alle längst genug von Groß, Bunt, Teuer. Vom immer höher, schneller, weiter.“

Nachdem ich intuitiv, das Frühstücksei aufsäbelnd, gleich wieder „Leck mich“ gedacht hatte und Hass und Abgeturntheit pumpen wollte (wenn das Gegenteil des Art-Basel-Bullshits die kleine Kunst sein soll, dann finde ich das große Geld doch besser), fand ich‘s dann irgendwie doch ganz interessant — multiple Kunst, Auflagen, Kunstwerke in Serie, Edition MAT, die Menschen müssen freien und demokratischen Zugang zur Kunst haben, ja, ja, Klaus Staeck, René Block, Aufbruch, Fluxus, natürlich alles sehr geil, wenn auch leider alles schon wieder ziemlich lange her (Siebzigerjahre?), zuletzt gerade Publikumshit Anonyme Blätter, genauer Ausstellungstitel entfallen, im Künstlerhaus Bethanien. Dann war aber leider wieder die geilste Geschichte im Vortrag der mit kleiner und unterwürfiger Stimme sprechenden Kunstkritikerinnen-Protestantische-Kirchen-Eule, wie der Rock‘n‘Roller und Galeristen-Revolutionär René Block beim Kölner Kunstmarkt 1969 ANGESAGT hatte, dass er für einen Kram von Joseph Beuys 110.000 Mark haben wollte („eine Plastik von Joseph sollte so viel kosten wie ein großes Bild von Rauschenberg oder Warhol“). Und bekam. Ende kleine Kunst. Es spricht eben doch nicht gegen die Kunst, wenn sie herrliche Preise erzielt.

Wir lesen heute, falls wir heute noch etwas lesen: Bruno Franks Lüge als Staatsprinzip, verfasst 1939 im Exil, im Nachlass aufgetaucht, letzten Monat zum ersten Mal veröffentlicht, es geht, natürlich, um Adolf Hitler, aber eben auch um AfD, Sahra Wagenknecht und Donald Trump, die großen LügnerINNEN unserer Zeit).

Schönen dridden Advent.

14. Dezember 2024, Samstag

Vertrauensfrage: Montag, 16. Dezember, 13 Uhr. Bundestag.de überträgt live. Die große Angst ist jetzt: dass AfD und MSW plötzlich für den Schlumpf-Kanzler stimmen und so komplettes Chaos stiften. Scheiße!

Samstag, 17:25 Uhr, Live-Bericht aus dem Berghain: „Schau mir kurz Marcel Dettmann b2b Miss Kittin an. Danach reicht es aber auch. Fast alle Männer tragen hier jetzt Unterhosen und Crop Tops. Die meisten Girls in String Tanga und Springerstiefeln … Man kann jetzt Bulgur Salat und Bananen kaufen. Why not.“

B2B bedeutet Business-to-business oder, im Deejay-Nachtleben-Kontext: back-to-back, Seite an Seite, also gemeinsam auflegend, aha, wusste ich nicht, musste ich googeln.

Langer, langer Samstag. Höhepunkt: Flaschen wegbringen gegen 12 Uhr. Das war ja genau die Idee vom Wohnen im Wald: dass die Tage lang werden. Und sich etwas aufstaut. Und ey: Es klappt. I will punch back so heavy, heavy, heavily. 😘😘

Meine Weihnachtskarte landet heute offenbar gerade, in den Briefkästen all over Germany, und dann nächste Woche noch in fünf, sechs Briefkästen in England: Sehr nette Rückmeldungen erreichen mich, immer die Karte fotografiert auf Schreibtischen, Fensterbänken, Kaminsimsen. So geht heutzutage Danke-Sagen am Dritten-Advent-Wochenende.

Deutschlandfunk, Samstag, 17.30 Uhr: „Danke fürs Mitstreiten.“

Lustig: Heute – bitte Datum merken: Samstag, 14. Dezember, 18 Uhr — kann ich mir zum ersten Mal vorstellen, dass Olaf Scholz es im Februar doch schafft. Einfach: weil die öde, öde SPD-Propaganda vom Blackrock-Privatflugzeug-Piloten und Millionär Friedrich Merz doch verfangen wird. Und: Weil die Deutschen den Kreml-Faschisten Putin so lieb haben. Mit Putin reden, mit dem Gewaltherrscher Verhandlungen führen, sich kleinmachen, nicht widersprechen und sich dem Stärkeren beugen, der eine lupenreine Diktatur verspricht und in dessen Reich man endlich wieder klein, folgsam und ängstlich, ohne freie Meinung und ohne eigenen Willen sein kann: Das ist es, was die Deutschen sich schon immer und auch 2024 wieder zu Weihnachten wünschen.    

Der Text über Andreas Banaski a.k.a. Kid Paul muss noch abgeschlossen werden, wann mach ich das? Am Montag im Flixbus?

Und Bundesliga.

Kluges, feines, ultrafreshes Unterhemd-Baby (private SMS, sorry, sorry, bitte mal weghören hier, Danke, jetzt geht‘s).

Dich noch mal so sehen am Abend/ vor dem Einschlafen: Das hilft so absolut. Danke, iPhone.

13. Dezember 2024, Freitag

Jetzt verstehen wir, dass Syrer die ärztliche Versorgung auf dem Land sichern, das war mir so nicht klar, auch gibt es eine Zahl der syrischen Ärzte, die bei uns in Deutschland arbeiten: 5.800, die meisten in Krankenhäusern. Wenn wir jetzt Sorge haben müssen, dass zu viele gut ausgebildete Syrer dem Ruf ihres Heimatlandes folgen: Sollen wir ein Einmalgeld zahlen (10.000 Euro pro Arzt), damit sie in Deutschland bleiben? Why not?

Hasssatz „Zur ganzen Wahrheit gehört natürlich auch …“.

Ich mag die ARD wirklich, ich schaue sie auch gerne, weil ich dort, ja, dein Eindruck habe, auf altmodisch objektive, journalistisch seriöse Art informiert zu werden (okay, der Monitor-Öko-Strickstrumpf-Superspießer George Restle vom Neckar geht allen auf die Nerven, ist ja klar, aber das weiß er auch selbst, dass seine Aufgeregter-Klassensprecher-Tour nur negative Affekte auslöst). Ich kann mir vorstellen, dass es der ARD wehtut, dass einige Ministerpräsidenten, unter ihnen Söder und natürlich der ganze Osten, auf billigen Stimmenfang gehen, in dem sie sich gegen eine GEZ-Erhöhung aussprechen. Vielleicht können die Syrer, denen wir jetzt mehr zahlen müssen, damit sie nicht abhauen, ein bissl mehr bezahlen?

Das ist ja sowieso immer meine Rede, wenn meine neuen Freunde in Oberfranken (so wie früher die in Zehdenick) mir nachvollziehbar sagen, dass es ihnen zu viel wird mit dem ganzen Müll, der Lüge und Propaganda, der ihnen aus den sozialen Medien entgegenschwappt, ich sage dann: Logisch, das hält kein Mensch aus, ich auch nicht. Und stelle dann stets die Gegenfrage: Warum lest ihr nicht einfach eine ordentliche Zeitung, die gibt es ja in Deutschland, im Gegensatz zu Russland oder Italien, lest doch die Welt, die Süddeutsche, die ZEIT, das sind alles sehr gut arbeitende, unabhängige, aufklärerische, einem uralten journalistischen Codex verpflichtete Zeitungen! Ich schaue dann immer in erstaunte Gesichter: Watt? Wie unabhängig? Die kriegen doch von den Politikern genau gesagt, was sie schreiben sollen. #Propaganda

Der Moukoko-Hammer (angeblicher Vater gibt zu: Ich bin gar nicht sein Vater!). Wunderliche Welt der A-Nationalspieler.

Ein frisches gezapftes Bier im Speisewagen? Damit ist bald Schluss. #Bild

Irene von Alberti (Die geschützten Männer, D 2024)
Bibiana Beglau
Mavie Hörbiger
Britta Hammelstein
Julia Jenkins
Toxische Weiblichkeit (SZ)
„Männer schützen, Leben retten“, heißt die Devise.

Die Begrifflichkeit Brombeer-Bündnis … Aldää (egal).

11. Dezember 2024, Mittwoch

Kurze Presseschau, heute wieder nur Süddeutsche und Frankenpost (ganz normal, my life, sorry):

FDP-Generalsekretär Marco Buschmann hat Plakate vorgestellt, die seinen Parteichef Christian Lindner in SCHWARZ-WEISS zeigen. Im Hintergrund des Parteichefs (Anzug, Slim Fit Hemd, 10-Tage-Bart, sein süßes Bambi-Gesicht) sind vor dem bei Berlin-Touristen so beliebten Kit Kat Club auf der Köpenicker Straße zwei ganz offenkundig komplett weggetretene, sich gegenseitig befingernde, sinnlos rumalbernde TRANSGENDER FREAKS zu sehen, beide tragen Fell-Bikinis à la frühe Neunzigerjahre Love-Parade, eins in der FDP-Farbe Schreigelb, eins in der FDP-Farbe Brüllrosa. Beim politischen Gegner (SPD, CDU, Grüne, AfD) löste das Plakat „Befremden“ aus. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch: „Da versucht einer auf den Berlin Techno train aufzuspringen, leider nur dreißig Jahre zu spät. Mich macht das einfach nur traurig.“

Und das war‘s hier schon wieder mit der kurzen Presseschau!

Irre viel los hier, in diesen Dezember-Tagen (noch 13 Tage bis Heiligabend).  Ich habe heute Fragen des NY Times-Redakteurs Finn Cohen zu 20 Jahren Berghain beantwortet, ernsthaft (meine Freundin Anna aus Zürich: „Aber du weißt doch gar nichts über Berghain, oder? 😂 Muss das nicht Martin beantworten?“). Schönen Gruß hier also an Martin Purwin in 14974 Brandenburg.

Der blaue Schnee in den blauen Bäumen zur Blue Hour um 16.20 Uhr ist so schön (ist Schnee nicht weiß? Nein, ist er nicht). Und ich denke — jetzt wiedermal, jetzt auch — an meinen VATER, der heuer im zweiten Jahr ein paar Meter tief in seinem hellgrauen, dreiteiligen Nadelstreifenanzug in der eiskalten Erde liegt (Hans-Jochem Freiherr von Uslar-Gleichen, 18.11.1936 bis 30.11.2022).

Zwei Bier noch bei den Grünhaider Schützen. Jetzt lese ich aber noch mal ordentlich die Zeitung.

10. Dezember 2024, Dienstag

Mein Gott, gestern die André-Schäfer-Doku Total Normal in der ARD-Mediathek gesehen. Hape ist King, natürlich auch Queen (puuuuh, sorry, ja, ja), vielleicht der tollste Mensch, den wir ins diesem Land haben, das weiß ja wirklich auch jeder, vielleicht gar nicht der lustigste, sondern einfach so ein unglaublich feiner, großzügiger, sympathischer Mensch. Ich bin süchtig danach, wie er immer wieder erzählt, WIE GLÜCKLICH SEINE KINDHEIT WAR. Was für eine Traurigkeit allein in dieser sicher komplett aufrichtigen Elton-John-haften gay sentimentality liegt, denn, ja, unser aller Kindheit ist ja nun vorbei (und sie war nicht sooo schön wie bei Hape). Er, Hape, hat diese gnadenlose Klarheit, gleichzeitig sehr schöne Bitterkeit gegenüber dem Leben, die tolle Menschen, besonders tolle und gnadenlos intelligente Homosexuelle gerne haben. Ich glaube ja, dass die Leute ihren Hape deshalb so lieben, weil sie in ihm ihre unmögliche, zeternde, übergriffige, gleichzeitig alles umarmende, großzügige und bedingungslos liebende Mutti erblicken können — zumindest mir geht es so. Ich kann ihm so absolut trauen, weil er so drüber und gleichzeitig, wie das gute Schauspieler können, so absolut kontrolliert drüber ist, ich möchte ihm MEIN GANZES LEBEN ERZÄHLEN, ich möchte mit ihm sitzen, sitzen, sitzen und reden, reden, reden, Hape soll meine Therapeutin sein!

Seit gestern folge ich nun auch Rainald Goetz auf Insta. Profilname: Rainald.Goetz. Darf man das sagen, oder verrät man damit etwas? Natürlich verrät man damit etwas, aber das ist ja okay! Derzeitige Anzahl der Follower von Rainald: 23. Nur bei MadW gibt es eine noch größere Verschwendung von gewaltigem Talent auf winzigem Raum. Just join, motherfuckers.

Viele fragen sich jetzt aber auch … (wie es in dem krisengeschüttelten Land jetzt weitergehen soll, #Syrien). Sorry, aber das Interview mit Innenminister Reinhold Hermann (heißt der so?) im Deutschlandfunk hätte ich auch geben können („Wir müssen jetzt erstmal abwarten, wie die Lage sich weiter entwickelt“).

Von der Frankenpost bin ich seit gestern Online-Abonnent (monatlicher Abbuchungsbetrag: 34 Euro). Wollte nicht mehr warten, bis ich da morgens um zehn erst mit meinem Subaru Forester am Schreibwarenladen vorfahre.

Es ist 6.45 Uhr, während ich das tippe, und es schneit (und ich fühle mich heute morgen wieder so Mariah-Carey-haft, während ich das schreibe, sorry, sorry, wie die sehr späte Mariah Carey natürlich, oh my God).
Kaffee.
Noch einen Kaffee.
Ach so, dann noch einen Kaffee.
#Normalität
Der gute Espresso mit 50 Prozent Koffein (Bioladen).

Erstes Treffen heute, wie eigentlich immer hier im Wald, zur praktisch idealen Zeit von 9 Uhr.

8. Dezember 2024, Sonntag

Es ist zu viel Alkohol. Aber das Thema bei zu viel Alkohol ist ja, bekanntermaßen, nicht, dass es nicht geht. Sondern wie gut es geht, für eine ziemlich lange Zeit.

Heute Morgen — es war, in diesen Zürcher Tagen, der dritte oder vierte Morgen nach einem Ein-Negroni-und-fünf-köstliche-Bier-Abend — merkte ich beim Aufwachen und beim Frühstücksei, wie meine Freshness (Körper), die ja immer auch eine Freshness des Geistes ist, dezimiert/ nicht abrufbar/ nur noch eine Erinnerung an früher war. Nicht: gut. So wie der alte, heterosexuelle Mann insgesamt ein ablehnenswürdiges und scheußliches Wesen ist (großer Arsch, dicke Nüsse, Breitcordhosen, traurige 1.000-Euro-Schuhe), so ist der alte, alkoholsüchtige Mann insgesamt eine grauenvoll durchschnittliche, langweilige, naheliegende, banale, uninteressante, scheußliche Erscheinung. Gegenmaßnahmen jetzt: einleiten. Der ältere Herr, den ich meine, hat kein Alkoholthema: fertig. Vielleicht muss man sich auch daran gewöhnen, dass die Tage des IN-LOKALEN-RUMSTEHENS gezählt sind. Der coole, ältere Herr, den ich meine, ist überhaupt nur selten am ÖFFENTLICHEN ORT anzutreffen. So wie der Hals des Herrn ab Sechzig zu bedecken ist (Schal, Plastron, Jackettkragen), so hat er seinen Körper einfach aus dem öffentlichen Raum herauszuhalten. #klarerFall. Jetzt muss ich, Hoppla, noch mal ganz neu über alles nachdenken.

Gestern bei der Lesung des Münchner Ultra-Bestsellerautors Axel Hacke im Schauspielhaus Zürich gewesen. Da gäbe es jetzt viel zu zu sagen. So viel vielleicht: Er kommt auf die Bühne, empfängt stehend und mit einem feinen Nicken und Blick-zu-Boden-Senken den auf Anhieb sehr heftigen Applaus, nimmt Platz auf dem Stuhl neben dem Tischchen und fängt sofort an zu erzählen, zu lesen, seinen extrem genau gebauten und getimten Abend abzuspulen. Kein „Ich bin Axel Hacke, guten Abend“, keine Einführung eines unbegabten Buchhändlers, Theaterdirektors, Veranstalters bla. Das war gut. Der Vorlesende Hacke ist so routiniert, dass er immer wieder Momente der Unperfektion, des Rauskommens, des Stolperns und Zögerns spielen muss — er weiß ja, dass dem Vorleser nichts so wenig verziehen wird wie Perfektion. Beim Lese-König Axel Hacke ist außerdem zu beobachten, dass ein Abend, an dem der Autor mit seinem Buch, einem Stuhl und dem Publikum allein ist, keinesfalls zu viele und zu viele brillante Pointen enthalten darf, dann bricht alles zusammen, dann sind alle genervt. Gut sind: zirka zwölf Pointen, verteilt über einen Abend von neunzig Minuten inkl. 15 Minuten Pause, nicht mehr. Von den unter zwanzig Pointen darf eher kein Moment wirklich überirdisch wild, groß, frei, unverständlich sein, drei solide gute Momente sind das absolute Maximum. Sein feines, ordentliches, sehr genau gebautes, entwaffnend einfaches Deutsch. Was Hacke macht, und auch hier ist Routine und eine große Könnerschaft gefordert: hübsche, seelenvolle Schmunzel-Momente liefern für ein Publikum, das oft 1985 zum letzten mal jung war — bei ihm handeln noch ganze Kolumnen von einem Festnetz-Telefon, auf dem versehentlich Leute anrufen, die nicht den Autor Hacke, sondern einen längst verzogenen Hals-Nasen-Ohren-Arzt sprechen wollen (okay, das ist unfair, die Kolumne erschien 1999). Der Prototyp des Axel-Hacke-Bestsellers ist das kleine Geschenkbuch, niedlich aussehend, mit rotem Einband, mit Loriot-artigen 50er-Jahre-Strichmännchen-Illustrationen und mit weitem Zeilenabstand gesetztem Text. In Erinnerung wird auch bleiben, wie schön Hacke beim Lesen die Beine übereinander falten (slightly zu enge Jeans, sorry, sorry) und sich dabei über die Knie streichen kann. Ganz wichtig immer auch: ein ernstes, unbeteiligtes, leicht begriffsstutziges Gesicht aufsetzen, wenn das Publikum wieder losbrüllt vor Lachen, nie die Rolle des Ich-verstehe-schon-längst-nicht-mehr-was-hier-los-ist-auf-dieser-irren-Welt-Stoffels verlassen. Er ist der Erich Kästner für die Generation, die ihre rot-grünen Kuschel-Illusionen an die kalte Welt von Putin, Instagram und ChatGTP verloren hat, und das ey, Entschuldigung, ist ja nun wirklich ein Kompliment.

Disco-Schnupfen haben wir früher gesagt für Erkältungen, die daher kommen, dass man den Körper beim Ausgehen ein bissl zu hart rangenommen hat (obwohl, da war ja Kokain im Spiel, beim Disco-Schnupfen, und hier war es ja nur zu viel Bier, also eher Suff-Husten, anders furchtbar #Normalität).

Abu Muhammad al-Dschaulan, der Rebellenführer, der heute in Damaskus ankam und den Boden küsste, sieht fantastisch aus (wie aus dem Sonderband Mecki, der HörZu-Igel, bei den Syrern).

Mein Freund, der Flixbus (Zürich-Marktredwitz 6 Stunden, 50 Minuten, Zwischenstation Augustiner-Keller, München, Arnulfstraße). Kapiere immer noch nicht, warum ich mich in diesen hässlichen giftgrünen Bussen so wohl/ so frei fühle, Entschuldigung, it is the American way of travelling, ich könnte bis Pristina durchfahren.

6. Dezember 2024, Freitag

Regelmäßige Leser von MadW fordern immer wieder: Die Sex-Schiene darf bitte nicht einschlafen im so breiten und ultraheterogenen Themen-Spektrum, das du hier bearbeitest — du musst liefern, Moritz! Oder, noch direkter: Wann schreibst du endlich mal wieder über Sex?

Erstmal: Ich verstehe euch, Leude. Vielleicht so viel: Die Größten unter den schriftstellernden KollegINNEN sind beim Thema Sex in die Knie gegangen, da fallen einem auf Anhieb sechs, sieben, zehn Schreiber ein (Maxim Biller, sorry), es ist nicht einfach — ein wenig wie über Kochen oder über Körperpflege schreiben. Letztlich: Wen interessiert’s? Euch? Sie? Sind Sie sicher?

Gleichzeitig, das verstehe ich schon: Diesen Blog gibt es ja auch, da ein Schreiben jenseits von ZEIT Online und seinen Korrektheitsgrenzen möglich sein und ausprobiert und durchgezogen werden muss, von einem großen Könner und Pro (haha) wie mir, und da gehört das nicht nur angenehme Palavern des fünfzigjährigen Mannes über seinen Körper eben dazu. Das Schreiben über Sex hat hier also — richtig — die Funktion der BEHAUPTUNG VON RAUM im großen öffentlichen Text jenseits von ZEIT Online, das ist wichtig, richtig, ich möchte hier einfach meine Scheiße erzählen können, Scheiße, feddich, jetzt haben es alle (die sich über meinen Sex-Kram hier immer gewundert haben) verstanden.

Ich sage heute über Sex, ich muss da wie gesagt dranbleiben: Ich fasse fester zu mit den Jahren, ist das bitte gut, das kommt ganz natürlich, und ich bin noch ganz weit weg, das kann ich auch sagen, von irgendwelche knilchhaften, ultraspießigen, superscheußlichen SM-Praktiken, wie sie im Zwanglos II (Swingerclub in der Gneisenaustraße, Berlin-Kreuzberg) oder in den Michel-Houellebecq-Romanen kultiviert werden, da führt es überhaupt nicht hin, das bin nicht ich. Gleichzeitig — schon klar — muss man beim Über-Sex-Reden auch immer die eigenen Schwächen, die eigene Ratlosigkeit, das Faden der Kräfte mit reinnehmen, das gehört unbedingt dazu, sonst wird es unwahr oder unglaubwürdig und letztlich deswegen dann langweilig: Ich verliere beim Sex immer öfter die Orientierung, schon weil die zeitliche Dauer der Sache sich mit den Jahren immer mehr in die Länge zieht, sagen wir, im Vergleich zu meinem 21- oder 23jährigen Ich. Ich denke jetzt öfter, while doing the thing: Wo führt das hin? Soll man jetzt besser aufhören? Hätte man vor dreißig Minuten schon aufhören können? Was machen jetzt eigentlich gerade, praktisch währenddessen, die anderen Leute, die ich kenne? Und: Ist das nicht einer dieser typischen Alte-Männer-Flop-Sätze, dass der Höhepunkt (bäh, grässliches Wort) unwichtiger wird, überhaupt — bah, bäh — in den Hintergrund tritt, weil der Mann, jenseits der 53 3/4, bildlich gesprochen, anders atmet, schlendert, driftet, mit seinen Kräften haushaltet, die Aussicht genießt? Der Höhepunkt ist doch — Scheiße, Scheiße — alles!

Und weiter, weiter: Ist das excitement weiter unten als vor etwa 35 Jahren? Ich würde sagen: Die Aufregung ist ein bisschen weg (was immer schade, vor allem aber einfach angenehm ist), die Todesnähe ist faktisch größer (und man spürt es unentwegt), aber das excitement ist, wie heißt das jetzt, tiefer, schwerer, packender, wahrer, ja, genau: existenzieller, frohmachender geworden. Danke, Lieber Gott.

Kann hier ganz schwer über die Dinge berichten, die mich in diesen Wochen in meiner neuen Tätigkeit als Forstunternehmer und Mann des Waldes beschäftigen, sehr schade, es ist alles interessant, aber nicht öffentlich kommunizierbar (anders als Sex).

Und rasch: eine Lachs-Brioche für 6,80 Franken im Café Freytag auf der Seefeldstraße. Leude, Leude, Leude. Es war nie besser, es wird nicht besser, nirgends, nie.

#Husten

Am Abend: Performance in der Galerie Karma International (nicht direkt Sex, aber schon auch).

Ich bin ganz weit weg von einer Rolex GMT-Master II, die mit dem blau-roten Tauchring, die sie alle, alle immer anhaben, das wollte ich auch noch sagen. Und: morgen mehr.

1. Dezember 2024, Montag 

Beachten Sie, am Nürnberg Hbf. ist der Konsum von Alkohol verboten. 

Und nach zwei Minuten Warten am LeCroBag-Stand ist man schon mitten in einer tollen Gesellschaftsreportage. Thema: Germany 2024, wenige Wochen nach Sprengung der Ampel-Koalition, gut zwei Monaten vor der nächsten Bundestagswahl. Und man sieht, Nürnberg ist da sehr altes Westdeutschland und gleichzeitig allerneueste, aktuelle Bundesrepublik: 

Unheimlich viele Vertreter der ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken, natürlich zahlreiche Männer aus Syrien, dazwischen auch Abgesandte der Bevölkerungsstämme der

Hunducken
Hurucken
Gurlucken
Sundeltucken
Kunducken
Sursuken
Tackmucken
und der wilden Pundelmucken
allesamt mit tollen Bärten, Kappen, Megabass-Kopfhörern, grauen, brauen und strahlend weißen Anoraks, Strumpfhosenjeans und High-Top-Turnschuhen, immer telefonierend, regelnd, Situation klärend, die Lage checkend, noch ein Moment abwartend, Geschäfte abschließend, einen neuen Bruder aus ihrer wilden Heimat empfangend, getting ready for new Tages-Business.

Sorry, ich komme da auch immer ganz durcheinander mit den ganzen ehemaligen Teilrepubliken, die schon längst zur EU gehören bzw. sich gerade in dramatischen, natürlich gefälschten und von Moskau gesteuerten Wahlen für Putin und gegen die EU entschieden haben, #normal, aber sie alle kann man hier sehen, beim Umsteigen, am rockin’ Nürnberger Hauptbahnhof.

Die braven Boys des Sicherheitsdienstes König, die, soweit der erste Eindruck, mit allen Bevölkerungsgruppen keine Probleme haben und sich, für meinen Blick, aus allem raushalten, bloß kein Ärger machen, eher so dezente Arbeitsverweigerung, und die wie immer ganz toll gekleideten, gut aussehenden und astrein ausgerüsteten Boys und Girls der Polizei.

Günther Jauch wirbt jetzt für Seniorenwindeln, oder für was noch mal? Ach so, die Handy-App Shop Apotheke. Da kann er sich seine Medikamente jetzt immer gleich nach Hause schicken lassen.

#Schumanns  

 

30. November 2024, Samstag

Weiches D.
Weiches D, Leude. 
Das gude, weiche oberfränkische D

Meine strenge türkische Schneiderin in Rehau. Sie ist immer ganz enttäuscht, dass ich immer DOCH noch den Abholzettel finde und sie mich nicht ausschimpfen kann. Sorry. Sorry! 

Schönwalder Adventszauber. Vor dem Rathaus und der schönen Backerei Sohns. Bratwurscht-Semmel. Immer solche Angst vor #Glühwein, sorry (Kopfschmerzen, sorry, sorry, #normal). In der SPD-nahen Bude schenken sie einen weißen Glühwein namens Weißer Hirsch aus, in der von CSU-Mitgliedern bespielten Bude einen roten Punsch, wahlweise alkoholfrei oder mit Whisky. Gespräche mit dem amtierenden Bürgermeister Klaus Jaschke, der zur Wahl im März 2026 nicht mehr antreten wird, und dem Herrn Kandidaten der CSU. Dem Herrn Kandidaten der SPD am Glühweinstand immerhin die Hand gegeben. Grüß Gott! 

Die syrischen Rebellen, die wieder vor Aleppo stehen, sehen leider schon wieder so stylish aus, das ist immer noch mein erster Impuls, wenn ich die Gesichter, Bärte, Turbane, Pumphosen sehe, aber auch die Art mit Sturmgewehren und Panzerfäusten und vor Panzern zu positionieren. #Scheißkrieg (ist das ein Original-Günter-Grass-Zitat? Ich denke schon). 

11833 wird abgeschaltet. Oder wie geht die Nummer? Finde ich gut, weil die alten Zeiten eh abgeschaltet gehören, es wird viel zu wenig abgeschaltet. Weg der Quatsch.

„Herzlich willkommen in … SUHL.“ Ultrakaputski Florian Silbereisen (Adventsfest der 100.000 Lichter, ARD). Was für ein kaputter, Tausendfach hirngefickter Freak, mit einem ganzen Köcher voller Pfeilen im Kopf latscht er da über die Fernsehbühne. Entschuldigung, aber da muss da noch mal ganz genau drüber reden, was er da macht (nicht hier jetzt, keine Sorge) und SEHR GENAU gucken, ob das rechtlich überhaupt in Ordnung ist und ob er sich da nicht strafbar macht, mit seinem schlimm zu einer LÄCHELFRATZE verzerrten Gesicht. Er ist ja, immerhin, unser größter deutscher Star. Andererseits: Wer 2024 noch den Fernseher einschaltet (ich leider ja immer, wie so eine 1930 geborene Omi, die sich über das Farbbild freut), was soll man da sagen. 

Bundesliga. Bolognese kochen für meine neuen Selber Freunde. #Normalität.

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